Eindrückliche Bilder aus den Tagen des "Anschlusses": Im Redoutensaal der Hofburg wurde des Einmarsches der Deutschen Wehrmacht gedacht.

Foto: STANDARD/Corn

Eindringliche Worte: Der Bundespräsident erinnerte: "Erst in letzter Zeit haben wir uns immer deutlicher zu der Erkenntnis durchgerungen, wie sehr die verschiedensten Formen des Widerstandes gegen Hitler und sein System des Terrors Anerkennung verdienen und dass dieser Anerkennung auch Ausdruck verliehen werden soll."

Foto: STANDARD/Corn

Adolf Hitlers Konterfei im Großformat. Männer in SA-Uniform. Zivilisten mit zum "Deutschen Gruß" erhobenem rechtem Arm - man vermeint richtig, sie "Heil!" brüllen zu hören. Und immer wieder das Bild von dem alten Juden, der unter dem Spott seiner Mitbürger, die darauf brannten, Bürger des "Deutschen Reichs" zu werden, abgeführt wird.

Es sind verstörende, wenn auch längst bekannte Fotos, die auf die große Leinwand im Redoutensaal der Hofburg projiziert wurden. Musikalisch untermalt vom Radio Symphonieorchester des ORF, das die Dedication for String Orchestra, eine Komposition des vor Hitler geflohenen und nicht mehr aus den USA zurückgekehrten österreichischen Musikers Ernst Toch, intoniert.

Niemand applaudiert. Man ist nicht zum Kunstgenuss gekommen. Der mit Politikern und Vertretern der Nazi-Opfer gefüllte Saal feiert einen Gedenkakt zum 75. Jahrestag des 12. März 1938. Die Bilderfolge, die sich immer und immer wieder wiederholt, gehört ebenso dazu, wie eine ORF-Dokumentation, in der der ehemalige Nationalratspräsident Alfred Maleta eindringlich beschreibt, wie er als Gestapo-Häftling aus dem Gefängniskeller Ohrenzeuge des ersten Hitler-Auftritts in Linz wurde.

Die Bilderfolge läuft weiter. Und dann kommt der Bundespräsident auf die Bühne, die schrecklichen Fotos stets hinter sich.

Schon zu Beginn seiner Rede macht Fischer deutlich, was der "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland bedeutet hat - "dass Österreich als selbstständiger Staat von der Landkarte verschwand, dass die österreichische Fahne durch die Hakenkreuzfahne ersetzt wurde, dass wir bald darauf mit allen Konsequenzen in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen wurden und dass auch Österreicher massiv an Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt waren". Dies seien alles "Bestandteile unserer Geschichte, die uns bis heute schmerzvoll beschäftigen".

Am Ende stehe eine "unvorstellbare Bilanz des Grauens". "Denn nur durch die Mitwirkung sehr vieler Fanatiker, Anhänger und Mitläufer des NS-Regimes und auch durch gezieltes Wegschauen konnte das totalitäre System aufgebaut werden", sagte der Bundespräsident - und wies darauf hin, dass zwar nach der Niederlage Adolf Hitlers "etliche Verantwortliche für die NS-Verbrechen zur Rechenschaft gezogen" wurden, doch hätten viele der mittleren oder kleineren Räder, die das NS-System in Österreich funktionsfähig erhalten hatten, weiterhin mit Opfern dieses Räderwerks im gleichen Staat gelebt - oft auch im gleichen Ort - " mehr oder weniger unbehelligt zusammen".

"Tag der Schande"

Mit Blick auf die "von der ersten Stunde an gedemütigten und entrechteten jüdischen Bürger" sei der 12. März 1938 ein "Tag der Schande". An keiner Stelle der Rede passen die Bilder der Entrechteten, die unbeirrbar weiter auf die Leinwand geworfen werden, besser als hier.

Und auch die Bilder derer, die Hitler zugejubelt haben. Fischer sagt es deutlich: "Es gab auch ein anderes Österreich. Ich meine jene Menschen, die über die Ereignisse im März 1938 entsetzt waren, zu fliehen versuchten oder sich in die innere Emigration zurückzogen. Manche setzten ihrem Leben ein Ende, andere waren zum Widerstand bereit und entschlossen. Viele wurden misshandelt und/oder verhaftet. Sie wussten: Hitler bedeutet Krieg."

Auch wenn er die verschiedenen "Gesten der Entschädigung" Österreichs lobte, ließ der Bundespräsident keinen Zweifel daran, dass sie zu spät und anfangs viel zu zaghaft erfolgt sind: "Wieso zunächst die Kraft - und vielfach auch der Wille - gefehlt hat, das Unrecht, das Österreicher an anderen Österreichern, aber auch an Menschen anderer Nationalität in der NS-Zeit begangen haben, mit aller Klarheit anzusprechen, einzugestehen und die überlebenden Opfer um Verzeihung zu bitten, ist eine der großen, nicht restlos geklärten Fragen der Zweiten Republik."

Kein Schlussstrich

Kann man da einen Schlussstrich ziehen, wie das manche wollen? Fischer: " Meine Antwort lautet: Schlussstriche unter Verbrechen dieser Dimension können weder von einzelnen Menschen, noch von Regierungen oder Parlamenten dekretiert werden. Aber ich darf an ein Motto erinnern, das eine große Österreicherin, die jahrelang die Qualen der Haft in einem Konzentrationslager erleiden musste, nämlich Rosa Jochmann, an ihrem Lebensabend formuliert hat. Dieses lautet: Vergessen nein, verzeihen ja. Das halte ich für ein hohes Ideal im Umgang mit der Vergangenheit."

Auch Bundeskanzler Werner Faymann kann sich dem anschließen. Er formulierte: "Niemals vergessen heißt nicht nur, an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu erinnern, sondern heißt auch, die richtigen Schlüsse in der Gegenwart und für die Zukunft zu ziehen." Der richtige Schluss sei, Menschen nicht in Massenarbeitslosigkeit und Armut hoffnungslos allein zu lassen. (Peter Mayr und Conrad Seidl, DER STANDARD, 13.03.2013)