Die Diskussion Gymnasium versus Gesamtschule lässt sich auflösen, wenn man nach organisatorischen Möglichkeiten sucht, jedes Kind gemäß seinen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Motivationen zu fördern und zu fordern.

So können wir für die unmittelbare Zukunft erwarten, dass nach der Volksschulzeit schrittweise Lerninhalte immer öfter auch elektronisch angeboten werden und vom Jugendlichen dann wann und sooft er will, konsumiert und wiederholt werden können. Der Schüler wird auch elektronisch unterstützt lateral lernen, da er/sie parallel mit anderen Lernenden und Wissenden in Verbindung steht und seine Fragen jederzeit und überall stellen kann.

In der Schule werden dann vor allem das Üben und die intellektuelle Reflexion des Stoffes im Vordergrund stehen sowie soziale Interaktionen und der kluge Umgang mit dem Web. Lehrer werden verstärkt durch Erwachsene, die heute schon oft inoffiziell mitarbeiten (nichtberufstätige Mütter und Senioren beziehungsweise alle jene, die gerne mit Kindern arbeiten wollen und können). Diese zusätzlichen Kapazitäten können die einzelnen Kinder in- und außerhalb der Schule auf ihren elektronisch unterstützten Lernpfaden besser begleiten als heute. Im Web kann es durch "Cloud Grannies" Online-Support geben für jene Schüler, die zusätzlicher Hilfe und Motivation bedürfen.

Schüler werden zudem Programmierung als zentrales Fach belegen müssen, so wie dies von der Melinda-und-Bill-Gates-Stiftung propagiert wird, und ihre Lernsoftware aber auch Hardware (zum Beispiel Raspberry Pi) beständig selbst weiterentwickeln und so ihre eigene Umgebung bauen.

Zukunftsmusik? Die meisten Jugendlichen verwenden heute schon all diese Hilfsmittel und Technologien, allerdings individuell und nicht vernetzt mit der Schule, die sich in ihrer grundlegenden Struktur in den letzten Jahrzehnten kaum verändert hat.

Es werden Gesamtschulen sein, die derartige technologisch unterstützte, vernetzte und individualisierbare Lernangebote erstellen und administrieren können. In diesen Schulen können dann pro Fach vier oder fünf verschiedene Leistungsstufen angeboten werden, die jedem Kind eine angemessene Umgebung und Lernpfade ermöglichen. Die Wiener Oberschicht schickt schon seit geraumer Zeit ihre Kinder auf internationale beziehungsweise amerikanische und französische (Gesamt-)Schulen, die nach ähnlichen Konzepten funktionieren.

In der neuen Schule werden Kinder zudem früh anfangen, Netzwerke aufzubauen, die - dank Unterstützung durch soziale Medien - um ein Vielfaches größer und diverser sein werden als die heutigen Verbindungen in sozial segregierten Schulen: Netzwerke sind ja vor allem dann produktiv, intelligent und wertvoll, wenn sie möglichst divers sind. Nur mit solchen Netzwerken sind sie auch für das Arbeitsleben gewappnet, da sie ihre Kontakte an die jeweilige Arbeitssituation ankoppeln und nutzen werden, um Herausforderungen und Probleme zu meistern.

Die Schuldiskussion, die also zu führen wäre, ist, wie man möglichst viele individuelle und vernetzte Lernpfade ermöglicht und diese um das soziale Lernen herumbauen kann. Um ein derartig diverses und komplexes Angebot zu erstellen, ist die Gesamtschule eine passende Organisation. Fächer wie etwa soziales Lernen, Programmierung und der Umgang mit dem Web fehlen heute meist noch völlig. Jeder Politiker, der diese Entwicklungen nicht versteht, verstößt gegen ein fundamentales Menschenrecht in der Informations- beziehungsweise Cloudgesellschaft: permanent und individuell zu lernen, um seinen Motivationen und Kompetenzen gemäß sein Leben zu gestalten. (Ayad Al-Ani, DER STANDARD, 27.6.2013)