Throbbing Gristle gingen 1976 aus der britischen Performance-Gruppe COUM hervor. Sie gelten als zeitlebens für Diskussionen sorgende Begründer der sogenannten Industrial Music als einer der härtesten Brocken, denen man sich musikalisch aussetzen kann. Die Bandmitglieder Genesis P-Orridge, Peter "Sleazy" Christopherson sowie Chris Carter und die ehemalige Pornodarstellerin Christine Carol Newby alias Cosey Fanni Tutti produzierten deklarierte Antimusik und behübschten ihre Auftritte mit extremen Filmzuspielungen.
Man setzte sich gemeinhin mit Totalitarismus, Gewalt und menschlichen Abgründen auseinander, die auch in Extremperformances mündeten. Bei denen wurden, vorsichtig gesagt, sämtliche Geschmacksübereinkünfte mindestens hinterfragt. Alben wie The Second Annual Report, D.O.A. The Third Annual Report, 20 Jazz Funk Greats, Mission Of Dead Souls oder Heathen Earth zählen zum Kanon der Undergroundmusik.
Nachdem sich die Band Anfang der 1980er-Jahre aufgrund persönlicher Zerwürfnisse aufgelöst hatte, folgten mit Psychic TV oder Chris & Cosey sowie Coil diverse, teilweise richtungsweisende und im Falle von Peter Christophersons Coil mitunter auch musikalisch überzeugende Soloprojekte. Wegen viel Geld fand man sich in den Nullerjahren bis zum erneuten Eklat mit Sänger Genesis P-Orridge wieder in Originalbesetzung zusammen - und stellte die Vergangenheit reichlich lustlos mit Laptoptechnik nach. Das raubte der alten Glanzzeit zwar nicht die infernalische Live-Lautstärke, aber entschieden die Körperlichkeit.
Genesis P-Orridge geht seitdem den chirurgischen Weg der Transformation vom Mann zum pansexuellen Wesen. Und Peter Christopherson, der in den frühen 1970er-Jahren als Designer unter anderem auch im Hipgnosis-Design-Team in London für richtungsweisende Covergestaltung von Pink-Floyd-Alben zuständig war (und damit zu Wohlstand gelangte), starb 2010 überraschend im Schlaf in seiner Wahlheimat Thailand.
Zuletzt bereitete das nach dem Ausstieg von P-Orridge von Throbbing Gristle zu X-TG umbenannte Trio unter Federführung Christophersons ein Tributalbum für die deutsche Sängerin Nico vor (Velvet Underground). Deren Soloarbeit Desertshore von 1971 sollte zur Gänze neueingespielt werden. Chris Carter und Cosey Fanni Tutti haben diese Arbeit nun mit diversen Gastsängern fertiggestellt und mit einem zweiten vollständigen Album namens The Final Report ergänzt.
Kampfmönche im Rotlichtmilieu
The Final Report, letzte Studioimprovisationen als Trio, kommt dabei zwar als mediokrer elektronischer Brocken daher, in dem sich jazzige Gottseibeiuns-Sounds mit heiligem Lärm, Blähungen im Bassbereich und zähen Beats mischen, die Fahrstuhlmusik als Stille hörbar machen. Desertshore selbst aber ist dank einer illustren Gästeschar sogar für ein weniger eingeweihtes Publikum durchaus hörbar geraten. Die mantraartigen Songstrukturen, die mittelalterliche Kampfmönche mit Geisterfrau-Chorälen aus dem Rotlichtmilieu verbinden und in die geschlossene Abteilung überführen, bilden die Grundlage für die Gastauftritte.
Allzweckwaffe Antony aus New York ist dabei, ebenso der alte britische Weggefährte Marc Almond (Soft Cell) oder Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten. Bargeld gibt die grummelig-krächzende teutonische Terrordiva Nico dann auch ziemlich originalgetreu. Ein unaufgeregter, aber würdiger Abschied. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 14.12.2012)