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Einer von vielen kleinen Zeitungstoden im abgelaufenen Jahr: die letzte Ausgabe des deutschen Ablegers der "Financial Times" auf dem Weg von der Druckwalze zum Leser.

Foto: APA/epa

Print stirbt, heißt es. Aber es geht nicht ums Papier, ums Drucken, sondern um mehr: Es geht um die freie Presse. Zu der gehören mehr denn je Internetangebote, Tablet-Zeitungen und Mobilportale. "Zeitung", das sind längst alle Kanäle und Produkte einer ursprünglichen Print-Marke. Die Gedruckt-gegen-Online-Debatte nervt deshalb, ebenso wie die Krokodilstränen nach jeder Pleite, die Besserwisserei, die Häme und die Selbstgerechtigkeit in der Branche, von der einige Blender sogar leben können. So schlecht kann's uns ja nicht gehen, wenn für Scharmützel noch Zeit ist. Die Krise hat auch so genügend Dimensionen.

1. Die eigene Nase

Es wird manchmal vergessen, und deshalb dies zuerst: In den Verlagen arbeiten Tausende leidenschaftliche, engagierte, talentierte Menschen, egal ob Print oder Online, ob Redaktion oder Vermarktung. Sie liefern Produkte ab, die ihr Geld wert sind.

Getünchtes Mittelmaß

Dennoch, ja: Es gibt Journalisten und Manager, die mit der dramatischen Veränderung nichts anfangen können, Angst davor haben, darauf warten, irgendwer könne die Zahnpasta in die Tube zurückdrücken. Es gibt Zeitungen, denen man auf jeder Seite ansieht, wie wenig Mühe, Sorgfalt und Leidenschaft dahinter stecken. Es gibt Vertreter unserer Zunft, die das Wort "Qualitätsjournalismus" immer noch über tendenziöses, schlecht geschriebenes, irrelevantes und mies recherchiertes Mittelmaß tünchen. Wenn das alles wäre, was es zu sagen gibt über die Medienhäuser, dann sollen sie untergehen. Aber das ist nicht alles!

2. Die Kunden

Manche Kritik ist nur noch absurd. Das beginnt bei Lesern, die sich beschweren, dass ihre gedruckte Zeitung noch keine aktuelle Nachricht über die US-Wahl enthält, obwohl deren Ergebnis erst um 5 Uhr morgens, also eine Stunde vor der Zustellung, feststand. Es zeigt sich in Ignoranz gegenüber dem Aufwand, der hinter journalistischen Produkten steckt. Im November 2010 hatten wir eine der ersten deutschsprachigen, echt multimedialen iPad-Zeitungen auf den Markt gebracht. Auf einem Spezialportal für Apple-Fans stand kurz darauf eine hymnische Besprechung. Nur einen Haken erwähnten die Autoren gleich dreimal: den gewaltigen Preis von 79 Cent pro Ausgabe. 79 Cent!

Außerdem sind angeblich alle Journalisten viel zu links. Außer denen, die viel zu rechts sind. Je nachdem, wen Sie fragen, gilt beides gleichermaßen sogar für dieselbe Zeitung.

Zum Beispiel in Stuttgart. Wenn der Kommentator zum Bau eines Bahnhofs eine andere Haltung vertritt, wird vom andersdenkenden Wutbürger sofort das Abo gekündigt. Vielleicht ist die Krise der Zeitungen ja auch eine Krise des Pluralismus? Dass man in einer Metropole eine Zeitung mit sechsstelliger Auflage nur machen kann, wenn man verschiedene Meinungen zu Wort kommen lässt und sowohl Redakteure als auch Leser aushalten müssen, sich nicht immer darin wiederzufinden, ist doch nachvollziehbar. Oder?

3. Das Internet

Das Internet ist an allem schuld! Die digitale Demenz, die Jugend von heute, die nicht weiß, wie man guten Journalismus macht. Vom Bundestagspräsidenten bis zum (Ex-)Zeitungsmacher sehnen sich viele nach früher. Richtig daran ist: Die Zeiten waren geschäftlich rosiger, als die Anzeigenabteilung morgens nur entscheiden musste, für welche der Buchungen, die aus dem Fax quollen, kein Platz mehr ist im Blatt. Heute ist der Spardruck groß, die Teams sind kleiner.

Aber das bedeutet nicht, dass sie schlechter geworden wären. Moderne Redaktionen machen Print, Webseiten, Videos, Apps, sie entwickeln Produkte. Wir gehören doch längst selbst zu den Menschen, die Smartphones in die Bahn mitnehmen statt Zeitungen. Und wer glaubt, früher seien Zeitungen interessanter, kreativer, besser geschrieben oder gehaltvoller gewesen: Ein Blick ins Archiv reicht, um das zu widerlegen.

4. Das Geld

Im Umbruch und gegen den unlauteren Wettbewerb gebührenfinanzierter Konkurrenz teilen alle in den Pressehäusern das große Problem: Nicht der Journalismus wankt, sondern das Geschäftsmodell, das ihn sichert. Nur Ignoranten kann das egal sein. Wenn das Modell freie Presse stirbt, dann stirbt es Print und Digital. Rechercheure, die in wochenlanger Kleinarbeit von den Behörden verheimlichte Kosten von Großprojekten ausrechnen, werden fehlen. Korrespondenten, die in Afghanistan ihr Leben riskieren; Reporter, die im tosenden Stadion mit dem Schlusspfiff den Spielbericht fertig haben; Redakteure, die aus dem unerschöpflichen Informationsfluss nach möglichst objektiven Kriterien das auswählen, das sich zu wissen, zu erklären, zu kommentieren lohnt.

Henne und Ei

Das Internet hat neue Formen des unabhängigen Journalismus ermöglicht, darunter extrem spannende Blogs, die wahrzunehmen die klassischen Medien zu oft versäumen. Aber diese Modelle stehen selbst da, wo sie nicht ohnehin ein Hobby sind oder auf Selbstausbeutung beruhen, auf wackeligen Beinen. Ohne das Geld, das die Macher vieler guter Blogs als Freie bei klassischen Medien verdienen, sähe es für sie düster aus. Beim zweiten teuren Rechtsstreit sowieso.

Ohne Infrastruktur, ohne Profis, die Geld hereinholen, ohne Anwälte, ohne Verlage, um das böse V-Wort mal zu nennen, ist unabhängiger Journalismus zumindest im Großen nicht denkbar. Es gibt das Ei nicht ohne Henne und keine Henne ohne Ei.

So wie die Nichtwähler erst in der Diktatur merken, dass sie lieber wählen würden, werden viele Konsumenten einen Journalismus, auf dem nicht der Stempel einer Partei, einer NGO, eines Konzerns oder des Staates prangt, vielleicht erst vermissen, wenn er nicht mehr finanzierbar ist.

5. Die Ansprüche

Gejammer ist nicht sexy. Niemand abonniert aus Mitleid. Umso verstörender ist, dass jene, die sich anstrengen, aus der eigenen Zunft oder von bloggenden Besserwissern am meisten vor den Koffer bekommen. Wenn Verlage Zeitungsseiten per PDF aufs Tablet bringen, werden sie von Beratern und Medienprofis ausgelacht, weil sie den digitalen Wandel nicht verstanden haben. Wenn sie stattdessen eine multimediale Zeitung erfinden, höhnen dieselben Berater und Medienprofis über die hohen Kosten.

Alle können herunterbeten, wie dämlich es war, Journalismus kostenlos ins Netz zu stellen. Nehmen Verlage jedoch Geld, dann erklären dieselben Leute, warum Bezahlschranken ein Irrweg sind. Und Ideen wie ein Leistungsschutzrecht beweisen nur, dass Verlage Abzocker sind. So werden Debatten geführt, mit Schaum vorm Mund, oft zur Selbstbefriedigung und zu oft ohne Hinweis auf eine Lösung.

6. Die Arroganz

Es gibt im Journalismus so eine seltsame Haltung, die das meiste, was wir tun, selbst geringschätzt. Vielleicht sollten wir mal wieder runterkommen von den Fiktionen, die Recherche-Netzwerker predigen. Nicht jeder kann und soll ein Bob Woodward sein und wertvoller Journalismus ist nicht nur die große Enthüllungsstory. Wir Journalisten sind nicht dazu da, das Klima zu retten oder den Reichtum umzuverteilen.

Wer das will, soll zu Greenpeace gehen, nicht in eine Redaktion. Und wer das Lokale, das Kleine und die Unterhaltung geringschätzt, nimmt am Ende die entscheidenden Menschen nicht ernst, die uns bezahlen sollen: User, Leser, Kunden. Davon gibt es immer noch Millionen. Und es gibt Millionen, die wir gewinnen müssen.

Nicht jammern

Überwinden wir die Krise? Entsteht aus ihr etwas Neues, Gutes? Keiner weiß das so genau. Aber wenn es einen Weg aus der Finsternis gibt, dann besteht er nicht aus Jammern oder Anklagen, sondern aus Fortschritt, aus Fleiß, aus Kreativität.

Egal auf welchem Medium. Unter dem Zeitdruck, der dazu gehört, dem Kostendruck, der nicht mehr nachlässt - in der Hoffnung, dass auch gute Zeiten noch vor uns liegen. (Tobias Kaufmann, DER STANDARD, 29./30.12.2012)