Mittels Ike jime getöteter Fisch weist nicht nur bessere Konsistenz und ungleich süßeren Schmelz als konventionell getöteter auf, er ist auch ungleich länger haltbar.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Als Fischzüchter von Rang muss Ferdinand Trauttmansdorff vom Gut Dornau sich auch mit dem Töten von Waller, Stör, Seesaibling & Co auseinandersetzen. Bis vor Kurzem war er sicher, dass die seit Jahrtausenden gängigste Methode nicht nur effektiv und ethisch einwandfrei, sondern auch für die Qualität des Produkts die Beste sei: Der gezielt geführte, trockene Schlag auf den Kopf, der den Fisch auf saubere Art vom Lebewesen zum Lebensmittel macht.

Bis er vor einigen Monaten einen Anruf von Heinz Reitbauer bekam, einem seiner "in vielfacher Hinsicht besten Kunden". Der Steirereck-Chef wollte wissen, ob Trautmannsdorff von "ike jime" gehört habe, einer Tötungsart, die ihm beim Besuch des Tokioter Fischmarkts Tsukiji aufgefallen war. "Ich hatte keinen Schimmer, wovon er spricht", gibt der Züchter zu. Ein Youtube-Video war aber schnell gefunden, und was Trauttmansdorff da sah, faszinierte ihn. "Da hab ich angefangen, nachzuforschen", sagt er.

So erfuhr Trauttmansdorff, dass Ike jime von japanischen Fischern entwickelt wurde, um ihren Fang in bestmöglichem Zustand zum Markt zu bringen - speziell zu den Auktionen in Tsukiji, wo die Preise in schwindelerregende Höhen klettern. Dass darunter etwas anderes zu verstehen ist, als bloß topfrischer, korrekt gekühlter Fisch, verwundert wenig angesichts des Kults, der in Japan um guten Fisch getrieben wird.

Konsistenzprobleme

Mittels Ike jime getöteter Fisch weist nicht nur bessere Konsistenz und ungleich süßeren Schmelz als konventionell getöteter auf, er ist auch ungleich länger haltbar. Dazu hat sein Fleisch die erstaunliche Eigenschaft, während der Lagerung zu reifen - und damit, ähnlich wie bestes Rindfleisch, noch an Qualität zu gewinnen. Für den Westen entdeckt wurde die Technik durch australische Fischer, die ihren Fang zu Toppreisen in Japan loszuschlagen gedachten - zu Beginn aber stets nur drittklassige Preise zu erzielen vermochten.

Im Fall von Reitbauer waren es konkret Konsistenzprobleme bei zwei von ihm hochgeschätzten Fischen - Waller und Stör: "Beide haben großartiges weißes Fleisch, werden nach Einsetzen der Totenstarre aber ganz buchstäblich hart wie ein Brett und sind frühestens nach zwei bis drei Tagen wieder so entspannt, dass an eine Weiterverarbeitung zu denken ist", sagt Heinz Reitbauer, "da wollte ich nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen."

Im Grunde werden mit der Technik drei Ziele verfolgt: Erstens, den Fisch schnell und respektvoll zu töten (Hinweis: In Zeiten industrieller Fischerei ist es anderswo längst schreckliche Praxis, Fische an Land einfach ersticken zu lassen!); zweitens, ihn so gründlich wie möglich ausbluten zu lassen, um das vom Stress mit Milchsäure versetzte Blut nicht im Körper zu belassen; drittens schließlich, die Zeit bis zum Eintritt der Todesstarre so lang wie möglich herauszuzögern.

Wie diese Ziele erreicht werden, wie die Technik im Detail funktioniert, haben Reitbauer und Trauttmansdorff gemeinsam mit Marietta Loidolt, "Chef Poissonnier" im Steirereck, für den STANDARD demonstriert - anhand eines frisch aus den Teichen von Gut Dornau gefangenen Welses, der knapp vier Kilo wog.

Erst kommt der Tod, dann das Essen

An dieser Stelle erscheint ein Hinweis angebracht: Schlachten ist niemals ein angenehmes Thema, auch in diesem Fall nicht. Deshalb wird es bei der Zubereitung und dem Genuss meist ausgeblendet. Unsere Kultur hat dafür raffinierte Techniken entwickelt. Insofern könnte die folgende Beschreibung mehr ins Detail gehen, als manchen Konsumenten von Fleisch und Fisch lieb ist. Anderseits: Für jedes nicht vegane Gericht muss ein Wesen sein Leben lassen - das Wissen, wie dies auf eine Weise geschieht, die nicht nur ethisch vertretbar ist, sondern der letzten Bestimmung dieses Lebewesens auch in bestmöglicher Weise gerecht wird, ist deshalb wichtig.

Schneller, respektvoll herbeigeführter Tod: Ein gezielter Stich, wenige Zentimeter hinter den Augen gesetzt, gewährleistet dieses Ziel - das Messer fährt geradewegs ins Gehirn, der Fisch stirbt durch Hirntod. "Das ist ein heikler Moment, bei dem man ruhig, entschlossen und gelassen sein muss", erklärt Trauttmansdorff, "weil sich Aufregung auch dem Tier mitteilt und es unruhig würde. Dann aber könnte man den Stich nicht exakt setzen."

Gründliches Ausbluten: das zweite Ziel wird mit einem Schnitt durch den oberen Bereich der Kiemen erreicht, wo die Haupt-Arterie des Fisches verläuft. Der dritte Schnitt durchschneidet die Wirbelsäule knapp vor dem Schwanz, ohne diesen aber vom Körper zu trennen. Jetzt wird der Fisch in Eiswasser gelegt, das auf einen Salzgehalt von zwei bis drei Prozent gebracht wurde - in etwa jenem des Meeres entsprechend.Weil Fisch weniger als ein Prozent Salz enthält, wird osmotischer Druck helfen, das Blut aus dem Körper zu bekommen. Das Herz des Fisches schlägt noch ein paar Minuten und erledigt den Rest. "Der Fisch sollte aber nur kurz im Wasser liegen, weil er sonst Wasser zieht", erklärt Reitbauer.

Totenstarre hinauszögern

Schließlich: die Totenstarre hinauszögern. "Auch lange nach dem Tod ist die Aktivität der Muskeln gegeben", erklärt Ferdinand Trauttmansdorff, "die Totenstarre tritt ein, wenn sie sich ein letztes Mal zusammenziehen - und nicht mehr entspannen". Deshalb wird nun ein Schnitt hinter dem Kopf durch die Wirbelsäule geführt und von hinten ein stabiler Draht durch den Rückenmarkskanal (oberhalb der Wirbelsäule, die Schlagader verläuft unterhalb) geführt. "Die Nervenfunktion, die die Muskelaktivität steuert, wird so außer Kraft gesetzt", sagt Reitbauer, während er den Draht durchstößt. Tatsächlich: Der Körper des längst toten Tiers erzittert wie elektrisiert.

Dann wird der Fisch filetiert. Elastisch festes, elfenbeinfarbenes Fleisch kommt zum Vorschein. Zum Vergleich zeigt Trautmannsdorff einen konventionell getöteten Waller: Dessen Fleisch ist im Vergleich dunkler, noch rosafarben statt weiß und ohne Elastizität. Bei der Geschmacksprobe wirkt es strohig, mit kaum zu beißenden Fasern und mit einem tranigen Nachhall im Geschmack. "Sicher wird auch dieser ein sehr gutes Essen ergeben, wenn die Totenstarre einmal aufhört und die Enzyme am Arbeiten sind", sagt Reitbauer. "Aber im Vergleich wird er niemals dort hinkommen, wo der andere uns hinführen kann". (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 15.3.2013)