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Der Uni- und Forschungsbeauftragte Alexander Van der Bellen (Grüne) hält im April 2012 ein Taferl hin: Der Dr.-Karl-Lueger-Ring wird in Universitätsring umbenannt.

Foto: dapd / Ronald Zak

Wien - Mitte März 2013 äußerte der Zeithistoriker Oliver Rathkolb einen Verdacht: Helmut Wobisch muss 1966 der Überbringer des Ehrenrings der Wiener Philharmoniker an Baldur von Schirach gewesen sein. Ein Jahr später erhielt der SS-Mann und Juliputschist das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. War Wobisch ein Einzelfall? Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, wollte konkret wissen, welche ehemaligen "Nazis" mit einer Auszeichnung bedacht wurden - und ob es auch Aberkennungen gab. In Hinblick auf Wobisch fragte er: "Wie wird generell mit Auszeichnungen nach Bekanntwerden einer entsprechenden Biografie im Nationalsozialismus umgegangen?"

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) reagierte auf die lästige Anfrage genervt. Seine Antwort lautet: "Es ist dem Bundeskanzleramt aufgrund der Biografie in den Auszeichnungsanträgen kein entsprechender Fall bekannt." Nun ja, so töricht ist wohl kein Antragsteller, dass er die NS-Vergangenheit erwähnt. Es wäre aber sehr wohl Aufgabe der Behörden gewesen, die Angaben zu überprüfen. Dies dürfte, so der Schluss, den man aus Faymanns Antwort ziehen muss, unterblieben sein.

Nur so ist es auch zu erklären, dass Hans Krenek 1966 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik ausgezeichnet werden konnte. Krenek war in der NS-Zeit Leiter der Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund, von wo Kinder zur Tötung auf die Euthanasiestation überstellt wurden, wie kürzlich im "Profil" zu lesen war. Nach 1945 trat er der SPÖ bei - und 1954 wurde Krenek mit der Leitung der Wiener Jugendfürsorgeanstalten betraut. Über die menschenunwürdigen Zustände, die im Kinderheim Wilhelminenberg herrschten, wurde wiederholt berichtet.

Da darf man sich schon die Frage stellen, mit welcher Berechtigung manche Personen Auszeichnungen erhielten. Und ob eine Aberkennung nicht aus sozialhygienischen Gründen angebracht wäre. Aber Faymann geht mit keinem Wort auf die zweite und dritte Frage ein. Das ist beschämend.

Generell scheint gegenwärtig eine gewisse Ratlosigkeit zu herrschen. Soll man Kernstock-Gassen umbenennen und Weinheber-Denkmäler kontextualisieren? Ist ein Ferry-Dusika-Stadion, benannt nach dem "Ariseur" Franz Dusika, in Zeiten politischer Korrektheit noch tragbar?

Letzte Woche wurde die umfangreiche Studie über die "Wiener Straßennamen als 'Politische Erinnerungsorte'" präsentiert. Unter der Leitung von Rathkolb fand eine Kommission nach zweijähriger Recherche 159 kritische Benennungen von Verkehrsflächen: Deren Namensgeber hatten u. a. antisemitische Einstellungen oder waren "dem Nationalsozialismus politisch zu nahe gekommen".

Bekanntlich wirkte Paula Wessely, nach der ein Weg im 19. Bezirk benannt ist, im NS-Propagandafilm "Heimkehr" mit. Und der Dirigent Herbert von Karajan (Platz im 1. Bezirk) war NSDAP-Mitglied. Beim Blättern aber kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Der Opernsänger Josef von Mandowara (Gasse im 23. Bezirk) erfreute sich bei Hitler und Göring "größter Beliebtheit". Der Komponist Hans Pfitzner (Gasse und Brücke im 23. Bezirk) verharmloste nach dem Weltkrieg die NS-Verbrechen. Der Designer Carl Auböck (Promenade im 22. Bezirk), SA-Mitglied, wurde in der NS-Zeit als "Alter Kämpfer" eingestuft.

"Barbarischer Irrtum"

Die Kommission erlaubte sich eine Einteilung in drei Gruppen: 28 Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf, 56 Fälle mit Diskussionsbedarf und 75 weitere Fälle. Mitunter ist die Einteilung fragwürdig: Man wird den Verdacht nicht los, dass Sympathiewerte eine Rolle spielten. Warum ist der Reiseschriftsteller Herbert Tichy (Weg im 18. Bezirk), "begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus", der "aufklärend im Sinne der NSDAP" gearbeitet habe, nur in der Kategorie C - und damit im gleichen Topf wie Heimito von Doderer (Gasse im 21. Bezirk), der sich zu seinem "barbarischen Irrtum" bekannte? Warum ist die Dichterin Maria Grengg (Gasse im 23. Bezirk) in der Kategorie A, der Dichter Josef Weinheber (Platz im 16. Bezirk) hingegen nur in B? Warum erwähnt man bei Grengg, dass die Kommunisten ein Werk auf die Liste der auszusondernden Literatur setzten - und verschweigt dies im Falle Weinheber?

Und ganz entscheidend: Was macht man mit der Diskussionsgrundlage? Umbenennungen wie 2012 beim Dr.-Karl-Lueger-Ring sollen nach Ansicht von SPÖ-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny die Ausnahme bleiben. Zusatztafeln wären eine Möglichkeit; doch diese gibt es nicht einmal bei Weinheber - trotz Beschluss auf Bezirksebene vom Oktober 2010.

Beklemmenderweise wurden auch im letzten Jahrzehnt, unter der Zuständigkeit von Mailath-Pokorny, Verkehrsflächen nach ehemaligen "Nazis" benannt, 2009 etwa der Clarplatz nach dem Geologen Eberhard Clar. Besonders pikant: Der Architekt Roland Rainer verschwieg in seiner Autobiografie seine NS-Planungen (samt biologistisch-rassistischer Diktion). 2006 wurde im 15. Bezirk ein Platz nach ihm benannt.

Vielleicht führt die politische Korrektheit auch zu weit. Straßennamen sollen auch die dunklen Seiten der Geschichte "thematisieren", so Mailath-Pokorny. Die Politiker müssten nur sagen, dass es okay ist, "Nazis" zu ehren. Und schon könnte es einen Kurt-Waldheim-Weg geben. Und ein Ehrenzeichen für Gottfried Küssel. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 9.7.2013)