US-Autor Donald Ray Pollock: "Selbstverständlich finde ich es unterhaltsamer, über das Böse zu schreiben."

Foto: Andy Urban

Wien - Donald Ray Pollock war 45, als sein Vater in Pension ging. Er arbeitete, so wie schon Großvater Pollock, in derselben Papiermühle in einer Kleinstadt in Ohio, in der auch Donald selbst 32 Jahre lang als Lastwagenfahrer tätig war.

Donald Ray Pollock: "Ich habe die Highschool abgebrochen und war, was eine Berufsausbildung angeht, nie sonderlich ambitioniert. Als ich aber dann meinen Vater gesehen habe, wie er nach einem harten Arbeitsleben als Rentner nur noch vor dem Fernseher gehockt ist und auf den Tod gewartet hat, habe ich mir einen Ruck gegeben: Es muss doch im Leben noch etwas anderes geben als dieses Ende. Meine Frau war schockiert, als ich ihr gesagt habe, dass ich zu studieren beginnen werde und mir fünf Jahre gebe, bis ich ein Buch veröffentliche, von dem ich leben kann. Falls das nicht geklappt hätte, wäre ich weiter arbeiten gegangen."

Pollock veröffentlichte 2008 schließlich Knockemstiff, eine international akklamierte Kurzgeschichtensammlung, die den Autor nicht nur fest in der Tradition altvorderer American-noir-Autoren stehend sieht. Erskine Caldwell, William Faulkner, Cormac McCarthy oder Großmeisterin Flannery O'Connor fallen einem da ein. Pollock erweist sich mit diesen lakonisch und ohne allzu großes Mitempfinden erzählten Storys aus seinem titelgebenden Heimatkaff im Hinterland Ohios auch als durchaus eigenständiger, sehr genauer Beobachter seiner Umgebung. In dieser lagen Gewalt, Schnapsdampf, Weihrauch und Myrrhe immer klischeeverdächtig in der Luft.

Donald Ray Pollock, der das inzwischen auf Deutsch vorliegende Knockemstiff sowie den artverwandten Roman Das Handwerk des Teufels jetzt bei der Kriminacht in Wien vorstellte:

"Ich kann nicht behaupten, dass die Provinz Monster gebiert oder dass sogenannte Hinterwäldler gewalttätiger oder bösartiger als Leute wären, die in der Stadt wohnen. Es ist nur so, dass Menschen, die nicht besonders gut ausgebildet sind und in der ländlichen Abgeschiedenheit leben, ein gewisses Gefühl der Ausweglosigkeit verspüren, das sie möglicherweise unkontrolliert aggressiver werden lässt. Das Internet und das Fernsehen haben die Sache heute vielleicht etwas weniger dramatisch gemacht, aber meine zwei Bücher spielen ja auch in der Zeit, als ich ein junger Mann war, in den 1960er- und 1970er-Jahren."

Keine Happy Endings

Obwohl Donald Ray Pollock den Hass, den Abscheu, den Weltekel, den religiösen Wahn und all das Schlechte und Niederträchtige, das dieser Planet so zu bieten hat, mitunter drastisch übersteigert, erinnert er sich doch daran, wie der Vater einmal mit einer Stichverletzung nach Hause kam oder an die Schlägereien am Wochenende als junger Mann in den Bars der Umgebung.

Pollock: "Wenn ich zu Hause die Lokalzeitungen lese, muss ich mir eingestehen, dass meine Geschichten eigentlich gar nicht so gewalttätig und mit kranken Menschen vollgeräumt sind, wie mir gern unterstellt wird. Ich neige aber natürlich wie jeder Autor zur Übertreibung. Darin versuche ich mich allerdings knappzuhalten."

Tieropfer, Menschenopfer, sexuelle Triebtäter, amphetaminsüchtige Psychopathen, geistig zurückgebliebene Kindmänner, die aus unschuldig-naiver Liebe zu Mördern werden, sadistische Wanderprediger: Die Lektüre der Bücher dieses privat sanftmütigen und höflichen älteren Herren von 59 Jahren ist kein Spaziergang.

Pollock: "Ich könnte natürlich unehrlich sein und Happy Endings konstruieren, aber ich verrate kein großes Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass das Leben selten gut ausgeht. Die meisten von uns werden irgendwann in einem Bett oder auf dem Sofa enden. Wir werden unter Atembeschwerden leiden und darauf hoffen, dass die bohrenden Kopfschmerzen oder das Stechen in der Hüfte weggehen - und irgendwann fällt der Vorhang. Gut, ich finde es selbstverständlich auch unterhaltsamer, über das Böse zu schreiben. Mit dem Guten ist man leider schnell durch, nicht?"

In Pollocks Welt gibt es also Schuld, aber keine Vergebung, Sünde, aber keine Erlösung?

Pollock: "Bei mir zu Hause leben in der Umgebung Waffennarren, die alles hassen, was von der Ost- oder Westküste kommt. Es gibt jede Menge fundamentalistische Spinner, die tatsächlich daran glauben, dass die Welt erst vor drei- oder viertausend Jahren erschaffen wurde. Für die Durchsetzung ihres Glaubens sind sie bereit, sehr weit zu gehen. Dennoch gehe auch ich sonntags in die Kirche, allerdings zu den Baptisten. Wir sind relativ harmlos. Ich mag die Idee, dass es da eine höhere Macht geben könnte, die alles zusammenhält. Und wenn es diese nicht geben sollte, macht es auch nichts. Wenn sich die Leute auch ohne einen mit Feuer und Schwert drohenden Gott an die Zehn Gebote halten würden, würde die Welt zu einem besseren Ort werden, denken Sie nicht?!"

Knockemstiff ist übrigens heute längst eine Geisterstadt. Das Böse ist weitergezogen. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 19.9.2013)