Der Bachmannpreis teilt das momentane Schicksal vieler vom ORF (mit)finanzierter Kulturveranstaltungen: den Blick in eine höchst unsichere Zukunft. Die rapide aufgebrandete Welle der Empörung rauscht erstaunlich laut dagegen an, sowohl Autorenvereinigung als auch freie Kulturschaffende laufen Sturm gegen die geplanten Kürzungen, denen die "Tage der deutschsprachigen Literatur" zum Opfer fallen sollen.

Die kleine, ein wenig ketzerisch anmutende Frage, die sich dabei kaum jemand zu stellen traut, lautet aber: Lohnt sich eine Verlängerung dieses Formats überhaupt? Und wer braucht ihn eigentlich noch, den Bachmannpreis?

Man kennt das Phänomen von TV-Sitcoms und Seifenopern aller Art: Sie verbrauchen sich allmählich an sich selbst, erreichen ihren Höhepunkt, überschreiten ihre Halbwertszeit und bleiben bei weiter sinkender Qualität nur in Ausnahmefällen länger als ein volles Jahrzehnt auf Sendung.

Den Bachmannpreis gibt es seit nunmehr 37 Jahren. Gelesen und kritisiert wird in Klagenfurt seither nach dem Vorbild der Gruppe 47, die es nach zwanzig Jahren, 1967, in weiser Voraussicht selbst als genug erachtete und sich in das Stadium freiwilliger Auflösung begab. Prominent besetzt, unter anderem mit Marcel Reich-Ranicki als Mitglied der Jury, startete genau zehn Jahre später der Ableger im Süden, der sich rasch zu einem literarischen Gravitationszentrum entwickeln sollte. Die Liste der Kombattanten und Preisträger der ersten Jahre liest sich erfrischend uneinheitlich, was Nationalität und Zugangsweise zum literarischen Schreiben angeht. Einheitlich war in Klagenfurt nur das durchgehend hohe Niveau der Teilnehmer: Gert Jonke, Ulrich Plenzdorf, Gert Hofmann, Josef Winkler, der kürzlich verstorbene Jürg Amann, Ulla Berkéwicz, Friederike Roth und die unlängst mit dem Kleist-Preis ausgezeichnete Katja Lange-Müller. Ein starker Start, der den Bachmannpreis schnell als renommierte Institution fest in einer bewegten Kulturlandschaft verankerte.

Überaltertes Procedere

Aber nun scheint nicht nur finanziell die Luft nach hinten raus zu fehlen. Man kann niemandem mangelndes Engagement vorwerfen: Es ist schlicht das überalterte Procedere, das den Bachmannpreis unweigerlich weiter in die Knie zwingt. Jedes einzelne Jahr zehn frische Autoren am literarischen Feld zu finden und zu ernten, sie einzuladen, lesen und auszeichnen zu lassen ist zwar der bewährte Modus Operandi, aber in aller Unverblümtheit gesagt: So viele gute Autoren gibt es schlicht nicht (mehr). Der Anteil an Füllmaterial steigt unaufhaltsam – und mittlerweile ist die Geschichte so verwässert, dass der Nachgeschmack mehr bitter als bloß schal ist.

Nicht, dass es in den letzten Jahren keinerlei gute Texte oder würdige Preisträger mehr gegeben hätte, aber es waren stets singuläre Texte, die so krass von den restlichen Leseproben abwichen, dass die anschließende Jurydiskussion nur mehr als leere Form gewahrt wurde. Auch im Vorjahr war unmittelbar nach der Lesung von Olga Martynowa (2012) stiller Konsens spürbar. Dem aufmerksamen Beobachter war rasch klar, dass die sogenannte Konkurrenz gar keine ist.

Unter arrivierten Autoren gilt der Bachmannpreis ohnehin als nicht mehr ganz ernstzunehmend, denn wenn fünf von zehn Bewerbern mit Preisen bedacht werden, stellt sich natürlich die Frage nach der Wertigkeit der erhaltenen Auszeichnung mit doppelter Intensität:

Neben dem Hauptpreis werden noch der Kelag-Preis, der 3sat-Preis, der Ernst-Willner-Preis und der Publikumspreis inklusive des Stadtschreiberstipendiums vergeben. Ist tatsächlich einer aus zwei preiswürdig? Dann braucht es auch keine Literaturkritik mehr, denn bei einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent reichen zwei blinde Griffe ins Regal, um einen Sensationstext hervorzuziehen.

Verlorener Nimbus

Den Nimbus als Entdeckungs-maschine literarischen Neuwuchses hat der Bachmannpreis längst verloren, so darf man also fragen: Wem nützt dieses Gießkannen-prinzip? Den einzelnen Autoren? Womöglich. Der Literatur im Ganzen? Ganz sicher nicht. Sicher ist höchstens, dass auch dieses Jahr jeder, der an der Ausrichtung des Preises beteiligt war, sich seine mediale Aufmerksamkeit als probate Gegenleistung abholen darf.

Vielleicht ist es die Effizienz dieser Vorgehensweise, weshalb man sich nicht scheut, ein längst totes Pferd immer noch weiterzureiten. Nun gut, das ist bis zu einem gewissen Grad durchaus legitim, und anders ist moderner Kulturbetrieb heute gar nicht mehr möglich, aber wenn es zu offensichtlich wird, kippt dies in die Instrumentalisierung der Kunst zu vermeintlich höheren Ehren. Dass sich der Wandel von einem Fest der Literatur in eines der Medien längst vollzogen hat, wird vor Ort am deutlichsten spürbar: Das ORF-Landesstudio Kärnten, architektonisch ohnehin von relativ bescheidenen Dimensionen, wird mit Kameras und technischem Personal überflutet, die Jurydiskussion wird mehrfach unterbrochen, da die Leitung zum Sender nicht steht. Im Publikum fragt man sich, ob man als Besucher oder nur als Teil einer dekorativen Kulisse willkommen ist.

Es gleicht der Pflege eines Furniers, das als internationale Veranstaltung und Kulturzentrum der Region gleichermaßen nach außen schimmern will, völlig unerheblich, welches Totholz sich mittlerweile unter der polierten Oberfläche verbirgt. Dieser Anstrich ist reichlich dünn, aber nicht dünn genug, um in vier Tagen Übertragung gänzlich abzublättern – denn bis die Anthologien, die vollmundig behaupten "die besten" Texte vom Bachmannpreis des Jahres soundso zu verzeichnen, immer noch originalverschweißt zu Spottpreisen auf den regionalen Bücherflohmärkten auftauchen, kann es schon mal bis zu zwei Monate dauern.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich begrüße die Sparpolitik des ORF nicht. Nur hat für meine Begriffe eine Veranstaltung, die sich selbst als Literaturfest begreift, ihre vorgebliche Intention aber nur mehr als Nebeninteresse betreibt, schlicht jegliche Existenzberechtigung verloren. Auch wenn es zumindest den ORF nur lapidare 350.000 Euro kosten würde, den Patienten ein weiteres Jahr am Leben zu erhalten.

Verlogene Attitude

Wie also dann? Privatinvestoren anlocken? Den Bachmann-preis noch kitschiger, noch poppiger gestalten, sich in der Wahl der Texte weiter an leicht verkäufliche Unterhaltungsliteratur anbiedern, Konformismus von Creative-Writing-Schulen, der mitunter bis an die Grenze des Trivialen heranführt? Dann müsste man zumindest die Attitüde aufgeben, das Erbe Ingeborg Bachmanns fortzuführen, oder noch besser jene, völlig altruistisch im Dienste der Kunst zu arbeiten.

Sympathischer wirkt schon das exakte Gegenteil: straffen, straffen, straffen. Weniger Autoren, dafür bessere, weniger Preise, dafür interessanter dotiert – und schon zieht man auf magische Weise eine höherkarätige Klientel an. Ebenso müsste das leidige Nominierungsinierungsmonopol der Juroren endlich fallen, das uns in den letzten Jahren immer weniger Erfreuliches beschert hat und an dem Problem jeder geschlossenen Gesellschaft leidet: Was nicht im engen, gemeinschaftlichen Sichtfenster liegt, fällt zwangsläufig weg.

Vielleicht ist die Krisis immer ein Scheideweg, an dem nur vorwärtskommt, wer sich zur Umkehr entschließt. Vielleicht zurück zu den Wurzeln und dem ursprünglichen Vorbild der Gruppe 47 folgen. Es das sein lassen, was es in den letzten Jahren viel zu selten war: nämlich einfach gut. Aber ein leiser, bescheidener Rücktritt (und damit meine ich weder Kärnten noch Österreich im Speziellen) scheint keine Signatur unserer Zeit zu sein. Also dann: auf nochmals 37 Jahr', auch wenn ich den Bachmannpreis in seiner jetzigen Form kaum vermissen würde. (J. Parnas, DER STANDARD, 29./30.6.2013)