Alfons Schilling: Action-Painter, Zeichner, Maler, Filmemacher, Sehmaschinen-Erfinder, Kunstrevolutionär.

Foto: STANDARD / Christian Fischer

Schilling, ein Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft starb 79-jährig in Wien. Er litt an Parkinson.

Wien - Der Blick war seine Obsession: "Schon als Kind hatte ich ein paar Mal dieses Seherlebnis. Einmal, als ich eine Nachbarin beim Kehren beobachtete, sah ich nur die Bewegung. In Slow Motion. Ich hatte Gänsehaut vor Glück", erzählte Alfons Schilling vor vier Jahren in einem STANDARD-Gespräch anlässlich einer Ausstellung im Essl-Museum.

Damals war er schon an Parkinson erkrankt, konnte sich nur mehr langsam fortbewegen. Wegen eines Augenleidens verlor er außerdem zunehmend an Sehkraft - besonders tragisch, denn dem Akt des Sehens galt sein künstlerisches Forschen: "Alle verändern das Bild, aber niemand verändert den Blick. Ich wollte das Sehen verändern."

Das tat er etwa mit seinen 3-D-Bildern, deren farbräumliche Raffinesse sich erst erschließt, wenn man sie durch ein Prismamonokel betrachtet. Oder mit den Stereobildern, die er nebeneinander hängte, mit der Bitte, man müsse beim Betrachten die Augen überkreuzen: "Das hat natürlich niemand getan." Also erfand er, quasi als Nebenprodukt seiner Farb-Raum- Experimente, die Sehmaschinen, hölzerne Konstruktionen, die in ihrer Schönheit an da Vincis kühne Gerätschaften erinnern; kleinformatige Sehmaschinen für Ausstellungen, riesige Apparate für den öffentlichen Raum.

Vieles in Schillings Leben war - auch - dem Zufall geschuldet. Eigentlich hatte der 1934 in Basel geborene Maler, Zeichner, Filmemacher, Sehmaschinen-Erfinder und Kunstrevolutionierer ja den Eltern zuliebe eine Banklehre absolviert: Mit dem Namen, witzelte er einmal, und für einen Schweizer nicht verwunderlich.

Tafelbild-Sprengmeister

Doch nach der Lehre schrieb er eine Bewerbung an das Royal College of Art in London - und während er auf Antwort wartete, an die Wiener Hochschule (heute: Universität) für bildende Kunst, wo er prompt aufgenommen wurde: "Da gab's keine Wartezeit. Man war ja froh, wenn überhaupt jemand zum Studieren kam." Einer seiner Mitstudenten in der Meisterklasse Eduard Bäumers war Günter Brus.

Die beiden Tafelbild-Sprengmeister flogen bald von der hohen Kunstschule oder, so die nettere Lesart, verließen sie freiwillig und begründeten 1959 die Aktionsmalerei. Aber während die Aktionisten mit den eigenen Körpern experimentierten, beschäftigte sich Schilling mit den Phänomenen des Sehens. So versetzte er Bilder in Bewegung und trug Farbe auf die rotierenden Scheiben, nicht das Performative interessierte ihn, sondern der dynamische Aspekt, die Idee von der Unendlichkeit des Bildes. Oder er lagerte für Linsenraster-Fotozyklen mehrere Bilder übereinander, die dank einer an Holografie erinnernden Technik je nach Blickwinkel wieder einzeln gesehen werden können.

Ende der 1960er-Jahre reiste Schilling mit einem Touristenvisum nach New York. Nur wenige Monate hatte er bleiben wollen, geworden sind es letztlich fast zwanzig Jahre.

1986 kehrte Alfons Schilling nach Wien zurück: "Ich habe gemerkt, dass ich ein Europäer bin. Und dass Wien meine Schicksalsstadt ist." (DER STANDARD, 21.6.2013)