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"Ein Erik Zabel kommt ja nicht her und sagt, wir sollen uns etwas reinhauen, er kann uns in ganz anderen Dingen zur Seite stehen, schließlich war er einer der größten Sprinter aller Zeiten."

Foto: AP/ Ng Han Guan

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Marco Haller (hier im Moment seines bisher größten Triumphs): "Man muss mit sich selbst im Klaren sein, welchen Weg man geht. Will man Rekordsieger werden oder nur hie und da gewinnen und das dafür sauber?"

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Es war im Herbst vergangenen Jahres als Radprofi Marco Haller bei der Peking-Rundfahrt niemand geringeren als Sprintass Alessandro Petacchi überlistete und damit erstmals groß aufzeigte. Am Wochenende starte der 21-jährige Kärnter bei der Katar-Rundfahrt in die Saison. Zuvor bedauerte er im Gespräch mit derStandard.at, dass sein Rennstall Katjuscha heuer nicht die Pro-Tour-Lizenz bekommen hat und er somit auch nicht beim Giro d'Italia starten kann.

derStandard.at: Die UCI hat Ihrem Team Katjuscha nicht die Pro-Tour-Lizenz ausgestellt. Das Team des Weltranglisten-Ersten Joaquim Rodriguez (ESP) genießt nicht den besten Ruf. Galimsjanow, Kolobnew oder auch der Österreicher Pfannberger wurden in den letzten Jahren positiv getestet, es gab Ermittlungen gegen fünf Katjuscha-Profis im Zusammenhang mit Dopingarzt Ferrari und Menchov soll Kunde von Matschiner gewesen sein. Eigentlich nicht verwunderlich, dass die UCI skeptisch ist, oder?

Marco Haller: Wir hatten letzte Saison einen positiven Fall und der Fahrer hat auch bestätigt, dass das Team nichts damit zu tun hatte. Ich kann nur immer wieder betonen, dass ich in meinem Team nichts davon mitkriege, die Zeiten des systematischen Dopings sind vorbei, da bin ich mir hundertprozentig sicher.

Das Problem ist, dass wir Fahrer die meisten dieser Informationen nur aus den Medien erfahren und dass es keine konkrete Stellungnahme von Seiten der UCI gibt, warum wir keine Lizenz erhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu viele Skandale der Grund für die Nichterteilung der Lizenz waren. Euskaltel-Euscadi zum Beispiel fährt bei der Vuelta und schaffte es nicht die Novembergehälter der Fahrer zu zahlen. Oder Garmin-Sharp, sie starten mit drei gesperrten Fahrern in die Saison.

derStandard.at: Wie sieht nun der Plan B ohne Pro-Tour-Lizenz aus?

Haller: Wir sind alle sprachlos aber es hilft nichts herum zu jammern. Unser Plan B heißt Professional-Continental-Rennen. Wir müssen versuchen, über Wildcards zu den großen Rennen zu kommen. Richtig deppat ist, dass es mit dem Giro nicht klappt, den ich hätte fahren sollen, aber so ist das eben im Leben. Für mich wird es ein Jahr in der zweiten Division werden, aber für einen jungen Fahrer muss dies kein Nachteil sein. Ich versuche, das Beste aus der Situation zu machen. Paris-Roubaix wäre eine super Erfahrung für mich gewesen, allerdings muss ich mir eingestehen, dass es unrealistisch wäre, dort mit 21 Jahren ein tolles Ergebnis zu erzielen.

derStandard.at: Wjatscheslaw Jekimow ist Teammanager bei Katjuscha. Jener Jekimow, der gemeinsam mit Armstrong für das Discovery Channel-Team fuhr und bei fünf Doping-Toursiegen mithalf. Sportlicher Leiter in Ihrem Team ist Erik Zabel, der Doping gestanden hat. Ist das in punkto Vorbildwirkung nicht problematisch, wenn solche Herren ein Team managen?

Haller: Ich sehe das nicht problematisch, weil auch in anderen Teams viele Leute unterwegs sind, die Dopingvergangenheit haben und wenn Zabel Doping in den 90er-Jahren gestanden hat, ist das ein anderes Paar Schuhe. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine neue Generation an Fahrern, zu denen auch ich mich zähle, unterwegs ist und ich möchte betonen, dass es absolut möglich ist, sauber Erfolge zu feiern. Das habe ich in Peking bewiesen. Leider wird die Vergangenheit immer wieder aufgerollt, aber ich denke, man sollte den jungen Fahrern eine Chance geben. Ein Erik Zabel kommt ja nicht her und sagt, wir sollen uns etwas reinhauen, er kann uns in ganz anderen Dingen zur Seite stehen, schließlich war er einer der größten Sprinter aller Zeiten.

derStandard.at: Der Radprofi hat seit Jahren unter einem derart schlechten Ruf zu leiden, wie kein anderer Profisportler. Belastet das nicht sehr?

Haller: Nicht so sehr, wie man vielleicht vermuten würde, vor allem aus dem Grund, weil ich an mir immer wieder sehe, dass es auch genauso gut ohne Doping funktioniert. Es wird leider immer und überall Schwindler geben, im Sport wie in der Wirtschaft oder der Politik. Man muss mit sich selbst im Klaren sein, welchen Weg man geht. Will man Rekordsieger werden oder nur hie und da gewinnen und das dafür sauber? Ich glaube, dass der Radsport viel sauberer geworden ist und ich bin überzeugt davon, dass Junge wie Ältere eingesehen haben, dass es unter dem Strich keinen Sinn macht zu dopen. Vielleicht ist auch der Fall Lance Armstrong ein gutes Beispiel um zu sehen, dass irgendwann die Wahrheit ans Licht kommt, auch wenn es Jahre dauert.

derStandard.at: Machen Sie sich Gedanken zum Fall Armstrong?

Haller: Ich befasse mich kaum mit Dopingfällen, egal ob Contador oder Armstrong. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Nur der Fall Armstrong hat für mich einen bitteren Beigeschmack, weil ich in meiner Kindheit noch bei seinen Erfolgen mitgefiebert habe. Die Heldengeschichte des Krebskranken, der zum Seriensieger aufstieg, hat sich nun in Luft aufgelöst.

derStandard.at: Sie haben im Oktober letzten Jahres mit dem Sieg bei einer Etappe der Peking-Rundfahrt Ihren bislang wohl größten Erfolg gefeiert. Wie setzt man sich gegen einen Sprintroutinier wie Alessandro Petacchi durch? 

Haller: Er war nicht der einzige, den ich bezwingen konnte, es waren ja auch Boasson Hagen, Sebastian Haedo, Elia Viviani und wie sie alle heißen am Start. Es war schon eine geile Sache, aber ich bin mir auch bewusst, dass auch eine Portion Glück dazugehört hat. Allerdings hat man auch gesehen, dass ich das Zeug dazu habe. In einem jungen Rennfahreralter ist man allerdings noch recht inkonstant, gute und schlechte Tage liegen oft ganz knapp beisammen. Ich hoffe aber, dass es 2013 mehr von diesen super Tagen geben wird.

derStandard.at: Haben Sie die Sprintelite überrascht?

Haller: Es war die definitiv letzte Chance der Saison für Sprinter. In meinem Team gab es über Funk eine Diskussion, wer an diesem Tag der Sprinter sein sollte. Ich habe zum ersten Mal gesagt: "Jungs, ich möchte, dass ihr heute für mich fahrt!" Und das haben sie hervorragend gemacht, ich wurde auf den letzten 15 Kilometern gut in Position gebracht und am Ende habe ich genau das gemacht, was ich am besten kann, einen langen Sprint fahren. Mein Glück war, dass auch Petacchi einen langen Sprint fahren wollte. Ich konnte mich schön in seinem Windschatten ansaugen und auf den letzten Metern an ihm vorbeiziehen.

derStandard.at: Hat sich Petacchi verschätzt?

Haller: Ich glaube schon. Es war ein total schnelles Finale, die letzten 2,8 Kilometer verliefen schnurstracks gerade aus und man konnte beinahe nicht spüren, wenn man immer hinter seinen Helfern herfuhr, dass es doch ein bisschen Gegenwind gab. Weiters war die Straße enorm breit und so war es ziemlich schwierig alle Konkurrenten im Auge zu behalten. Im Nachhinein betrachtet hat er den Sprint sicher einen Tick zu früh angesetzt.

derStandard.at: Wenn man die Ergebnislisten im Web studiert, dann sieht man, dass Sie in Ihren jungen Jahren unzählige Spitzenergebnisse auf der Bahn herausgefahren haben...

Haller: In Wahrheit war ich ein Exot auf der Bahn. Ich habe, wenn die ohnehin kurze Saison bei den Nachwuchsfahrern zu Ende war, öfter einen kurzen Wien-Urlaub eingeschoben und bin zum Spaß im Dusika-Stadion die Bahnmeisterschaften gefahren. Dass ich dabei fast alles gewonnen habe, war eine nette Nebenerscheinung, international waren meine Zeiten auf der Bahn nicht konkurrenzfähig und daher nicht wirklich erwähnenswert. 

derStandard.at: Ihre Stärken?

Haller: Ganz klar im Sprint, allerdings schlägt mein Herz für die nördlichen Klassiker höher. Nur braucht es für diese Rennen, die über 260 Kilometer und mehr gehen ein bisschen mehr Substanz um über diese Distanz konkurrenzfähig zu sein. Deshalb werde ich in den nächsten Jahren sicher kleinere Rundfahrten anvisieren und erst später mein Glück bei den Klassikern suchen.

derStandard.at: Was ist das Faszinierende für Sie am Radsport?

Haller: Ich war immer schon ein leidenschaftlicher Sportler und schwer zu bändigen (lacht). Was mich am Radsport fasziniert, ist, dass wir die Welt bereisen und dass wir im Gegensatz zu Weltklassefußballspielern, die in den großen Städten und Stadien spielen, tatsächlich noch im Land herumkommen, einmal in einem kleinen Landhotel absteigen, ein anderes Mal im Nobelhotel nächtigen. Das ist geil und für mich in meinem Alter auch kein Stress, wenn ich 50 Mal im Jahr in einen Flieger steigen muss. Außerdem macht es mir überhaupt nichts aus, 150 bis 200 Tage im Jahr aus dem Koffer zu leben. Mir taugt es, mich an die eigenen Grenzen heranzutasten. Das funktioniert auf dem Rad gut, denn nur wenige Sportarten sind härter als der Radsport.

derStandard.at: Wie begann das Abenteuer?

Haller: Ich habe in jungen Jahren von Ski alpin, Fußball, Eishockey bis hin zum Radsport viele Sportarten ausgeübt. Es war eigentlich mein Vater, der mich in diverse Sportklubs getrieben hat, um mich, wie ich glaube, einfach erträglich zu machen. Irgendwann hat sich herauskristallisiert, dass der Radsport das Interessanteste für mich ist und von da an gab es nichts anderes mehr. Ab 14, 15 wird man schon zu einem Halbprofi auch wenn man noch nichts verdient. Man muss auf vieles verzichten, weil der Radsport schon im Juniorenbereich sehr professionell abläuft. Es kann nicht funktionieren, wenn man jedes zweite Wochenende in die Disko geht.

derStandard.at: Ist der Radrennsport auf einem guten Weg?

Haller: Durch die Causa Armstrong hat er sicher wieder einen Dämpfer bekommen, aber es sind alle Verantwortlichen unermüdlich damit beschäftigt, den Radsport wieder auf Vordermann zu bringen. Es wurden Organisationen gegründet, wie das "Movement for Credible Cycling". Durch noch mehr externe wie auch teaminterne Kontrollen wird darauf geschaut, dass der Sport sauber ist und es für etwaige Betrüger schwierig wird, sich durchzuschummeln. Mit dem Doping-Kontrollsystem wie zum Beispiel dem "Adams control system" ist der Radsport definitiv auf einem guten Weg und weil es exzellent funktioniert, gibt es vielleicht auch mehr positive Fälle als anderswo. 

derStandard.at: Und in Österreich?

Haller: Hier sieht es ganz erfreulich aus. Es ist mit Daniel Schorn bei NetApp, Stefan Denifl und Matthias Brändle (beide IAM Cycling), Matthias Krizek (Cannondale), Lukas Pöstlberger, der letztes Jahr Staatsmeister wurde und mir bei Katjuscha eine neue, junge Generation im Anmarsch. Wir müssen uns klar sein, dass wir jetzt die neuen Vorbilder für die Jugend sind. Wenn wir in den Medien präsent sind und zeigen, dass es auch ohne Doping geht, dann kann der Radsport sehr wohl wieder einen Aufschwung haben. Mich ärgert, dass ein Bernhard Kohl heute noch im Fernsehen verkündet, dass man mit spätestens 17 Jahren mit dem Dopen anfangen muss. Das ist für mich ein enormer Schwachsinn und ich verstehe nicht, welchen Profit er daraus zieht, wenn er jungen Menschen den Radsport vermiest. Ich denke jeder Radfahrer ist besser als ein Komatrinker.

derStandard.at: Ihre Ziele für 2013?

Haller: Ich werde dieses Wochenende bei der Katar-Rundfahrt in die Saison starten, werde zunächst sicher größtenteils Helferdienste leisten müssen, hoffe aber die wenigen, kleinen Chancen nützen zu können. Lässig wäre, eine Etappe bei der Österreich-Rundfahrt zu gewinnen. (Thomas Hirner, derStandard.at, 1.2.2013)