Maximilian Lenz alias Westbam brachte einst den Berliner Techno in die Mitte der Gesellschaft.

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Der in Berlin beheimatete Maximilian Lenz alias DJ Westbam ist seit 30 Jahren im Nachtleben unterwegs. Er zählt mit knapp 50 Jahren zu den Pionieren der Technobewegung. Lenz war etwa neben dem Frankfurter DJ Sven "Gudde Lauuuune" Väth zentral dafür verantwortlich, dass Techno über die Loveparade Mitte der 1990er-Jahre in der Mitte der Gesellschaft ankam, wie man so schön sagt.

Die Loveparade ist aufgrund der schrecklichen Katastrophe in Duisburg im Jahr 2010 Geschichte. Und auch mit bis zu völlig losgelösten 100.000 Dollar pro Auftritt zwischen den globalen Metropolen oder in absurden Klitschen irgendwo weit hinter dem Ural hochdotierte DJs wie Westbam findet man seither eher auf nostalgischen Sporthallen-Technoevents wieder als auf den Titelseiten von Trendsportmagazinen.

Die Karawane ist weitergezogen zu Kinderstars wie Skrillex oder hält sich tapfer an den verbindlichen Ö3-Techno eines David Guetta. Längst vergessen auch die Zeit, als Westbam für den Berliner Intellektuellenverlag Merve im Band Mix, Cuts und Scratches über DJ-Philosophie, die Politik der Beats und die Poesie der Tanzfläche nachdenken durfte. Gleichzeitig landete er damals mit seiner Firma Low Spirit Chartserfolge und wurde stinkreich. Ja, er war so erfolgreich, dass er sogar an einer deutschen Ausscheidung zum Eurovisions-Songcontest teilnahm - und ausgeschieden wurde.

Zum Jubiläum versucht Westbam nun auf dem opulenten Album Götterstraße all die Jahre, Partys, Drogen, Hochzeiten sowie Abstürze im Zeichen von "Drei Tage wach" mit zahlreichen genrefremden Stargästen Revue passieren zu lassen. Zwar muss sich Westbam speziell auch wegen dieser Arbeit wohl endgültig den Vorwurf gefallen lassen, dass seine Musik nicht so toll abwechslungsreich oder aufregend gestaltet sei. Viel eher bestätigt sich das Vorurteil, bei Westbam habe es sich immer schon um ein "One-trick-Pony" gehandelt. Das würde aber die konzeptuell engen Grenzen von Techno über Gebühr dehnen.

Immerhin beruht das Genre auf der Kunst der Wiederholung. Mit Gesangsbeiträgen von Leuten wie Punkgevatter Iggy Pop, Richard Butler von den Psychedelic Furs, Brian Molko von Placebo, Bernard Sumner von New Order oder Hugh Cornwell von den Stranglers beweist Westbam ohnehin, dass seine eigentlichen Wurzeln in einer Zeit liegen, in der fortschrittliche junge Leute vor 30 Jahren Postpunk hörten und selbst Hip-Hop noch ein Ding war, dem man sich eher vorsichtig und mit gemischten Gefühlen näherte.

Hip-Hop ist auf "Götterstraße" im Gegensatz zu den besagten Veteranen mit zwei heutigen Topstars vertreten, Lil Wayne und Kanye West. Als einziger konkreter Berlin-Bezug taucht nur Inga Humpe auf, die ehemalige Sängerin von Bärchen und die Milchbubis, die heute mit 2Raumwohnung äußerst erfolgreich an der Schnittstelle von Pop und Schlager agiert.

Die Musik, die Westbam für seine Gäste produziert oder produzieren lässt (Leute wie Westbam oder etwa Sven Väth und DJ Hell nehmen es diesbezüglich nicht so genau), hat mit Techno eigentlich sowieso nichts zu tun. Stellen wir uns einfach vor, dass die Stücke Westbams zeitlos schön (und halbwegs gemütlich pumpend) als elektronischer Rock 'n' Roll oder Rockabilly daherkommen. Sie verdanken Elvis ebenso viel wie Suicide und Sigue Sigue Sputnik.

Gute Abfahrt. Gleitgeschwindigkeit. Geht zu jeder Tageszeit, nicht nur um sechs Uhr früh. Der Mann ist und bleibt ein Beatbox Rocker.   (Christian Schachinger, Rondo. DER STANDARD, 17.5.2013)