Es ist erstaunlich, wie sich eine Politikerin in neun Minuten selbst beschädigen kann. Beatrix Karl hat Mittwochabend in der "ZiB 2" eine bedrückende Darstellung von Ignoranz, Menschenverachtung und Inkompetenz geliefert. Wer das gesehen hat, konnte kaum zu einer anderen Ansicht geraten, als dass Beatrix Karl als Justizministerin ungeeignet ist.

Es ging um die Vergewaltigung und Misshandlung eines 14-Jährigen in der Untersuchungshaft durch drei ältere Häftlinge. Das sei doch nicht ihre Schuld, reagierte Karl trotzig auf die Frage, ob sie sich als Justizministerin schon entschuldigt habe.

Es ist nicht ihre Schuld. Aber es ist ihre Verantwortung.

Viele, die das gesehen haben, sind ehrlich entsetzt. Zu Recht. Sie sei keine Sozialromantikerin, erklärte Karl, solche Vorfälle passieren halt, das werde man nie verhindern können: "Strafvollzug ist nicht das Paradies." Was für ein Unsinn, auch rechtlich gesehen. Der Jugendliche, der misshandelt wurde, war nicht im Strafvollzug, er saß in Untersuchungshaft, wartete auf seinen Prozess. Und selbst wenn er im Strafvollzug gesessen wäre: Das ist kein Grund, keine Berechtigung, keine Entschuldigung, ihn mit einem Besenstiel zu malträtieren.

Dem Jugendlichen selbst die Schuld zuzuschieben, immerhin saß er wegen schwerer Delikte in Haft, wie Karl anführte, ist letztklassig. Was sie verschwieg, was aber ohnehin nichts zur Sache tut: Es kam nicht einmal zu einem Prozess, es gibt wegen dieser angeblich schweren Delikte keine Verurteilung, das Verfahren wurde eingestellt. Es ist aber auch egal. Nichts kann die Misshandlung rechtfertigen.

Diesen menschenverachtenden Zynismus hätte man der Justizministerin gar nicht zugetraut. Kein ehrliches Wort des Bedauerns, kein Ansatz, das Geschehene wiedergutmachen zu wollen. Karl ging mit brutaler Kälte in dieses Interview, war offenbar auch völlig falsch beraten, als sie die Eiserne Lady spielen wollte. Dass sie das so schlecht kann, mag man ihr noch zugutehalten.

Was hätte Karl nicht alles sagen können: Sie hätte sich entschuldigen können, sie hätte Verantwortung übernehmen können, sie hätte Besserung versprechen können. Stattdessen bemüht sie sich, den Fall als lästigen Einzelfall wegzuspielen.

Sexuelle Gewalt gegen Jugendliche im Gefängnis ist eben kein Einzelfall. Das wissen vor allem auch jene, die beruflich mit dieser Thematik zu tun haben, Sozialarbeiter, Geistliche, Richter, das Personal vor Ort. Es sind genügend Fälle bekannt, es werden jährlich dutzende Fälle zur Anzeige gebracht, und wenn man sich ausmalt, wie hoch die Dunkelziffer ist, macht sich Entsetzen breit. Da kann man nicht Sätze sagen wie: "Es hat noch nie bessere Bedingungen gegeben." Die Bedingungen sind nicht gut genug, der Staat hat eine Verantwortung für diese Menschen wahrzunehmen, die in seiner "Obhut" sind. Egal ob "schuldig" oder nicht. Es kann nicht sein, dass am Freitag zu Mittag die Zelle zugesperrt wird und vier Jugendliche darin sich selbst überlassen werden, bis am Montag wieder geöffnet wird. Dass ein Minderjähriger Stunden und Tage ungeschützt der Willkür älterer Häftlinge ausgesetzt wird - das soll nicht sein, das darf nicht sein. Und das hat mit Sozialromantik nichts zu tun. Da braucht es eben mehr Personal, um erträgliche Zustände zu garantieren.

Es geht nicht ums Paradies. Es geht um Menschenwürde. Nicht um mehr. Aber auch nicht um weniger. (Michael Völker, DER STANDARD, 28.6.2013)