Ferdinand von Schirach, Jurist und Starautor.

Foto: Piper Verlag / Paulus Ponizak

Wien - Wenn nicht immer diese Sache mit den Begriffsklärungen sein müsste, wäre das Leben entschieden einfacher. Schuld ist zum Beispiel ein Begriff, den man juristisch zwar mehr oder weniger eindeutig bestimmen kann - solange einem nicht die Rechtsschutzversicherung aussteigt. Wenn es aber um das christliche Bekenntnis "Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld" geht, wird die Sache schon schwieriger. Sich selbst um Vergebung anflehen klappt meist wegen des schlechten Gewissens nicht. Aber halt, was bedeutet eigentlich Schuld?

Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass er es nicht mag, wenn es in der Juristerei zu menscheln beginnt. Dieser Meinung würde sich der deutsche Strafverteidiger Ferdinand von Schirach in seinem Hauptberuf wahrscheinlich anschließen. Aber schon mit seinen beiden literarisch verarbeiteten Fallstudien in den Kurzgeschichtenbänden Verbrechen und Schuld zeigte sich bei aller sprachlichen Schmucklosigkeit und Prägnanz doch schon das Bestreben von Schirachs, zumindest literarisch einer eigenen Erlösung durch das emotionslose Hinterfragen näherzukommen.

Vertraute er anfangs noch mehr auf die Wirkung des Inhalts als auf vor Blut und Sühne triefende Schlussplädoyers, hat sich dies nun nach dem Debütroman Der Fall Collini 2011 und dem nun vorliegenden Nachfolgewerk Tabu gründlich geändert.

In Der Fall Collini rollte Ferdinand von Schirach wohl auch anhand des Themenbegriffs Recht, Gerechtigkeit und Rache teilweise die eigene dunkle Familiengeschichte auf. Sein Großvater Baldur von Schirach war von 1940 bis 1945 Gauleiter der "Ostmark" und wurde in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Allerdings gewinnt im Kampf Strafverteidiger gegen Autor nun auch im Kunstkrimi Tabu allzu oft der nach Zahlen malende Bestseller-Formalist.

Es geht in Tabu um die seelischen Beschädigungen des Fotokünstlers Sebastian von Eschburg während seiner Kindheit und Jugend in einer kitschig-schön dem Zerfall entgegenpleitenden großbürgerlichen Familie mit einer gefühlskalten, pferdenärrischen Mutter und einem distanzierten Vater, der sich mit dem Jagdgewehr erschießt. Es geht schließlich um die Wahrheit der Kunst und die Konstruktion der Realität. Und damit das Ganze auch mit härterem internationalem Stoff in den Buchgroßmärkten mithalten kann, geht es um Pornografie, Menschenhandel und die Frage, ob Folter als Verhörmittel zur Rettung eines Entführungsopfers erlaubt sein kann.

Dies reißt den Leser eine Handvoll Stunden bis zum Romanende mit. Am Ende steht allerdings im Gerichtssaal die Erkenntnis, dass Ferdinand von Schirach jetzt mitunter arg menschelt - und die Auflösung zwar nichts mit dem Titel Tabu zu tun hat, aber nahe am Klischee gebaut ist. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 3.10.2013)