Anton Reiter kennt die Wiener Marathonstrecke wie seine Westentasche, er kennt aber auch viele andere in ganz Europa.

Foto: Privat/Anton Reiter

Wien - Der Grund dafür, dass Anton Reiter zum Marathon-Mann wurde, klingt nicht sonderlich spektakulär. Das Resultat des Entschlusses ist es aber. Der prinzipiell sportliche Familienvater wog im November 2000 seiner Ansicht nach ein paar Kilo zu viel. "Ich habe mich nach zehn Jahren Nichtstun einfach nicht fit gefühlt." Also ging der beruflich zum Sitzen verurteilte Beamte laufen, um fürderhin nicht mehr stehen zu bleiben. Am Sonntag gibt sich der 59-jährige, gebürtige Lienzer in Wien schon zum 13. Mal in diesem Jahr und zum insgesamt 131. Mal die klassischen 42,195 Kilometer.

Reiter, der sich auch Ultramarathons und Triathlonbewerbe gönnt, ist die Nummer acht unter Österreichs eifrigsten Marathonläufern. Und er ist Obmann und Mitbegründer eines Klubs von Sammlern, die sich zumindest zum Ziel gesetzt haben, mehr als 100 Marathons zu laufen. Von den 19 Damen und Herren haben das elf schon geschafft, am überzeugendsten der 55-jährige Wiener Gerhard Wally, der am vergangenen Samstag in Freiburg seinen 495. Marathon binnen 3:50:10 Stunden einer Erledigung zuführte.

Auf derartige Zahlen kommt natürlich nur, wer besonderen Fleiß auf die Straße bringt. Im Vorjahr lief Wally 41 Marathons und ärgerte sich doch ein wenig, dass sich der Indoor-Lauf in der Messe Wien nachträglich als um einige hundert Meter zu kurz herausgestellt hatte, sonst wären es die angestrebten 42 gewesen.

2000 Marathon-Läufe

Läufer mit mehr als 100 Marathons gibt es auf der Welt nur ganz wenige, Reiter spricht von rund 1200. "Im Vergleich dazu gibt es aber einige tausend Menschen, die den Mount Everest bestiegen haben." Die Wallys dieser Welt sind naturgemäß an wenigen Händen abzuzählen, ebenso naturgemäß gibt es nur einen Weltrekordler. Der heißt Christian Hottas. Der Hamburger Mediziner läuft am 5. Mai in Hannover seinen 2000. Marathon. Reiter zählt zur 41 Personen umfassenden Ehreneskorte des 56-Jährigen, der erst 1987 sein einschlägiges Debüt feierte. Hottas, der sagt, dass jeder Marathon ein Geschenk für ihn sei, ist Reiter allerdings nur eingeschränkt ein Vorbild.

Im Gegensatz zum Deutschen, der viele seiner Läufe vor Zeugen quasi hinter dem Haus absolviert hat, zählt für den Obmann des 100 Marathon Clubs Austria auch das Flair von Laufveranstaltungen. "Der Reiz ist die Atmosphäre am Anfang, die gruppendynamischen Prozesse, die Konkurrenzsituation, ohne jemanden zu übertrumpfen." Standesdünkel würden nicht existieren, Läufer sei Läufer, die Politik, arm oder reich, jung oder alt, spiele keine Rolle.

Für Reiter ist die Logistik, von der Anreise über die Quartiersuche bis hin zur Abreise, "mindestens so wichtig wie der Sport selbst." Die Erkenntnisse aus dem "läuferischen Erkunden" sind Teil eines Buches, das Reiter beinahe schon fertig, das aber noch keinen Verleger gefunden hat.

Zu lesen wäre darin auch, wie Marathonläufe taktisch anzulegen sein könnten. Etwa über die Run-Walk-Run-Methode, die der US-Laufguru Jeff Galloway erfand. Reiter sagt, dass jeder gesunde, über eine gewisse Grundausdauer verfügende Mensch die Strecke bewältigen kann. Zeiten unter vier Stunden ermögliche aber erst sehr spezifisches Training.

Keinesfalls, sagt Reiter, der 150 Marathons anstrebt, aber auch danach wohl nicht Halt machen wird, sei der Marathonvirus eine Krankheit. Die Theorie, dass das Laufen wegen der erhöhten Ausschüttung von Endorphinen so attraktiv sei, hält er für allerdings wirr. Wohl sehe man Marathonläufern ihre Passion an. Schließlich könne man sich mit diesem Tun "selbst neu erfinden und dem Leben einen Sinn geben." (Sigi Lützow, DER STANDARD, 12.4.2013)