Biowerkstatt-Besitzerin Michaela Russmann hinter der Budel.

Foto: derstandard.at/mittendorfer

Und hier im "Fairteiler" mit einem Essenspaket.

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Michaela Russmann deutet auf ein halb geöffnetes rotes Plastiksackerl, das auf einem Metallregal steht. "Hier drinnen befinden sich mehrere Packungen Bio-Müsli, Bio-Schokolade und eine Packung Knäckebrot", sagt sie. Im Sackerl daneben sind mehrere Dosen mit Erbsen sowie ein Glas Honig. "Das wird heute alles noch abgeholt", sagt die blonde Frau mit einem zufriedenen Lächeln.

Teilen statt wegwerfen

Die Lebensmittel sind alle einwandfrei, ihr Mindesthaltbarkeitsdatum ist noch nicht annähernd erreicht. Trotzdem finden ihre einstigen Käufer keine Verwendung mehr dafür und haben sie deswegen zur freien Entnahme in Russmanns Geschäft Biowerkstatt in der Biberstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk gebracht.

Dort befindet sich im Kühlraum ihres Bioladens der erste "Fairteiler" Österreichs, eine Art öffentlich zugänglicher Kühlschrank, wo genießbare Lebensmittel unter Privatpersonen kostenlos getauscht und geteilt werden können. Die Koordination dafür übernimmt Russmann.

Essenstausch via Internet

Den "Fairteiler" gibt es seit Ende Mai und steht im Konnex mit der Onlineplattform myfoodsharing.at, einem Tauschplatz für Lebensmittel. Nach dem Konzept "Teilen statt Wegwerfen" können auf dieser Seite Privatperson kostenlos Lebensmittel, die übrig geblieben sind oder die sie nicht mehr mögen, in Form eines elektronischen Warenkorbs ins Netz stellen. Interessierte können diesen dann direkt beim Anbieter abholen.

Kooperationspartner von myfoodsharing.at sind die Sozialinitiative Wiener Tafel und das Lebensministerium. Betreut wird das Portal vom Verein foodsharing.de, einem vergleichbaren Projekt in Deutschland, das vergangenes Jahr ins Leben gerufen wurde. Die Idee dazu stammt vom Filmemacher Valentin Thurn. In seinem Film "Taste The Waste" hat er 2011 die weltweite Lebensmittelverschwendung thematisiert.

Anonymer Tauschplatz

Menschen, die keine Fremden in ihrer Wohnung empfangen wollen oder sich auf keinen Zeitpunkt für die Übergabe festlegen möchten, können ihre Lebensmittel in Russmanns "Fairteiler" deponieren. Russmann stellt den Warenkorb auf myfoodsharing.at. "Meistens sind die Lebensmittel innerhalb von fünf Minuten vergeben", sagt Russmann. Mittlerweile bringen täglich Menschen Produkte in ihr Geschäft. "Gestern waren es sogar acht Essenskörbe."

Dem Klischee vom "armen hungrigen Menschen" würden die Tauschenden so gar nicht entsprechen. Ihnen sei es ein Anliegen, Lebensmitteln ihren ursprünglichen Wert zurückzugeben. Das heißt, den Leuten sei klar, dass bei einer Semmel nicht nur 30 Cent, sondern ein Nahrungsmittel weggeworfen wird.

Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft

Generell möchte sie mit dem "Fairteiler" ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzten. "Die Menschen sind zu knallvollen Regalen hingetrimmt worden. Ich hoffe, dass die Leute durch Projekte wie dieses zum Nachdenken angeregt werden und ihr eigenes Kaufverhalten überprüfen", sagt Russmann. Auch in ihrem eigenen Geschäft sind die Regale ungewöhnlich leer, damit nichts weggeworfen wird. Oft gibt es von jedem Produkt nur ein Exemplar.

157.000 Tonnen Lebensmittel im Restmüll

In Österreich werden jährlich 157.000 Tonnen Lebensmittel in den Mistkübel geworfen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität für Bodenkultur aus dem Jahr 2012. Das sind 19 Kilogramm pro Person. Die entsorgten Waren haben durchschnittlich einen Wert von 300 Euro pro Haushalt. Mit der Initiative "Lebensmittel sind kostbar" will das Lebensministerium die Lebensmittelabfälle im Restmüll bis Ende 2016 um 20 Prozent verringern. Dazu beitragen können Initiativen wie Russmanns "Fairteiler".

Mit Ausnahme vom Faschiertem und anderem rohen verarbeiteten Fleisch, werden in den Kühlschrank der Geschäftsfrau alle Lebensmittel aufgenommen. Bei Produkten, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, liegt die Verantwortung beim Abnehmer. Wichtig ist nur, dass die Lebensmittel von Privatpersonen stammen. Handel, Industrie und Landwirtschaft können frische Lebensmittel beispielsweise der Wiener Tafel schenken. Die Einrichtung versorgt damit seit 14 Jahren sozial bedürftige Menschen.

Kein Negativgeschäft

Den zeitlichen Aufwand für die Koordinierung des Lebensmitteltauschs schätzt Russmann auf eine halbe Stunde täglich. Sie hofft, dass in Zukunft auch große Supermarktketten ihrem Beispiel folgen und einen "Fairteiler" zur Verfügung stellen.

Doch ist dieser nicht ein Geschäft gegen sich selbst? "Nein, wir sind so idealistisch, dass wir das in Kauf nehmen. Das Wichtigste ist, dass keine Lebensmittel weggeworfen werden", sagt sie. Außerdem würden durch die Initiative Leute in ihr Geschäft kommen, die sonst gar nicht vorbeigeschaut hätten. Viele würden sich beispielsweise Nudeln abholen und zusätzlich Tomaten aus dem Geschäft mitnehmen. (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 10.10.2013)