Bild nicht mehr verfügbar.

Kinder sollen in sprachlicher Vielfalt aufwachsen, fordern Sprachwissenschafter.

Foto: Reuters/Pfaffenbach

Graz/Wien - Als "stümperhaft und unausgegoren" beurteilt der Grazer Sprachwissenschafter und Leiter der Forschungsstelle Österreichisches Deutsch an der Uni Graz, Rudolf Muhr, die von Bildungsministerin Claudia Schmied und Staatssekretär Sebastian Kurz geäußerte Absicht, Deutsch als Kriterium für einen Schuleintritt einzuführen.

Kurz und Schmied betrieben "pädagogischen Alarmismus" und ignorierten die sprachlichen Realitäten in Österreich, das Vorhaben sei unnötige "Deutschpropaganda", kritisiert Muhr im Gespräch mit dem STANDARD. Die "deutsche Schriftsprache" als einziges Auslesekriterium für die Schulreife heranzuziehen bedeute, das Faktum der regionalen Besonderheiten, des "österreichischen Deutsch" der regionalen Varianten, völlig auszublenden.

"Ich wäre als Südburgenländer bei einem Schriftdeutschtest, wie er jetzt angedacht ist, mit Sicherheit nicht in die Volksschule gekommen. Heute lehre und forsche ich an der Universität. Man kann den Kindern und Eltern doch nicht ihre sprachlichen Identitäten austreiben. Man muss auch in der Politik endlich zur Kenntnis nehmen, dass in Österreich nicht nur Schriftdeutsch gesprochen wird. Wir reden in Österreich ein österreichisches Deutsch mit vielen Variationen. Es wäre Zeit, darüber einmal eine Grundsatzdebatte zu führen", sagt Muhr.

Nicht nur ein Topf

Selbst im Unterricht in den österreichischen Schulen werde auch von den Lehrern österreichisches Deutsch, wienerisches, kärntnerisches, tirolerisches oder steirisches, gesprochen. Muhr: "Es kann nicht sein, dass sprachlich alles in einen Topf geworfen wird. Diese Spezifitäten müssen gefördert werden." Es gehe um die Erhaltung der sprachlichen Vielfalt, auch im weiteren Sinn. Der Linguistikexperte, der sich jährlich auch um das "Österreichische Wort des Jahres" bemüht, ist der Ansicht, dass die sprachliche Förderung - auch für Deutsch - optimal über die Mehrsprachigkeit, über mehrsprachige Schulen laufe. "Man muss endlich mit dieser Deutschpropaganda aufhören", sagt Muhr.

"Warum haben Litauen oder Lettland so gute Pisa-Ergebnisse?", fragt Muhr, um die Antwort gleich nachzuschieben: "weil es dort elf nationale Minderheiten gibt und daher ein mehrsprachiges Schulsystem - in das die Zuwanderer optimal aufgenommen werden".

In Österreich würden die Zuwanderersprachen aber - auch mit dem Vorstoß von Schmied und Kurz - "vom Tisch gewischt". Muhr: "Viele müssen dann in späteren Jahren teure Sprachkurse besuchen, damit sie ihre Muttersprache wieder erlernen."

Es müsse jetzt darum gehen, nicht die deutsche Schriftsprache allein, sondern die Mehrsprachigkeit, mit mehrsprachigem Lehrpersonal, schon ab dem Vorschulalter zu fördern.

Fünfer für Schmied und Kurz

Einen glatten Fünfer für Schmied und Kurz setzt es auch von Gero Fischer, einem Soziolinguisten am Institut für Slawistik an der Universität Wien. Was Schmied und Kurz vorgelegt haben, sei ein "Pfusch. Man simuliert Aktivität", sagt er. Ihn ärgert, dass es den Schulen überlassen werde, wie sie die Deutschförderung organisieren - ohne dass dafür zusätzliches Geld bereitgestellt wird. Mehr Personal, Überstunden kosten - für Fischer ist klar: "Da stiehlt sich die Politik aus der Verantwortung." Ähnlich sieht er das auch bei der geplanten wissenschaftlichen Begleitung: "Natürlich ist das wünschenswert. Nur, das kostet ebenfalls."

Ein grundsätzliches Problem sei - hier trifft sich Fischer in der Kritik mit Muhr -, dass das "gesamte Schulsystem monolingual ausgerichtet ist". In den Ballungsräumen und da vor allem in Wien treffe eine wachsende Anzahl von Schülern multiethnischer, multilingualer Herkunft auf eine vorwiegend "monolinguale, monokulturelle Lehrerschaft. Da ist Deutschland schon weiter". Es sei momentan allerdings noch schwierig, Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Migrantenmilieu für das Lehramt zu rekrutieren. Das könnte aber durch eine "proaktive Politik", wie es Deutschland mit eigener Werbelinie vorexerziert hat, gefördert werden. (Peter Mayr/Walter Müller, DER STANDARD, 25.5.2013)