Spaghetti- Western, Neue Musik, Bluesrock und Geräusche aus der verhallten Gitarre: Anna Calvi.

Foto: Roger Dekker

Manchmal schleichen sich kräftige Dissonanzen ein. Sie legen nahe, dass Anna Calvi es auch tatsächlich ernst meint, wenn sie in Interviews gerne von musikalischen Einflüssen wie Cpt. Beefheart oder Hendrix schwärmt. Den Wechsel vom Klang zum Geräusch und wieder retour sowie eine harmonische Restverträglichkeit hat sich Calvi möglicherweise bei der Produktionsmethode Björks abgeschaut. Diese hasst zwar bekanntlich Gitarren wie der Teufel das Weihwasser. Der Kunstgriff aber, miteinander scheinbar unvereinbare Komponenten wie "Avantgarde" und "Gassenhauer" zu einer Form populärer Musik zusammenzuführen, die sowohl eine breiter gefächerte Laufkundschaft als auch das hippe Jungvolk als Hörerschaft anspricht, sorgt für Spannung.

Die britische Gitarristin und Sängerin Anna Calvi ist gerade 33 Jahre alt geworden. Nach dem namenlosen Debütalbum von 2011 veröffentlicht sie jetzt nach persönlichen Krisen mit "One Breath" nicht nur eine öffentliche Trauerarbeit über Depression und das Zurechtkommen mit den täglichen Herausforderungen eines unbeständigen und wenig absehbaren Künstlerlebens. Die Lieder auf "One Breath" und vor allem der Titelsong mit seinem sich fantastisch aus dem dunklen existenziellen Loch Richtung Himmel voller Geigen schraubenden Finale belegen auch eines: Das Publikum hat mehr davon, wenn ein Musiker leidet - und es ihm nicht so toll geht wie gewünscht. Vom Unvermögen, gute Songs schreiben zu können, wenn man wirklich vollkommen fertig ist (die Joy-Division-Rezeptionsfalle), ein anderes Mal.

Mit letzten Kräften

Anna Calvi versucht sich mit einer Stimme, die irgendwo in der Mitte zwischen Maria Callas und Siouxie Sioux gemeinsam mit PJ Harvey auf eine Kaffeejause geht, an der ganz großen Geste. Sie säuft dann oft im Hallraum ab. Das tritt immer dann ein, wenn unsere Heldin wortlos heult, bevor das Streichorchester Arabesken sägt und Calvi auf ihrer viel zu großen Fender Telecaster aus Bluesrockriffs Ennio-Morricone-Sounds destilliert, die mit schneidenden Tönen auf Wasserknappheit in der Wüste hinweisen. Die Geier kreisen, Durst ist schlimmer als Heimweh - aber es bleibt vor dem Showdown mit letzten Kräften noch immer Zeit genug, um einen Zigarillo melodramatisch zu zerkauen.

Peng, peng, Schüsse reißen die Luft. Das Böse verendet im Staub. Ein Frauenchor jubiliert. Er besteht aus der vielfach übereinandergelegten Stimme unserer Heldin.

Abgesehen von so viel bestens aus der Popgeschichte bekanntem und mit dem Stichwort Morricone gerade wieder eine Konjunktur erlebendem Breitwandpathos (siehe auch das neue Goldfrapp-Album) sowie Spurenelementen moderner Klassik (Arvo Pärts kitschig-sinistre Christenchoräle sind nicht weit) bleibt die raumausschreitende Produktion trotzdem spannend.

Calvi ist eine Gitarristin, die ihr Können nicht übertrieben sinnlos zur Schau stellt, sondern es in den Dienst des Songs stellt. Mit schlanker zweiköpfiger Begleitband an Bass und Schlagzeug bleibt sie dem konservativen Bluesrockschema treu, das auch schon Nick Cave dazu veranlasste, sie ins Vorprogramm seiner Europatournee mit Grinderman zu buchen. Wo aber Cave mit diesem breitbeinigen und langbärtigen Rockistenprojekt ordentlich auf die niederen Instinkte der männlichen Hörer zielte, versteht es Calvi, die ganze Sache verspielter, eleganter und melodramatisch ausgewogener anzulegen. Das mag zwar nicht das Gelbe vom Ei sein. Aber das Weiße ist ja auch nicht so schlecht. Ein Album des Jahres.  (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 27.9.2013)