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Zwangsstörungen haben viele verschiedene Ausprägungen: Oft dreht es sich um Reinigungsrituale wie Händewaschen, ...

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... oder um eine bestimmte Ordnung, wenn man etwa nur eine Fliese auf einmal betreten darf.

Das alte Duschgel aufbrauchen, bevor ein neues geöffnet wird. Kontrollieren, ob die Herdplatte auch wirklich abgeschaltet, das Bügeleisen ausgesteckt, die Tür zugesperrt ist. Alles immer mit beiden Händen berühren. Immer nur nur eine Bodenfliese auf einmal berühren. Treppenstufen zählen. Ständiges Händewaschen. Von diesen und anderen Zwängen berichten die Kollegen aus der derStandard.at-Redaktion. Aber nicht nur sie, sondern so gut wie alle leiden an der einen oder anderen Form von zwanghaften Charakterzügen, Tics oder Macken.

Zwei bis drei Prozent betroffen

"Rituale und Routinen sind lebensnotwendig und erleichtern das Zusammenleben, etwa beim gemeinsamen Trauern bei Begräbnissen. Krankhaft werden fixe Routinen und Zwänge erst dann, wenn Betroffene einen Leidensdruck verspüren und sich in ihrem Leben beeinträchtigt fühlen", sagt Ulrike Demal, Psychologin am AKH Wien.

Erst dann spricht man von Zwangsstörungen, an denen etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung leiden. Die Zwangserkrankten erkennen, dass ihre immer wiederkehrenden Gedanken und Handlungen im Prinzip unsinnig oder zumindest übertrieben sind, können sich aber nicht dagegen wehren. Sie verspüren eine innere Unruhe und regelrechte Angstzustände, wenn sie ihren Zwängen nicht nachgeben können. Nur durch noch stärkere und häufigere Handlungen kann das Verlangen danach wieder gestillt werden.

Abwehren von vermeintlichen Gefahren

Zwangshandlungen sind stereotype Rituale, die weder angenehm noch nützlich sind. Sie sind eng mit Angst verknüpft und drehen sich meist um die Themengebiete Ordnung, Reinlichkeit und Kontrolle. Nicht selten sollen die Wiederholungshandlungen vermeintlich drohende Katastrophen oder Unheil abwenden - etwa eine Infektionskrankheit, die nur durch häufiges Händewaschen verhindert, oder eine Gasexplosion, die nur durch ständige Kontrolle des Herds vermieden werden kann.

Eindeutige Ursache gibt es keine: Üblicherweise ist eine (oft vererbte) Störung im Serotoninhaushalt in Verbindung mit Umweltfaktoren die Ursache. Die Erkrankung beginnt meist in der Pubertät und erreicht ihre stärkste Ausprägung um das 20. Lebensjahr. Tritt sie erst später auf, ist sie oft an eine Depression gekoppelt. "Bei Kindern sind Zwangshandlungen, wie etwa nur bestimmte Fliesen zu betreten, nicht ungewöhnlich. Sind sie aber hinderlich im Alltag, sollte man doch besser zum Arzt", sagt Siegfried Kasper, Vorstand der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am AKH Wien.

Wirksame Therapie

Seit den 1990er-Jahren gibt es eine wirksame Standardtherapie, die aus einer Kombination von hoch dosierten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und einer Verhaltenstherapie besteht. Die Medikamente sind vor allem am Anfang der Therapie essenziell, um das Angstniveau zu senken und dem Patient mehr Spielraum zu schenken. Die Therapie ist potent, dauert meist aber viele Monate, wenn nicht Jahre - wird früher damit unterbrochen, kehren die Symptome zurück. 

Obwohl Zwangsstörungen die, nach Phobien, Depressionen und Süchten, vierthäufigste psychiatrische Erkrankung darstellen, gibt es noch wenig Bewusstsein darüber. Weniger als 50 Prozent der Betroffenen werden behandelt, und wenn dann durchschnittlich erst nach fünf Jahren. Weil der Therapieerfolg umso wahrscheinlicher ist, je früher damit begonnen wird, empfiehlt es sich, die eigenen Zwänge genauer zu betrachten - zum ersten Selbsttest eignen sich Selbstratingbögen im Internet. (Florian Bayer, derStandard.at, 27.2.2014)