Elisabeth Frey und Michele Stinco wollen die Sportbekleidung revolutionieren.

Foto: Alena Schmuck

Extreme Testbedingungen.

Foto: polychromelab

Mit der Wendejacke zu klimatischer Ausgeglichenheit. Zum Preis von 700 Euro.

Foto: polychromelab

"Wenn unsere Eltern wüssten, was genau wir da draußen machen, wären sie vermutlich nicht sehr erfreut." Michele Stinco (39) und seine Partnerin Elisabeth Frey (40) lächeln einander wissend zu. "Da draußen", das ist ihr Hausberg, der Glungezer bei Hall in Tirol. Dort verbringt das Unternehmerpaar bis zu zwanzig Stunden pro Woche beim Klettern, Freeskiing, Schibergsteigen und im Hochgebirgslabor als Teil der Forschungsarbeit für ihr Start-up polychromelab. Die 2012 gegründete GmbH entwickelt innovative Stoffe für den Outdoorbereich – als Zweipersonenunternehmen.

"Wir müssen unsere Kleidung hohen Belastungen aussetzen, um sie zu testen," erklärt Stinco. Als ehemaliger Pro-Snowboarder und Extremsportler weiß der Produktdesigner, worauf es bei Sportbekleidung ankommt. Der professionelle Sport war ihm aber zu eintönig. "Man stumpft ab, wenn man die ganze Zeit das Gleiche macht," sagt der gebürtige Italiener, der in der Schwäbischen Alb Region in Süddeutschland aufgewachsen ist.

Wie Stinco verbrachte auch die aus dem Schwarzwald stammende Elisabeth Frey ihre Kindheit und Jugend "neben dem Schiflift" und fuhr selber Rennen. Später studierte sie Wirtschaftspsychologie und arbeitete im sozialen Bereich und in der Gastronomie. Die gemeinsame Leidenschaft für den Wintersport ließ die Mutter zweier Kinder und heutige Geschäftsführerin von polychromelab mit Stinco nach Tirol übersiedeln.

Von der Vision zum Patent

Die Idee zu polychromelab geht auf eine Erfindung von Michele Stinco zurück. Nachdem er mehr als zwölf Jahre für Hersteller wie Diesel und die Sportforschungsabteilung von Adidas gearbeitet hatte, machte er sich Anfang der 2000er Jahre als Produktdesigner selbständig. Zu dieser Zeit begann er an einem Material zu arbeiten, das seinen eigenen Anforderungen als Sportler entsprechen sollte: kühlend wenn es warm ist, wärmend wenn es kalt ist, flexibel und robust.

Für ein paar Jahre blieb diese Idee eine ambitionierte Vision. "Aber dann hatten wir genug davon zu hören, dass es nicht funktioniert." 2011 kamen Stinco und Frey in Kontakt mit dem akademischen Gründerzentrum CAST. Mit dessen Hilfe wurde ein Business Plan entwickelt und um Gelder bei der Förderbank des Bundes, AWS, angesucht. Durch die finanziellen Mittel und Unterstützung der Alpinen Forschungsstelle der Universität Innsbruck bekam der im Sommer 2010 begonnene Forschungs- und Entwicklungsprozess Momentum.

Die von polychromelab mittlerweile patentierten dreilagigen Laminatstoffe "Alpine 3 Layer" und "Fast Forward Fabric" werden zu Wendejacken verarbeitet und an weitere Sportbekleidungshersteller vertrieben. Die Hybridjacke von polychromelab hat eine mattschwarze und eine silberfarbende Seite und soll die Körpertemperatur beim Sport unabhängig von der Außentemperatur stabil halten. Trägt man die schwarze Seite nach außen, wird die Sonnenstrahlung absorbiert und Wärme an den Körper abgegeben. Die silberne Innenseite trägt dazu bei, dass die Wärme in der Jacke bleibt. Kehrt man diese Seite nach außen, hat der wasserfeste, metallische Stoff den gegenteiligen Effekt – er reflektiert die Strahlung und hilft, den Körper kühl zu halten.

Bedingungen wie am Himalaya

Der Glungezer bietet dafür ideale Testbedingungen. Er gilt als einer der windigsten Berge der Alpen und verhält sich laut Stinco in Bezug auf Temperaturen, Witterung und UV-Strahlung ähnlich wie das Himalayagebirge. Die zu Testzwecken aufgestellten Torsos bieten einen skurrilen Anblick in der Tiroler Gebirgslandschaft. Zum Labor auf fast 2700 Metern Seehöhe gelangen Stinco, Frey und das Forschungsteam nur zu Fuß. Ab April, wenn die Materialseilbahn Sommerpause macht, muss auch die Ausrüstung hinaufgetragen werden. "Man hat uns gesagt, dass unser Labor eine einzigartige Einrichtung ist," so Stinco. Sie birgt auch weiteres Geschäftspotential. "Hier lassen sich natürlich auch andere Produkte unter extremen Bedingungen validieren."

Unabhängige Testergebnisse und Auszeichnungen, wie der österreichische Staatspreis für Industriedesign, der OutDoor Industriepreis und der iF Material Design Preis bestätigen den Aufwand. "Neben Designern von Apple und Nike ausgezeichnet zu werden und im Publikum meiner ehemaligen Chefin von Adidas zuzulächeln, die mir das vermutlich nicht zugetraut hätte, war eine nette Anerkennung", erinnert sich Stinco.

Keine gesichtslosen Produzenten

Trotz Interesse seitens von Investoren haben Stinco und Frey nicht vor, auf die Größe ihrer Konkurrenten zu wachsen: "Wir möchten klein genug bleiben, um innovativ zu sein zu können und von Tirol aus weiter die Dinge tun, die uns Freude machen – mit globaler Präsenz". Dieser Anspruch findet sich vom Design bis zur Produktion in einer kleinen Firma in Italien in allen Prozessen beim Startup wieder. "Es ist ziemlich schwierig Reißverschlüsse zu finden, die nicht in Asien hergestellt wurden, aber wir wollen, dass alle Komponenten unserer Jacken fair und in Europa produziert sind", betont Frey.

Überzeugen können polychromelab aber nicht nur durch ihre Innovation und die faire Produktionsweise. "Um ehrlich zu sein ist es zuerst unsere Geschichte und dann das Produkt, das die Kunden anspricht. Wir sind keine gesichtslosen Produzenten. Die Leute merken, dass wir hinten dem stehen, was wir machen." Auch die Meinung ihrer Kunden ist für die Unternehmer wichtig. "Wir vertreiben unsere Jacken ab Mai über unsere Website. Wenn wir sie durch Vertriebspartner verkaufen würden, würden wir kein direktes Feedback bekommen, das wir brauchen, damit wir das Produkt weiterentwickeln können."

Auch als eingespieltes Team geht es in der intensiven Zusammenarbeit von Michele Stinco und Elisabeth Frey nicht immer harmonisch zu. "Wir sind zwei grundsätzlich verschiedene Persönlichkeiten. Ich bin eher der rationale Typ und Michele eher der emotionale, der gerne Risiken eingeht – manchmal sogar ein bisschen zu gerne", so Frey. Der Umgang mit Konflikten ist mittlerweile zur Stärke der beiden geworden. "Es war von Anfang an klar, dass wir das durchziehen würden. Jetzt wird das Rad immer größer – es ist keine experimentelle Forschung mehr." (Alena Schmuck, derStandard.at und inventures.eu, 17.04.2013)