Foto: Gerhard Wasserbauer

Ein reduziertes Setting als Bühne für die spektakulärste Küchenperformance, die Wien seit langem gesehen hat: das "Konstantin Filippou".

Foto: Gerhard Wasserbauer

Der Raum ist karg, aber adäquat möbliert. Zwei hohe Fenster geben den Blick in die Küche frei, manche Opfergaben werden überhaupt auf einem eigenen Kultplatz im Gastraum zubereitet - von Köchen mit Kopfbedeckungen, die nicht zufällig an jene Zeit gemahnen, als Pharaonen die Meister der Welt waren. Denn der Ort ist ein Tempel, und zwar von jener Sorte, bei der die Gläubigen eingeladen sind, ihrem Hohepriester bei der Liturgie beizuwohnen.

Das ist zwar nett und wohl auch so gemeint: Es wäre aber vermessen, einen echten Einblick in jene Kunst zu erwarten, die der wundertätige Meister und seine Schüler auf die Verfertigung ihrer Werke verwenden. Auch beim Zusehen erfährt man im besten Fall nur eine Ahnung dessen, was der Erschaffung des Wohlgeschmacks zugrunde liegt.

Die unter Gutessern frenetisch erwartete Eröffnung von Konstantin Filippous Restaurant hat tatsächlich das Zeug zum Ereignis. Der Mann, der dem lange verschiedenen Novelli einst zu einem Michelin-Stern verholfen hat, scheint nach einer Schaffenspause auf einem Höhepunkt seiner Kunst. Was Filippou in seinem schlichten Restaurant servieren lässt, ist richtig großstädtische Küche, kompromisslos an der Saison orientiert - aber in keiner Weise an dem, was die allerorten beschworene "Region" zu bieten hat.

Kundige, unprätentiöse Inszenierung

Es gibt Austern und Algen, Makrelen und Artischocken, Taube und Tunfisch. Das klingt so gar nicht nach dem allerorten postulierten Credo der "locavoren" Küche und ist wohl eben darum umso beeindruckender. Die Weinkarte und ihre kundige, unprätentiöse Inszenierung durch Sommelier Leo Kiem sind auf selber Höhe - echte Persönlichkeit, wahrhaftiger Wille zur Modernität sind unverkennbar und speziell an einem Ort ängstlicher Traditionsverehrung wie Wien kaum hoch genug zu loben.

Denn Filippou gelingt an seiner ersten eigenen Adresse, was man sich als Chef nur wünschen kann: Die Formulierung einer Handschrift, die Definition eines Stils. Die Preise sind, wie es sich an einem mit Leidenschaft geführten Platz gebührt, nur so hoch wie gerade notwendig. Sechs Gänge um 75 Euro mögen nicht so knapp kalkuliert klingen - Filippou hat seine Küche aber dahingehend entwickelt, dass fast jeder Gang aus zwei komplementären, hochindividuellen Kompositionen besteht. So werden aus sechs schnell einmal zehn Herausforderungen an die Sinne - in feinstziselierter Form wohlgemerkt.

Die Kreationen teilen sich in zwei Menüs auf, wer wirklich Stamina hat, kann - sehr zu empfehlen - auch einen Querschnitt aller Speisen ordern. Dann werden etwa Fines de Claires einerseits auf zurückgenommen japonistische Art, mit nichts als einem Hauch knackiger Gurke und gerösteter Reiscreme serviert, und anderseits opulent, auf einem Sockel saftigst pochierter Forelle, mit sanften Anklängen von Estragon und einer meisterlich süß surrenden Säure im Hintergrund - wirklich groß. Oder eine Komposition von Artischocke und Kerbelknolle (Bild links), die einerseits durch cremige Anklänge von Kaffee und der zart knofeligen Kraft des Belper Käses beglückt und anderseits, dank eines tiefaromatischen Pilzfonds in Kombination mit roh gehobelten Champignons und ebensolcher Kerbelknolle, eine knackig-frische wie rauchig-mollige Komponente zu entwickeln versteht: Kaum vorstellbar, mit welcher Brachialkraft so ein zartes Gericht sich im Glückszentrum der Hormone einzuparken versteht!

Auf dem Stand der Kunst

Filippou hat die Zeit des Wartens auf den richtigen Ort (letzter Arbeitsplatz war das Novelli im Sommer 2011) offensichtlich genutzt, um sich auch international auf dem Stand der Kunst zu halten. Im Gegensatz zu vielen, deutlich arrivierteren Kollegen aber weiß er den Grat zwischen Inspiration und Kopie exakt zu bemessen. Was er vorlegt, ist spannende, zeitgemäße UND persönliche Küche, bei der so gut wie jedes Detail sitzt.

Okay, beim hauchdünn geschnittenen Schweinebauch, der mit Räucheraalaromen und, vor allem, Zwiebel in diversen Konsistenzen, Aggregatzuständen und Würznuancen serviert wird, sorgt ein gerade eben gestockter Eidotter für jenes kaum merkbare Etwas, das eine Komposition aus der Balance kippen lässt.

Schon bei der in Olivenöl pochierten Makrele, die (durchaus exzentrisch) danach serviert wird, zeigt Filippou aber wieder jene Sicherheit, auch als schwierig verschriene Zutaten derart kundig zu behandeln, dass selbst großen Blaufisch-Skeptikern nichts als Wohlgefallen übrig bleibt: Der Kontrast zwischen der Üppigkeit des Fettfisches und der Schärfe von Kren und roher Navette ist so kalibriert, dass beide Elemente vor Glück über die Paarung zu vibrieren scheinen - passenderweise am Gaumen des kaum minder ekstatischen Gastes.

Die Weinkarte wurde bereits erwähnt, sie zeigt mit etlichen heimischen wie internationalen Vertretern sogenannter "natural wines" Mut zur Kantigkeit, hat aber auch reichlich Vertreter wahrhaft klassischer Größe zu bieten. Alles in allem ein echter Grund zur Freude - und zur Verneigung vor einer Demonstration ganz und gar unüblichen Muts. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 29.3.2013)