In der Jedleseer Straße in Wien-Floridsdorf wurde eine ehemalige Tankstelle in eine moderne Kfz-Werkstätte umgebaut.

Foto: Side Projekt

Gestern Tankstelle, heute Künstleratelier: Im "Tankstellengarten" in Berlin-Schöneberg, umgebaut von Hager Landschaftsarchitektur, hat die Natur den Raum zurückerobert.

Foto: Annette Kiesling, Berli, private plots

Unter dem Flugdach wachsen Farne und Bambus, im Wasserbecken schwimmen Seerosen und Iris, und aus dem Kies kämpfen sich wacker Glockenblumen, Fingerhut und Lilien nach oben. Das Künstleratelier in Berlin-Schöneberg erinnert nicht von ungefähr an eine Fünfzigerjahre-Tankstelle. Der Eindruck trügt nicht: Bis in die Neunzigerjahre wurden hier Benzin und Diesel verkauft. Die Zapfsäulen und Kraftstofftanks sind längst Geschichte, Haus und Dach jedoch sind geblieben und verleihen dem preisgekrönten Projekt sein unverwechselbares Ambiente.

Auch in Österreich hat der Rückgang der Mineralölbranche zu zahlreichen Schließungen und Umbauten geführt. Waren es 1988 noch etwa 4000 Tankstellen, an denen man seinen leergefahrenen Tank wieder auffüllen konnte, sind es laut Wirtschaftskammer Österreich (WKO) heute nur noch 2503 (Stand Dezember 2012). Und die Tendenz ist weiterhin fallend. Manche Marken sind bereits völlig vom Markt verschwunden, andere kämpfen nach wie vor ums Überleben.

Shops und Gastronomie

"Im EU-Durchschnitt liegen die Treibstoffkosten im unteren Drittel, und das wirkt sich natürlich auch auf die Margen aus", sagt Peter Klemens, Geschäftsführer der Fachgruppe Garagen und Tankstellen der Wirtschaftskammer Wien. Während die Tankstellenbetreiber vor der Jahrtausendwende noch acht bis zehn Cent pro Liter Kraftstoff erwirtschafteten, sind es heute nur noch drei bis fünf Cent. "Mit dem reinen Verkauf von Benzin oder Diesel kann man heute kaum noch überleben. Zusätzliche Geschäftsfelder wie etwa Tankstellenshop, Gastronomie, Waschstraße oder Service-Box sind unverzichtbar geworden."

Doch auch dann ist das wirtschaftliche Überleben noch lange nicht gesichert. Manche Betreiber wie etwa OMV haben sich daher auf zwei Schienen spezialisiert und bieten neben den hochwertigen OMV-Tankstellen auch viele billigere, weil unbemannte Diskontautomaten an, in diesem Fall Avanti, an denen man mit Plastikgeld bezahlt. Wenn auch dieses Konzept nicht den gewünschten Umsatz abwirft, dann hilft nur noch eines: Schließung.

Semmeln und Tablettenlager

"Die Nachnutzung alter Tankstellen hängt sehr stark vom Standort und von der Verkehrsfrequenz ab", erklärt Klemens. "In attraktiven Lagen entstehen oft autonahe Einrichtungen wie etwa Autohäuser und Werkstätten, manchmal auch Blumenmärkte oder Gastronomiebetriebe, in weniger attraktiven Lagen bleibt den Betreibern oft keine andere Möglichkeit als der Rückbau der Immobilie und die Aufkündigung des Pachtvertrags beziehungsweise der Grundstücksverkauf."

Tankstellen erlebten hierzulande schon die verschiedensten Metamorphosen: in Wien-Floridsdorf zur Werkstätte (siehe Foto links oben), in Bruck an der Leitha zum Autohaus, am Semmering zum Drogeriemarkt, am Ötscher zur Bäckerei, in der Hinterbrühl zum Medikamentenlager für einen Apotheker. In Wien-Simmering wich eine Tankstelle einem geförderten Wohnbau mit 116 Wohnungen, und in Traunkirchen soll auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück sogar ein Motel entstehen. Auch die Kunst zieht es zur leeren Zapfsäule: In Wien sind in Hietzing und Ottakring zwei sogenannte "Kunsttankstellen" entstanden.

Attraktive Wege

"Die grundsätzliche Frage ist, ob man die Baulichkeiten erhält oder nicht", meint Wolfgang Schmitzer. Gemeinsam mit seinem Partner Karl Schiretz hat sich der Wiener Unternehmer, früher selbst in der Mineralölbranche tätig, auf die Verwertung von aufgelassenen Tankstellen spezialisiert. Sein Unternehmen Side Projekt Immobilienmanagement GmbH mit Sitz in Wien hat bisher rund 40 Tankstellentransformationen abgewickelt - rund die Hälfte davon unter Beibehaltung von Flugdach und Zapfsäulencharme.

"Es spricht vieles dafür, die Baulichkeit zu erhalten", so Schmitzer. "Ein Tankstellengrundstück verfügt über Kfz-Stellplätze sowie über Zu- und Abfahrten. Bei jedem anderen Projekt müssen solche Einrichtungen erst ein aufwändiges Widmungs- und Bewilligungsverfahren durchlaufen." Auch Thomas Joch, Referent der Baupolizei für Besondere Bauvorhaben (MA 37 BB), bestätigt auf Anfrage des STANDARD: "Wenn es einen bestehenden Konsens für Verkehrswege und Stellplätze gibt, so bleibt dieser bei einer Neunutzung des Gebäudes aufrecht. Das macht die Tankstellen für viele Gewerbetreibende attraktiv."

500 Tankstellen zu viel

Noch ist der österreichische Markt nicht konsolidiert. Während in Deutschland auf eine Tankstelle knapp 5500 Einwohner entfallen, gibt es in Österreich eine Tankstelle pro 3200 Einwohner. Das ist laut Side-Geschäftsführer Wolfgang Schmitzer noch immer viel zu viel: "Ich rechne damit, dass in den kommenden Jahren noch etwa 500 Tankstellen werden schließen müssen." In den betroffenen Konzernen sieht man das anders. Man spricht von "bereits abgeschlossener Netzoptimierung" und "bereits erfolgter Konsolidierung".

"Die Netzbereinigung in Österreich wurde bereits vor einigen Jahren abgeschlossen", heißt es etwa bei Shell, das heute 260 Stationen in Österreich betreibt. Und Alois Wach, Tankstellenleiter Österreich und Deutschland bei der OMV, die 230 Vollwert-Tankstellen und 130 Avanti-Automatenstandorte betreibt, gibt zwar zu bedenken, "dass wir in Österreich unter einer doppelt so hohen Tankstellendichte wie etwa in Deutschland leiden", doch auch hier sei das Tankstellennetz stabil. "Wir sind bereits konsolidiert", so Wach. Mit den Einschätzungen der Wirtschaftskammer und des Tankstellenbetreibers Side decken sich diese Aussagen nur wenig.

"Das ist nicht unser Ding"

Und? Gibt es ein Leben nach dem Tankstellentod? "Nein, denn in der Regel trennt sich Shell im Falle einer Auflassung sowohl von der Tankstelle als auch vom Grundstück." Und in der OMV heißt es klar und deutlich: "Wir sind eine Mineralölfirma und kein Maklerunternehmen und auch keine Immobilienfirma. Das ist nicht unser Ding. Wenn wir einen Standort aufgeben, dann verlassen wir ihn ganz." Warum die Mineralölkonzerne die meist sehr attraktive Lage der Benzin- und Dieselliegenschaften nicht erkennen und nutzen sollen, ist für Side-Chef Wolfgang Schmitzer unverständlich. "Da schlummern enorme Potenziale."

Einzig bei der Julius Stiglechner GmbH & Co KG, die die Eigenmarke IQ sowie Shell unter Vertrag betreibt, ist man einer tankstellenfremden Immobilienverwertung gegenüber nicht abgeneigt: "Zur Auflassung von Standorten kommt es immer wieder", sagt Elsa Dutzler-Stiglechner auf Anfrage des STANDARD. "Meistens stehen unsere Stationen auf Miet- und Pachtgründen, aber im Eigentumsfall ist eine Verwertung der Liegenschaft natürlich nicht unattraktiv. Der Immobilienwert der meisten Grundstücke ist sehr hoch. Auch ohne Zapfsäule. Dessen sind wir uns bewusst."

Schätzungen der WKO zufolge werden durch das Tankstellensterben in den kommenden Jahren allein in Wien 135.000 Quadratmeter Grundstücksfläche frei werden. Das entspricht der Fläche von 20 Europacup-Fußballfeldern. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 14.9.2013)