Ronald Pohl, "pound in pisa. Die Badeküsser." Prosa. € 13,90 / 88 Seiten. Ritter, Klagenfurt 2012

Cover: Ritter Klagenfurt

Gibt es einen Unterschied zwischen einer "heroischen" Geschichte und einer banalen Alltagsgeschichte, wenn sie mit den gleichen euphorischen Mitteln der Geschichtsschreibung aufgezeichnet wird?

Ronald Pohl, Kulturredakteur beim STANDARD, versucht mit einer Art Doppelpack-Prosa durch die Höhen und Tiefen einer Epoche eine poetische Spur zu ziehen. Einmal widmet er sich dem Schriftsteller und politischen Grenzgänger Ezra Pound (1885-1972), zum anderen "besingt" er mit den Augen eines wohlbehüteten Kindes eine elegante Szenerie am Badestrand einer virtuellen Belle Époque. In einer Prosa mit dem Atemzug der " Cantos" tritt im ersten Teil Ezra Pound vor die Augen der GIs, die ihn offensichtlich festgenommen haben, obwohl er sich vielleicht selbst gestellt hat. Sein politisches Abenteuer als Unterstützer Mussolinis ist beendet, seine Gedankengänge freilich kreischen noch immer durch einen Filz aus Patriotismus und Faschismus. "lasst uns liebe g.i.s. neue rutenbündel flechten" flegelt das lyrische Ich ungeniert jene Kräfte an, die es festgesetzt haben.

In einem historischen Parforceritt in Gestalt eines äthiopischen Fluges wird der Kolonialismus Italiens in Eritrea und Äthiopien im Sinne eines faschistischen Schöpfungsberichts dargestellt, heroische Vokabel überschlagen sich, und plötzlich sind in diesem Desaster an Okkupation und Ausschürfung der Bodenschätze auch die Strukturen der USA angesprochen, wenn es etwa darum geht, das eigene Land mit dem Hoover-Damm unter Wasser zu setzen.

Während das lyrische Ich noch die Herrschaft des Kapitals denunziert, lässt es über die eigene Einstellung keinen Zweifel offen: "in meinen eingeweiden schmatzt der bandwurm des faschismus".

Während sich pound in pisa als literarisch überhöhte Biografie oder als essayistische Dokumentation eines faschistischen Geniebegriffs lesen lässt, geht es in der Sequenz Die Badeküsser um die Kehrseite dieser Geschichte. Scheinbar völlig unpolitisch und zukunftsfroh erlebt ein Junge das Treiben am Badestrand mit den Ritualen einer wohlhabenden Society-Gesellschaft. Vor der Umarmung des Großvaters müssen die Hände gewaschen werden, durch den klassischen Blick durch das Astloch einer Umkleidekabine tut sich der Frauenkörper als Ikone der Schönheit auf, ein friulanisches Fräulein zelebriert auf der Promenade die Reinheit von Erotik.

"Oder das friulanische Fräulein hätte sich nach dem Betreten der Veranda plötzlich erbrochen gehabt: Wäre, nachdem sie eben noch den Kopf an die Schulter ihres Gemahls gelehnt, mit dem kaum anverdauten Nachtmahl unversehens niedergekommen [...]" Die einzelnen Flashes der Badegesellschaft ziehen als Konjunktiv des Schauens vor dem Beobachter auf, so könnte es sein, wenn scheinbar ohne höhere Ordnung die Figuren sich im Augenblick versuchen. So erweist sich das Bemühen eines Kaufmanns um das Fräulein als vergeblich, weil auf dem Spielbrett des Sich-treiben-Lassens keine dauerhafte Strategie der einzelnen Figuren vorgesehen ist. Unter dem Blickwinkel des beobachtenden Knaben entwickelt sich vor lauter Zukunftsmöglichkeiten eine Zukunftslosigkeit.

Ronald Pohl erzählt mit einem schier unzähmbaren Duktus an der Außenhaut der Geschehnisse entlang, dabei spitzt er seine Formulierungen poetisch sarkastisch zu, sodass die einzelnen Bedeutungen aufplatzen und unendliche Sinnpartikel wie Sporen in einen Kosmos voller Fiktionen sprengen. Die faktische Welt der gesicherten Geschichte und die fiktionalen Partikel einer stilisierten Kindheit - subversive Prosa voller Sprengkraft! (Helmut Schönauer, Album, DER STANDARD, 22./23.12.2012)