Der alte Wimbledon FC spielte bis 1991 an der Plough Lane (hier 1982 bei einem Spiel in der dritten Liga fotografiert). Dann sorgten die verschärften Stadionauflagen für den ersten Umzug in das Stadion von Crystal Palace. (Foto)

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Eine Zeit lang matchte man sich dort in der ersten Liga mit den Allergrößten.

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Schon 1988 holte die "Crazy Gang" einen sensationellen FA Cup-Sieg. Im Finale besiegte man das übermächtige Liverpool.

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Nach einem Umzug 2003 und der abgewendeten Insolvenz 2004 entstanden 90 Kilomenter voneinander entfernt praktisch zwei Nachfolgeklubs. Die Milton Keynes Dons (im Bild bei einem FA Cup-Duell mit den Queens Park Rangers vergangene Saison) in einer Stadt, 70 Kilometer nördlich der Londoner Stadtgrenze ...

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... und der AFC Wimbledon, der in London im Stadion "Kingsmeadow" spielt und von Fans des alten Klubs gegründet wurde. (Foto)

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Roberto Di Matteo war in der Saison 2008/9 Trainer der MK Dons und verpasste den Aufstieg in die zweite Liga knapp.

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Der AFC Wimbledon begann nach seiner Abspaltung 2002 ganz unten. Seither feierte mal fünf Aufstiege (hier 2008 der Jubel über jenen in die Conference South (6. Liga)). Derzeit kämpft man in der League Two (4. Liga). (Foto)

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Dort haben die "Wombles" sich in der vergangenen Saison bereits halten können, auch diesmal wirds für Maskottchen Haydon & Co. schwierig, die Klasse zu halten.

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Wenn am kommenden Wochenende in England die zweite Runde des ehrwürdigen FA Cups stattfindet, wird vom Glanz der Premier League nicht viel zu sehen sein. In der "Second Round Proper" spielen nur Klubs bis hinauf zur dritten Liga. Der noble Rest hat anderes zu tun und steigt in den ältesten Klubbewerb der Welt erst in der nächsten Runde ein.

Sportlich die meiste Beachtung verdient hätte sich deshalb vielleicht Hastings United. Das Team von der beschaulichen englischen Südküste ist der letzte verbleibende Siebtligist im Bewerb. Für den derzeit 16. der südostenglischen Regionalliga - der "Isthmian League"- ist der Auftritt beim eine Klasse besser gestellten Harrogate Town in North Yorkshire schon die sechste Hürde des Bewerbs.  Premier League-Teams wären in ihrer sechsten Runde bereits im Finale.

Brisantes Top-Spiel

Nachdem wir diese außergewöhnlich erfolgreiche Mannschaft entsprechend gewürdigt haben, kommen wir nun zum eigentlichen Aufreger dieses Pokalwochenendes. Es ist dies die Begegnung zwischen Milton Keynes Dons und AFC Wimbledon. Beide Vereine wurden erst in diesem Jahrtausend gegründet, ihre Heimstätten liegen rund 90 Kilometer auseinander und obwohl sie noch nie gegeneinander gespielt haben, mögen sie sich nicht besonders.

Die Legende will es, dass die Idee in einer feucht-traurigen Mai-Nacht des Jahres 2002 entstand, den AFC Wimbledon zu gründen. Im "Fox & Grapes", einem Stamm-Pub eingefleischter Wimbledon FC-Fans, tranken diese gegen den Frust an. Sie hatten gerade erst erfahren, dass ihr geliebter Verein umziehen würde. Weil man am Wochenende aber weiterhin einen lokalen Klub sehen und unterstützen wollte, beschloss man einen neuen zu gründen. Dort würden die Fans das Sagen haben. Kris Stewart, ein am selben Tag arbeitslos gewordener Finanzberater, sollte Präsident werden. Eine "Schnappsidee" nannte er das später. Zwei Tage darauf ließ man den Verein eintragen.

Niedergang eines Traditionsvereins

Was mit dem Wimbledon FC verloren ging, war ein damaliger Zweitligist. Die lange Geschichte der "Dons" aus dem Stadtviertel, das vor allem für sein Rasentennisturnier bekannt ist, reichte bis 1889 zurück. Aus dem Tritt kam der Verein in den 90er-Jahren, als wegen der Hillsborough-Katastrophe die Stadionauflagen in England verschärft wurden. Man verlor damals sein marodes Stadion und erholte sich nie so richtig davon. Bis 2000 spielte man trotzdem 14 Jahre durchgehend in der höchsten Liga, gastierte 1995 auch im längst vergessenen UI Cup.

In die höchsten Sphären geführt hatte den Klub eine "Crazy Gang" von exzentrischen Spielern und Funktionären, die am Platz einen extrem unansehnlichen Holzhackerstil pflegten. Die verrückte Bande errang 1988 auch den größten Kluberfolg: Den 1:0-Sieg im FA Cup gegen den damals dominanten Rekordmeister Liverpool.

Nicht im Interesse des Fußballs

Nach jahrelangen Turbulenzen und Überlegungen (unter anderem dachte man an eine Fusion mit den Queens Park Rangers) verlegte der FC schließlich 2003 sein Lager nach Milton Keynes. Erlaubt wurde das durch eine unabhängige dreiköpfige Kommission - entgegen den offenen Wünschen von FA, Liga und den Fans. Die Abstimmung endete 2:1. Die Begründung war burtal: Es sei "nicht im Interesse des Fußballs" (Original: "not in the wider interests of football"), den Wimbledon FC wieder an Ort und Stelle aus der Asche zu erheben. Stattdessen solle er umziehen und immer eine Verbindung zu seiner Geschichte bewahren.

In der anschließenden Diskussion kam die Angst vor einem aufkommenden Franchise-System auf. Wie US-Sportteams könnten Fußballklubs künftig gerne mal die Ortschaften wechseln, wurde befürchtet. Als begründet erwies sich diese Panik nicht. Andere Klubs blieben, wo sie waren. Weitere Fan-geführte Abspaltungen hatten andere Gründe.

Da wäre der FC United of Manchester, der 2005 aus Protest gegen die ManUnited-Eigentümer entstand (heute: 7. Liga). Oder der 2008 gegründete AFC Liverpool, dessen Gründer gar nichts gegen den "echten" Klub haben, aber einen Verein mit erschwinglichen Eintrittspreisen schaffen wollte (heute: 9. Liga). Oder der Portsmouth FC, der 2008 noch FA-Cup-Sieger war, dann komplett in die Pleite schlitterte und nun vor erst zwei Wochen von einem Fan-Trust übernommen wurde (3. Liga). Die Fans der "Wombles" betrachten den Umzug bis heute hingegen als eine Art Raub. 

Dorthin wo das Gras nicht ganz so grün ist

Milton Keynes ist eine junge Stadt, eine der sogenannten "New Towns". Das sind Siedlungen, die ab den 1960er-Jahren rund um London am Reißbrett erschaffen wurden, um den Bevölkerungszuwachs der Hauptstadt abzufangen. Rund um das beschauliche einstige Örtchen wuchs bis zur Ankunft des neuen Fußballklubs ein etwa 175.000 Einwohner großes Städtchen.  Bis 2003 gab es dort nur einen Verein, der im achten Untergeschoß spielte.

Einer dieser Bewohner sollte Peter Winkelman werden. Der erfolgreiche Musikproduzent und Investor war eine treibende Kraft hinter der Idee, höherklassigen Fußball in die Stadt zu bringen. Heute ist er der Vorsitzende des Vereins. Als dann nach langem Suchen und Lobbyieren der Wimbledon FC schließlich kam, kratzte das zuerst nur wenige seiner Mitmenschen. Der in der neunten Liga gegründete AFC Wimbledon soll in den ersten Jahren an seiner neuen Heimstädte "Kingsmeadow" mehr Zuseher gehabt haben, als der FC als Zweitligist auf seinem neuen Boden.

Milton Keynes wird Milton Keynes

Nur wenig später musste der verzogene Klub dann auch Insolvenz anmelden. Er überstand sie und benannte sich örtlich korrekt in Milton Keynes Dons um (die Integration des alten Spitznamens sorgt noch heute für Zwist). Damit seine Fanklubs nach langem Raufen in den landesweiten Fanverband aufgenommen werden konnten, musste der Verein sämtliche Titel und Würden aus der Ära des Wimbledon FC ablegen und sein Gründungsdatum auf 2004 festlegen.

Statt dem FA Cup steht heute die 2008 gewonnene Football League-Trophy ("Johnstone's Paint Trophy") in der Vereinsvitrine. Und weil man bis in die Niederungen der vierten Liga gesunken war, konnte man im selben Jahr auch den Titel der League Two für sich beanspruchen.

Winkelman bezeichnet es heute als "falsch", was zu Beginn des Jahrtausends passierte. "Ich bin nicht stolz darauf, wie der Fußball nach Milton Keynes kam", gestand der einstige Musikproduzent dem Guardian. Auf die Leistungen seither aber doch. Immerhin hat man ein Stadion aus dem Boden gestampft, das derzeit 22.000 Leute fasst und ab kommendem Jahr 32.000 Menschen Platz bieten wird. Hätte England die WM 2018 bekommen, wäre es ein möglicher Austragungsort gewesen.

Aufbauarbeit nach dem Abriss

"Die Leute glauben, das sei einfach", meint Winkelman, der eigentlich nie Eigentümer des Klubs werden wollte. Ursprünglich war es sein Plan, den Umzug und Stadionbau für den Wimbledon FC einzufädeln und dann einen Anteil am Klub zu behalten. Nach der Insolvenz musste er sich entscheiden - und er ging "all in": "Ich habe die Sache mit Geld begonnen, heute habe ich Schulden. Aber ich werde nicht rumweinen, ich habe ein großartiges Asset". Hm, ein Asset.

Freilich ist es in Wahrheit für die junge Region durchaus mehr als das. 35 Prozent der Stadionbesucher sind unter 18 Jahre alt. Der Verein hat auch ein Team für Menschen mit Behinderung. Ob man das große Stadion so schnell brauchen wird, wird sich trotzdem erst zeigen. Die Akzeptanz der Bevölkerung und neue Fans müssen sich die MK Dons und ihr junges Team immer noch erarbeiten. Derzeit liegt der Saisonrekord bei 10.500 Besuchern, der Schnitt bei knapp 8.300. In Österreich wäre man damit der fünftgrößte Klub, knapp hinter Meister Red Bull Salzburg (bei dem gewisse andere Ähnlichkeiten nun nicht von der Hand zu weisen sind). In England ist das lediglich Drittliga-Mittelmaß. 

Ziel: Zweite Liga

"Ich denke nicht, dass ein 30.000er-Stadion in 20 Jahren blöd aussehen wird", ist Winkelman optimistisch. Die Stadt ist jung, der Klub ist jung, man wird schon gemeinsam wachsen und zusammenwachsen. Mit der Championship kämen auch mehr Zuseher.

Sportlich sind seine Mannen zur Saisonhälfte immerhin voll im Aufstiegsrennen (im Gegensatz zu Johnny Ertls Portsmouth, das sich als 20. von 24 Teams gegen den erneuten Abstieg stemmen muss). Man liegt am dritten Platz. 2009 scheiterte man übrigens bereits knapp am Aufstieg. Der Trainer war damals übrigens der heute arbeitslose, amtierende Champions League-Sieger Roberto Di Matteo.

Auch finanziell käme der Schritt nach oben sehr gelegen. Das Stadion hat Geld gekostet, der Ehrgeiz, nach oben zu kommen, treibt die Spielergehälter. Der Klub verliert jährlich Geld.

Derby? Welches Derby?

Würde Milton Keynes den Aufstieg schaffen, wäre das aber auch eine gewisse Flucht vor der Vergangenheit. Denn der Wimbledon AFC hat sich in neun Jahren von der neunten bereits in die vierte Liga hoch gekämpft. Auch durch die "Isthmian League", deren Vorsitzender damals im FA Panel für den Umzug ihres alten Klubs gestimmt hat. Zwischendurch war man 78 Spiele lang unbesiegt - ein Rekord im englischen Erwachsenenfußball.

In seinem 4.700 Zuseher fassenden Stadion, das man mittlerweile gekauft hat (dazu aber auch einige Anteile des Fan-Trusts am Klub verkaufen musste), wehrt sich der AFC jetzt seit etwas über einem Jahr gegen den Abstieg. Weiter oben wird die Luft eben dünner. Aber immerhin ist man wieder in der Organisation der Football League vertreten. Ein Privileg, das die im Schnitt 3800 zahlenden Gästen vor zehn Jahren nicht mehr so schnell erhoffen konnten.

Auf das Duell - wer es "Dons-Derby" nennt, erntet böse Blicke von den "Wombles" - am Samstag freuen sich die Fans gar nicht besonders. "Es ist ein Spiel, das wenige Fans wollen", sagt Fan-Vorsitzender Simon Wheeler. Man möchte eigentlich gar nichts mit "dem Franchise" zu tun haben, wie man MK Dons abfällig nennt. Die Klubführung lehnt es ab, in Milton Keynes am Samstag die übliche Bewirtung zu genießen und die Fans sind gespalten darüber, ob sie überhaupt hinfahren sollen.

Einige werden es tun, um dort ihr Befinden zu verdeutlichen. Es werden bereits T-Shirts gedruckt. Darauf steht: "Not in the wider interests of football". (tsc, derStandard.at, 29.11.2012)