Was sie herausgefunden haben präsentieren sie jetzt als Multimedia-Installation in Wien. Ein Werkstatt-Bericht von Janina Janke und Maurice de Martin.

Zwei Jahre lang haben wir die UN-Hauptquartiere in Wien, Nairobi und New York City beobachtet. Wir wollten etwas erfahren über den Alltag der Menschen in diesen abgeschirmten "Festungen für den Weltfrieden", wir wollten wissen, wie es sich wohl anfühlt, hier zu arbeiten. Wir fragten uns, wie die MitarbeiterInnen, diese "Professional Internationals" leben, wie sie sich von den "Locals" unterscheiden, was sie trotz ihrer verschiedenen Herkünfte verbindet und was sie über die Länder denken, in die es sie verschlagen hat.

Daher befragten wir 33 Menschen innerhalb der drei UNO Amtssitze, vom Tellerwäscher der Cafeteria (ja, den gibt es wirklich noch!) bis hin zum frisch gebackenen Under Secretary General österreichischer Abstammung in in New York, von der Kindergärtnerin in der Uno-City bis hin zum Dolmetscher der Chinese Booth, von der Kaffeepflückerin auf dem UN Areal in Nairobi bis hin zum Blauhelm-Colonel für Somalia.

Und wir wollten auch wissen, was die Anwohner in der jeweiligen Nachbarschaft der UN-Sitze umtreibt. Hat die UNO-City eigentlich irgendeinen Einfluss auf die Bewohner des Gänsehäufel - und umgekehrt? Könnte es sein, dass sich beim genaueren Hinschauen sogar gewisse verborgene Parallelen zwischen dem "Innen" der Amtssitze und dem "Außen" der Umgebung zeigen? Paare gleichen sich ja auch an. Mit dieser Idee im Kopf führten ebenfalls 33 Interviews mit AnwohnerInnen.

Wildnis in Nairobi

Die Orte, die wir erlebten, waren sehr verschieden voneinander. In New York City treibt die urbane Hektik mit ihrer zeitlichen und räumlichen Enge die UN-MitarbeiterInnen vor sich her wie alle anderen Großstadtbewohner auch. Hier löst man sich als Individuum in der Masse auf und beschwert sich über fehlende "Quality-Time".

In Nairobi dagegen lebt und arbeitet man als UN-MitarbeiterIn in einem paradiesisch anmutenden Hybrid zwischen freier Natur und hochmodernen Gebäuden, der aber gleichzeitig ein hermetisch vom Umfeld abgeschirmter Hochsicherheitstrakt ist. Nur die hier niemals ausgrenzbare Natur findet immer einen Weg ins Innere und wird sogar nachhaltig genutzt, zum Beispiel von einem erfindungsreichem Schweizer Gärtner, der auf dem UN-Gelände das Gemüse für das Mittagessen in der Kantine anbaut, daneben die beste Holzkohle Nairobis produziert und im Bio-Shop am Eingang des Geländes UN-Bienenhonig verkauft. Neuankömmlinge lernen schnell, auch bei nur kurzem Verlassen ihrer Büros die Fenster zu schließen. Sonst kann es passieren, dass bei der Rückkunft von einer Besprechung eine Horde Affen auf dem Schreibtisch sitzt und gelassen Akteneinsicht nimmt.

Hummeln im Hintern

Wir sprachen mit den UN-MitarbeiterInnen über ihr "Fremdsein" in den jeweiligen Einsatzorten. In Wien lächeln die Leute nicht und wirken verschlossen, doch wenn man sich daran gewöhnt und die Kultur akzeptiert, hat man trotzdem ein gutes Leben, teilte uns eine Wiener UN-Mitarbeiterin afrikanischer Herkunft mit.

Man baut sich überall sein zu Hause, meint ein höherer Funktionär aus Österreich in New York, doch man muss auch wissen, wo man herkommt, um sich wirklich irgendwo heimisch fühlen zu können.

UN-MitarbeiterInnen, vor allem die auf den höheren Ebenen der Hierarchie, sind "professionelle Internationale". Ihre Biografien zeigen dies oft auf eindrückliche Weise: "Ich bin in Frankreich geboren, mein Vater ist französisch-slowenischer und meine Mutter slowenisch-italienischer Herkunft. Weil mein Vater im diplomatischen Dienst war, bestand unser ganzes Leben aus Reisen, wir haben in Ländern auf der ganzen Welt gelebt, zeitweise habe ich als Kind bis zu vier Sprachen gleichzeitig gelernt", so beschreibt sich eine leitende Mitarbeiterin des UN-Communication-Departments in Nairobi. Sie habe daher "Hummeln im Hintern " entwickelt und könne nie länger an einem Ort verweilen. Die Internationalität und die Veränderung wird zur Passion, "ich würde die Arbeit in der UN für nichts in der Welt aufgeben", sagt ein Habitat-Officer in Nairobi.

"Du kannst den UN-Hut niemals ablegen" beschreibt palästinensischer Information-Department-Officer aus New York den Umstand, dass UN-MitarbeiterInnen selten als Privatpersonen agieren. Eine persönliche Meinung kann man da nicht mal so eben öffentlich äußern, schon gar nicht auf Facebook. Man wird immer als UN Mitarbeiter gesehen, und das gilt auch für die Wohnungsanmietung. Ein chinesischer Dolmetscher des Vienna International Center erzählte uns, dass sein Vermieter ihn im Internet ausfindig machte und erst bereit war, den Mietvertrag abzuschließen, als er sicher war, der Mann arbeite wirklich für die UN.

Schwieriger Reis

Pünktlich um 12 Uhr strömen die Menschen aus den unzähligen Gängen des Vienna International Center in eine Richtung, versammeln sich in der Cafeteria und lassen ein babylonisches Sprachengewirr entstehen. Zum Essen setzen sich die MitarbeiterInnen der Vereinten Nationen, die sonst ja ganz selbstverständlich in multinationalen Teams arbeiten, meist lieber zu ihren Landsmännern und -frauen. So läuft man in der Cafeteria des VIC an arabischen, chinesischen, afrikanischen, amerikanischen, spanischen, russischen, Tischen vorbei als durchwandere man eine Weltkarte. Wo 5000 Menschen aus 193 Nationen jeden Mittag zusammen speisen, muss natürlich auch die Küche professionell international sein. "Das Schwierigste hier herinnen ist das Reiskochen", erzählt der Catering Manager. "In jedem Land gibt es Reis, doch fast jedes isst den Reis ganz anders. Wenn Sie einem Italiener einen japanischen Klebereis hinstellen, wird er Ihnen wahrscheinlich um die Ohren fliegen. Wenn Sie einem Thailänder ein italienisches Risotto vorsetzen, wird er auch sagen: des is ois nix. Den Reis zu kochen und dabei eine Auswahl zu haben, um jeden Tag alle Nationen zu befriedigen, das ist eine der größten Herausforderungen."

Zähne für den KGB

Natürlich wollten wir wissen, ob es Überschneidungspunkte gibt. Gibt es Orte an denen sich die Angehörigen der UN und ihre Nachbarn begegnen?

In Wien erfuhren wir beim Mittagessen in der Uno-Cafeteria von einem solchen Ort, nämlich dem Salsa Club "Floridita" im ersten Bezirk. Er wird von einem ehemaligen Mitarbeiter des UN Conference Service geführt, der in den 1970er Jahren aus Chile nach Wien flüchtete. Die Tanzfläche des Clubs ist Anlaufstelle für Locals, Latinos und Internationals. Hier mischen sich alle bei Salsakurs und Caipirinha – und es sind auch schon einige „mixed marriages" auf diese Weise entstanden. In Nairobi erzählte uns ein Chief- Security-Officer, dass er ganz bewusst Kontakt mit den Nachbarn pflegt. Er trifft "die Jungs" aus den angrenzenden Vierteln regelmäßig in der Bar oder beim Fußball und erfährt dabei das Wesentliche über die aktuelle Sicherheitslage in der Stadt.

Besonders beeindruckten uns auch die Geschichten eines Zahnarztes aus der 1st Avenue in New York, dessen Praxis genau gegenüber dem Sekretariatsgebäude der UNO liegt. Bei ihm lassen sich viele MitarbeiterInnen der Vereinten Nationen behandeln. Der Zahnarzt berichtete uns von dubiosen Einbrüchen in seine Praxis während der Zeit des kalten Krieges, die auf das Konto des KGB gingen. Offenbar interessierte sich der sowjetische Geheimdienst damals auch für den Zustand der Zähne von UN-MitarbeiterInnen.

Weltfrieden im Kleinen

Wir haben nicht nur Worte aufgezeichnet, sondern auch Hände gefilmt. Was die Hände tun – sie spielen, sie gestikulieren, sie erzählen ihre eigenen Geschichten – 66 Interviews haben wir insgesamt aufgezeichnet und 66 Videos von Händen erstellt.  In unserem Projekt UN_KNOWN SPACES verweben wir all das – Videos, Klänge, Bilder, Geschichten aber auch Atmosphären und aufgefundene Objekte zu einer begehbaren, multimedialen Installation, einer künstlerischen Erkundung der Amtssitze der UN und ihrer Peripherien.

Eigentlich arbeiten alle UN-Mitarbeiter für den Weltfrieden, doch all zu oft gerät dies im alltäglichen Kampf mit der kleinen und großen Bürokratie in Vergessenheit. Deshalb haben kreative Köpfe bei der UN ein Set handtellergroßer Karten drucken lassen, auf denen nach dem Motto "... was die UN jeden Tag so macht" jeweils zehn Beispiele grundlegender Tätigkeitsfelder der UN angeführt sind. "Impfungen für 58 Prozent der Kinder dieser Welt. Rettet pro Jahr 2.5 Millionen Leben", oder "Nahrungsmittelversorgung für 90 Millionen Menschen in 73 Ländern" steht da geschrieben. Diese Karten werden unter allen UN-MitarbeiterInnen verteilt. Sie tragen sie in ihren Hand-oder Jackentaschen. Falls man sich einmal im Unklaren darüber sein sollte, für was man eigentlich arbeitet, ist die  Memo-Karte gleich zur Hand.

"Haben Sie das Gefühl, dass Sie für den Weltfrieden arbeiten?", fragten wir eine norddeutsche UN-Bibliothekarin in New York, und die lachte nur laut: "Eher nicht so bewusst", war ihre Antwort. "Das ist ein ja hohes Ideal, ein Ziel, das die UNO anstrebt. Nur es ist eben sehr schwierig, das umzusetzen. Ich habe eher das Gefühl, wenn ich im Garten arbeite oder in die Kirche gehe, dass wir da Frieden schaffen untereinander, eher im Kleinen." (Janina Janke/Maurice de Martin, derStandard.at, 8.5.2013)