Felix Dörmann (1870-1928).

Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Wien - "Verdienen, um jeden Preis verdienen." Und: "Reich und mächtig wird man nie mit den Gesetzen - sondern gegen sie." Diese Sätze stammen nicht aus einem Wirtschaftsroman der heurigen Herbstproduktion, sondern aus Felix Dörmanns lange vergriffenem Roman Jazz (1925), der nun, herausgegeben von Alexander Kluy, in der Edition Atelier wiederaufgelegt wurde.

Felix Dörmann, 1870 in Wien geboren, machte sich schnell als Journalist, Mitgründer einer Filmproduktionsgesellschaft, Librettist und besonders durch seinen Gedichtband Neurotica, den er 1891 publizierte, einen Namen. Zwar sah Karl Kraus in dem jungen Dichter einen "Nervenprotz", Arthur Schnitzler konstatierte hingegen "sehr schöne Sprach- und Stimmungseinzelheiten" - wobei das Werk von Brutalität nicht frei sei.

Roh geht es auch in Dörmanns erstem Roman Jazz zu, den er nach einigen durchgefallenen Theaterstücken schrieb. Angesiedelt ist das Buch in den frühen 1920er-Jahren in Wien. Die Monarchie ist Geschichte, der Krieg verloren und große Teile der Bevölkerung sind verarmt. Doch einige sehen die Chance, durch gegen die österreichische Krone gerichtete Währungsspekulationen reich zu werden, sehr reich.

So auch der 40-jährige Ungar Ernö Kalmar, Ex-Automobilagent, Ex-Juwelenhändler, Ex-Redakteur - und Ex-Kommunist. Wie viele muss er, als der "Reichsverweser" Miklós Horty ans Ruder kommt, Ungarn Richtung Wien verlassen.

Hier wird er seinem roten Idealismus schnell abschwören und es mit gnadenlosen Schiebereien und Börsenspekulationen zu märchenhaftem Reichtum bringen. In Wien trifft er auch die 20 Jahre jüngere verarmte Baronesse Marianne. Er muss die atemberaubend Schöne nicht nur haben, er will sie besitzen.

Was gelingt - Kalmar wird Marianne nicht zuletzt seines Geldes wegen heiraten können. Schließlich handelt es sich um eine Zeit, in der "alles am Markte" zu haben ist, "Kommerzwaren und Kunstschätze, die Ehre der Frauen und die Gesinnung der Männer".

Doch erstens hat Kalmar im Finanzmagnaten Wiesel einen Nebenbuhler, und zweitens lernt Marianne Leo kennen, einen Konsumverweigerer und Prediger des Guten im Menschen. Kalmar wird ihn in den Selbstmord treiben. Gutgehen kann das alles nicht. Irgendwann platzt jede Blase - nicht nur an der Börse.

Jazz ist ein rasanter, kolportagehafter Stadtroman über Gier, Angst, Inflation und Spekulation, in dem die titelgebende Musik im Hintergrund mitdröhnt. "Ich bin dieser ohrenzerreißenden Musik des Lebens herzlich müde," schreibt Marianne am Ende des Romans in einem Brief, denn "es hat sich ausgejazzt in mir und um mich. Die Bande packt ein und zieht ab."   (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 6.12.2012)