STANDARD: Herr Stronach, sind Sie wütend?

Stronach: Nie.

STANDARD: Was bringt Sie dazu, in die Politik zu gehen?

Stronach: Das Gewissen.

STANDARD: Das Gewissen sich selbst gegenüber?

Stronach: Man muss ein Gewissen sich selbst gegenüber haben. Ein Land, in dem die Leute ihr Gewissen verlieren, geht den Bach hinunter. Würden wir in der Regierung sein, würde, wenn die Schule anfängt, der Lehrer sagen: Jetzt stehen wir zwei Minuten auf und denken darüber nach, was ein jeder von uns zu einem besseren Österreich beitragen kann.

STANDARD: Was halten Sie davon, Herr Düringer?

Düringer: Stronach und ich haben ja schon einmal gesprochen, da ging es um eine geistige Revolution in dem Land.

Düringer hat kein Mobiltelefon, das von Stronach läutete dafür während des Gesprächs dreimal. Einmal ließ Stronach den Kabarettisten mithören: als seine rechte Hand Kathrin Nachbaur dran war.
Foto: STANDARD/Newald

Stronach: Die Welt war und ist von der goldenen Regel dominiert: Wer das Gold hat, macht die Regeln. Ich möchte von niemandem dominiert sein, aber ich möchte auch nicht die Möglichkeit haben, jemanden zu dominieren. Die Frage ist, wie können wir die Ketten des Dominierens konstruktiv lösen? Nicht durch zerstörende, sondern durch geistige Revolutionen.

STANDARD: Sie finden, Sie dominieren Ihre Partei nicht?

Stronach: Nein. Ich habe gewisse Prinzipien aufgestellt, aufgebaut auf Demokratie, Freiheit, weniger Staat. Wer nicht dabei sein will, braucht nicht. Ich investiere meine Zeit, sehr viel Geld und möchte, dass wir erfolgreich sind.

Düringer: Vielleicht geht es uns beiden um dasselbe, nur der Weg ist ein anderer. Du bist in die Politik eingestiegen. Ich bin aus gewissen Systemen ausgestiegen. Ganz bewusst. Wir haben beide in unserem Leben Rahmenbedingungen verändert, die es vorher nicht gegeben hat.

STANDARD: Welche Rahmenbedingungen haben Sie denn verändert?

Düringer: Ich lebe reduzierter, indem ich einfach kleine Werkzeuge weglasse wie etwa Mobiltelefone. Wenn auf dem Tisch ein Mobiltelefon läutet, weiß ich, es ist nicht meines. Das ist angenehm. Ich habe keine E-Mail-Adresse mehr, ich fahre weniger mit dem Auto, was dir wahrscheinlich weniger gefallen wird, weil du davon lebst, dass Menschen viel mit dem Auto fahren ...

Stronach: Ich kann reiten, ich habe Pferde ... Der Mensch war immer mobil. Er hat gejagt und ist mit dem Wetter mitgegangen, dorthin, wo die Büffel waren. Aber nicht mit dieser Geschwindigkeit.

Düringer: Es ist ein Problem unserer Zeit, dass uns die Geschwindigkeit viel Druck macht.

Stronach: Ich habe kein Problem.

Düringer: Es ist dann keine persönliche Einstellung mehr, wenn ich dort, wo ich lebe, nicht mehr das vorfinde, was ich zum Leben brauche. Wenn ich in einem Ort lebe, wo es kein Lebensmittelgeschäft gibt, bin ich gezwungen, in ein Auto zu steigen und dorthin zu fahren, wo ein Konzern ...

Stronach: Als Bub war immer mein großer Traum, dass ich endlich ein Fahrrad habe, das mir allein gehört. Ich musste es mit meiner Schwester teilen.

STANDARD: Wann haben Sie das erste eigene Rad bekommen?

Stronach: Als ich in die Lehre gegangen bin.

Düringer: Das Dorf, in dem du gelebt hast, hat sich selbst versorgen können?

Stronach: Ich glaube, fast.

Düringer: Das hat sich verändert. Die Menschen sind zur Mobilität gezwungen. Das Konzept des Rades ist nicht so ein gescheites. In der ganzen Natur gibt es kein einziges Viech, das Räder hat.

Stronach: Menschen sind anders als Viecher.

Düringer: Ein Rad braucht immer etwas, nämlich eine Fahrbahn. Ohne Fahrbahn funktioniert kein Rad.

Stronach: Tiere kommen ohne Räder weiter.

Düringer: Das meine ich ja! Man muss das Konzept des Rades überdenken!

Stronach: Ohne Rad kommst nicht weit.

Düringer: Nur wenn du eine Fahrbahn hast! Wenn du mit einem Rad unterwegs bist und dann kommt der Fußweg, wo Wurzeln sind, wirst du dein Rad tragen müssen.

Stronach: Dann lässt du es halt irgendwo angehängt und gehst zu Fuß ...

STANDARD: Sie kommen aus einfachen Verhältnissen, heute sind Sie einer der reichsten Österreicher. Bedeutet Geld Glück für Sie?

Stronach: Der Erfolg des Lebens kann nur daran gemessen werden, wie glücklich man ist. Es ist leichter, glücklich zu sein, wenn man etwas Geld hat. Wenn man etwas gerne macht, dann wird man darin gut. Mit besonderem Einsatz kann man der oder die Beste sein.

STANDARD: Herr Düringer, Sie verzichten auf ein paar Dinge, was macht Sie glücklich?

Düringer: Der Verzicht macht mich glücklich. Zu erkennen, dass ich mit relativ wenig ein relativ glückliches Leben führen kann. Wir laufen dem Geld hinterher, weil wir glauben, dass Geld einen Wert hat. Das glaube ich nicht. Wenn eine Währungsreform kommen würde und wir unsere Euro 1:5 umtauschen würden, täten alle blöd schauen, die jetzt Geld zu Hause haben.

STANDARD: Was hat Wert für Sie?

Düringer: Wenn wir jetzt über materielle Dinge reden, haben Dinge Wert für mich, mit denen ich etwas produzieren kann: eine Schaufel, mit der ich im Garten graben kann. Werkzeug, Nahrungsmittelvorräte, das Dach über dem Kopf, mein kleiner Holzwohnwagen von 28 Quadratmetern. Ich habe eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, ich bin von keinem System abhängig, ich habe ein Trocken-WC, also hänge ich auch nicht am Kanalnetz. Ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und eine Daseinsmächtigkeit zu haben hat für mich einen großen Wert.

STANDARD: Würden Sie so leben wollen, Herr Stronach?

Stronach: Vielleicht nicht so drastisch, aber ich könnte einfach leben, in einer Blockhütte irgendwo, ein bisschen fischen, Gemüse anbauen. Aber ich bin gerne unter Leuten. Ich ziehe mich von Zeit zu Zeit zurück, wir Leute leben ja mehr oder weniger schon fast wie in einem Zoo. Bürger haben keine Möglichkeit, jemals in die Regierung hineinzukommen. Unser Programm sagt, wir wollen keine Berufspolitiker, höchstens für zwei Perioden. Wir brauchen ein Maximum von 150 Politikern: Hundert davon würden gewählt werden wie jetzt, fünfzig würden von Bürgern gewählt werden.

Düringer: Ich wähle immer gleich: mit einem Zettel, auf dem steht "Gültige Stimme". Ich weiß, dass es als ungültige Stimme gewertet wird, aber ich habe eine gültige Stimme. Der Weg, den wir jetzt gehen müssen, jeder von uns, und das hat etwas mit wirklicher Demokratie zu tun: dass ich die Möglichkeit habe, Entscheidungen zu treffen, die dem Leben dienen und keinen Schaden anrichten. Ich kaufe etwa nicht mehr in Supermärkten ein.

Stronach: Im österreichischen Gesetz sind Tiere eine Sache. Aber Tiere sind Geschöpfe Gottes.

STANDARD: Essen Sie Fleisch?

Stronach: Tiere sind dem Menschen untergeordnet. Aber es heißt nicht, wenn etwas untergeordnet ist, dass man grausam sein muss. Ich habe eine große Rinderzucht in Florida, mit ungefähr 40.000 Hektar. Da sind die Tiere wie in der Natur. Wenn ich auf meine Farm gehe, esse ich Fleisch, weil ich weiß: Die Tiere werden richtig gehalten.

Düringer: Ich esse sechsmal im Jahr Fleisch, das möchte ich selbst getötet haben.

STANDARD: Wann das letzte Mal?

Düringer: Unlängst habe ich einen kleinen Vogel getötet, weil er aus dem Nest gefallen ist.

STANDARD: Um ihn zu essen?

Düringer: Nein. Er ist aus dem Nest gefallen, meine Tochter und ich haben uns bemüht, ihn durchzubringen, was nicht gelungen ist.

Standard: Was für ein Tier haben Sie zuletzt getötet, um es zu essen?

Düringer: Einen Fisch.

STANDARD: Ich habe mit einer Kuh gerechnet.

Düringer: Kein Rind. Das Letzte, was ich gegessen habe, war ein Reh, das ein Freund von mir geschossen hat.

STANDARD: Wieso wollen Sie eigentlich nicht Kanzler werden, Herr Stronach?

Stronach: Ich habe ungefähr 400 Fabriken in der Welt. 200 davon habe ich noch gar nicht gesehen. Wenn man da unzufriedene Arbeiter hat, kann man keine Qualitätsprodukte machen. Was muss ich also tun, dass die Leute mit dem Herzen dabei sind?

STANDARD: Und Kanzler wollen Sie nicht werden, weil ...?

Stronach: Ich habe ein gewisses Alter, obwohl ich mit jungen Buben immer noch Ski fahre und Tennis spiele. Aber ich habe so viel gearbeitet, ich möchte ein bisschen leben. Ein Kanzler muss 24 Stunden am Tag fürs Volk da sein. Meine Aufgabe ist es, einem jungen Team Prinzipien vorzugeben, nach denen sie handeln müssen. Wirtschaft ist das Wichtigste. Wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, dann funktioniert nichts. Dann hört das Leben auf.

STANDARD: Ist Wirtschaft das Wichtigste, Herr Düringer?

Düringer: Wir neigen dazu, Dinge pauschal zu verteufeln. Wirtschaft ist nichts Schlechtes. Sie hat einen Sinn. Wichtig ist, dass wir erkennen: Was brauche ich wirklich, um ein gutes Leben zu haben? Und was will ich nur, weil andere es auch wollen? Solange wir fünfhundert Joghurtsorten im Supermarkt für Wohlstand halten, wird sich nichts ändern. Solange ich nicht erkenne, dass eine Schaufel, die ich kaufe, erst zu einer Schaufel wird, wenn ich damit ein Loch grabe, und nicht eine Schaufel ist, wenn sie im Schupfen herumhängt mit fünf anderen Schaufeln und nicht benützt wird, wird sich nichts ändern. Wir haben von allem zu viel. Alles, was wir produzieren und verkonsumieren, stammt von diesem Planeten. Und wir verwandeln es in Müll.

Stronach: Schön, dass es Leute gibt, die darüber nachdenken. Im Leben hat man Verantwortung. Wir beginnen damit, dass wir zuerst einmal das System ändern und Bürger eine Chance kriegen, gewählt zu werden. Das ist, was ich jetzt versuche.

Düringer: Das ist ein schönes Ende. Wir wollen jetzt alle nach Hause, wo sich unser Weg teilt.

Stronach: Nein.

Düringer: Oh ja!

Stronach: Aber er führt wieder zusammen.

Düringer: Wir sind alle Teil des Systems. Wenn jeder für sich anfängt, sein Denken zu ändern, wird sich alles verändern. Insofern führt er wieder zusammen. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, 7.9.2013)