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In Rio de Janeiro widmete ihm die Brasilianische Akademie der Künste selbstredend eine Großausstellung: Jorge Amado (1912-2001).

Foto: apa / EPA/Companhia das Letras

Ein grenzgenialer Säufer. Ein begnadeter Freund. Der Casanova des Armenviertels Pelourinho und Liebhaber zahlloser Frauen gleich mehrerer Generationen, die ausschließlich Söhne zur Welt bringen, mit deren Erziehung der Erzeuger nicht das Geringste zu tun hat. Hochgeschätzter Priester, genialischer Ethnologe und Chronist.

All dies ist Pedro Archanjo, die Hauptfigur eines der wichtigsten Romane des Brasilianers Jorge Amado, dessen Geburtstag sich diesen August zum 100. Mal jährte. Noch heute ist der 2001, wenige Tage vor seinem 89. Geburtstag verstorbene Erzähler der in seinem Heimatland beliebteste Autor, wenn auch mittlerweile bei der akademisch geprägten Kritik umstritten.

Hierzulande war er vor allem in den 1960ern, 1970ern, auch noch in den frühen 1980er-Jahren viel und gern gelesen, was etwa die Verfilmung seines 1958 erschienenen Romans Gabriela wie Zimt und Nelken mit Sônia Braga und Marcello Mastroianni belegt.

Noch ausgeprägter war seine Rezeption in der DDR. War doch Amado selber, bis in die 1950er-Jahre hinein, Kommunist. Was dann jedoch immer stärker ersetzt wurde durch das Faible für seine Heimatstadt Salvador da Bahia.

Die auch in der Werkstatt der Wunder den Hintergrund bildet, einer Epopöe, die im Original 1969 erschien und die nun Karin von Schweder-Schreiner sehr gut neu übersetzt hat. Als die Handlung einsetzt, im Jahr 1968, ist Archanjo bereits ein Vierteljahrhundert tot, fast vergessen und angetrunken 75-jährig in einer kleinen Gasse einem Herzinfarkt erlegen.

Als nun ein hochrenommierter US-amerikanischer Völkerkundeprofessor ihn bei einer Rede in Salvador in höchsten Tönen und als größten Sohn der Stadt preist, ist die Stadt elektrisiert - weil ihn in der besseren, vulgo: weißen Gesellschaft niemand kennt. Umgehend wird versucht, ihn, den Mulatten, 30 Jahre lang als Pedell bei der Medizinischen Fakultät der lokalen Universität tätig, zu vereinnahmen: politisch, gesellschaftlich, wissenschaftlich, rassisch.

Vor allem Letzteres liegt Amado in diesem überschäumenden Fabulierwerk, in dem eine Grablege zum siebentägigen Karneval wird, in dem Lebensfreude mit Rassismus konfrontiert wird, Politisches mit Unterdrückungsmechanismen einhergehen und doch Lebenslust und Stolz der kleinen, aufrechten Leute nicht brechen kann, am Herzen.

In Pedro Archanjo konzentriert sich Amados Loblied auf die Vermischung von Europa und Afrika, von Aufklärung und animistischen Religionen in einer schier überlebensgroßen, dabei lebenslang geerdeten und das Irdische mit Willen zur überbordenden Sinnlichkeit auskostenden Figur.

Ist das holzschnittartig? Durchaus. Natürlich hantiert Amado mit Klischees und mit bekannten Brasilien-Projektionen von Erotik, Exotik und Körperlichkeit, die jedoch hier, unwiderstehlich schelmisch und in barock ausschweifenden Sprachgirlanden, magisch von innen zu leuchten anheben. (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 7./8./9.12.2012)