Das von Andrea von Wiedebach herausgegebene Buch "Du und ich sind ein Einfall - Briefe Gottfried von Einems an Andrea" ist soeben im Zsolnay-Verlag, Wien, erschienen (€ 24,90 / 400 Seiten).

cover: Zsolnay-Verlag

Am Anfang stand ein kleines Geschenk: ein Batist-Taschentuch mit Unterschriften namhafter Musiker, das anlässlich der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper herausgebracht worden war; auch die Unterschrift des Komponisten Gottfried von Einem ist darauf. Dies gibt er seiner Schwiegermutter, Andreas Großmutter, mit. Das Foto von Andrea, das ihm die Großmutter beim Besuch in Wien gezeigt hat, hat ihm gefallen. Andrea bedankt sich in einem Brieflein. Der Onkel schreibt zurück und lädt Andrea ein, nach Wien zu kommen.

Er, ein erfolgreicher, international bekannter Komponist, ist zu dem Zeitpunkt 44 Jahre alt, lebt seit mehreren Jahren in Wien und hat einen fast 14-jährigen Sohn, Caspar. Nach dem Tod seiner Frau führt Gertrud von Bismarck, Gottfrieds Schwiegermutter und Andreas Großmutter, den Haushalt und ist für ihren Enkel Caspar da. Andrea ist 17 Jahre alt und besucht das Gymnasium. Sie wohnt mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder Bernd in Montabaur. In diese Kleinstadt im Westerwald hat es die Familie nach der Flucht aus Pommern verschlagen. Ende April 1962 fährt Andrea mit ihrem Vater zum Hahnerhof, um Gottfried zu besuchen.

Das Bestaunen der großen alten Bäume prägt sich dem Mädchen ein, die Begegnung der Hände in Gottfrieds Manteltasche und anhaltende tiefe Blicke. Bald trifft ein Brief von Gottfried für Andrea in Montabaur ein. Es werden noch sehr viele folgen.

Nr. 11

Hamburg, Donnerstag, 10. Mai 1962

Andrea, Zärtliche, Bedrohte,

ich bin sehr müde, es ist draussen ein mattes Wetter. Ich habe eben mit Gründgens und Marianne Hoppe gegessen. Es war nett und amüsant, da beide intelligente Menschen sind, anstrengend aber, weil die unterschwelligen Gefühle beider in vielen kleinen Reaktionen zutage traten und dabei zeigte sich viel Hass. Ich habe an Dich gedacht - ach, ich tu's doch den ganzen Tag - und versuchte mir vorzustellen, mit welchen Erinnerungen wir enden werden. Ich weiss manches von Dir, kenne Dich aber nicht. Du hast einen klaren Verstand, hast grosse Sinnenkraft und Leidenschaftlichkeit, dazu den Blick für Wesentliches; ich glaube nicht, dass Du auf Geschwätz hereinfällst. Wüsste ich doch, was ich Dir tue, wenn ich Dir sage, dass ich Dich innig, aber fast verzweifelt liebe! Heute abend gehe ich in den von Balanchine inszenierten Ballettabend und treffe Ingmar Bergman, den grossen schwedischen Filmregisseur.

Müde Dein G. (...)

Nr. 32

Wien, Donnerstag, 28. Juni 1962

Geliebte,

gerade habe ich den vierseitigen Brief beendet und habe das Gefühl, dass ich nicht ein Zehntel davon Dir vermittelt habe, wie ich Dich mag, Deine behutsam-leidenschaftliche Art, der die Wildheit anzumerken ist. Du bist kein Modekopf - Gott strafe Dich, wenn Du Dir Deine 17 ½ Jahren bereits ein Gefühl für Geschmack und das hat, was wir dem Leben und nicht es uns zu bieten hat; die Leistungen haben von uns zu kommen. Hab, Liebstes, keine Angst, dass ich Dich "erziehen" will; wir erziehen einander durch die Gewalt des kurzen Lebens. Dein Brief hat mich wie ein Donnerkeil getroffen. Mich sehen? Was ist an einem Mann von 44 Jahren zu sehen als dass Du 17 ½ bist? Und? Ich schäme mich meines Alters nicht und nicht der Tatsache, dass ich ein junges Mädchen liebe. Ich bedauere aber, dass dieses - herz- und verstandbegabt wie es zu sein scheint - nicht weiss und sich nicht bemüht mit seinem verfluchten Schülerinverstand eine Möglichkeit zu schaffen, wie wir uns verständigen können. Meine Schriftzeichen? Sie sind Dir doch wohl lesbar; in jeder Hinsicht. Die Platte des Klavierkonzerts und von Blachers "Conzertanter Musik" sende ich nächster Tage. Sprich mit den Deinen bitte über mich nicht. Sinnlos! Mit Dir wäre es möglich, zu leben: ich weiss es!

Nach vielen Besprechungen müde aber brennend Dein G.

Nr. 38

Berlin, Mittwoch, 4. Juli 1962

Andrea, was bist Du eigentlich? Wen glaubst Du in mir vor Dir zu haben? Bildest Du Dir etwas ein, Gnadengeschenke mit Deinen spärlichen Briefen zu erteilen? Ich bin durchaus gewappnet dafür, von Dir zu erfahren, dass Du mit mir nichts zu tun haben willst, nicht bereit aber bin ich, mit Dir auf Backfisch-Basis tändelnd zu verkehren. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Bist Du so inhaltsreich, so von Dir überzeugt, dass Du es auf Dich nehmen kannst, mir zu schweigen? Sag NEIN, sag JA. Ich habe einige Aufgaben vor mir - nicht nur die Frauen, oder gar die Ehe - ich werde bestehen oder untergehen können ohne äusseren oder gar Deinen Consens. Rede ich, wenn ich zu Dir spreche, zu einer jungen Maske, zu etwas, das wie eine Maschine oder ein Photoapparat die äusserliche Realität, die gewöhnlichen Laute und Farben aufnimmt ohne den Sinn und die untergründige Bedeutung zu erfassen?

Was bist Du für ein leichtfertiges Dummtier! Schäme Dich! Ich frage mich, wieso ich dazu komme, mich an Dich zu wenden. Make up your mind, es ist hohe Zeit! Du bist begabt, bist leider faul - Deine Einsicht darein machte wieder mich Dich lieben - gefühlsfaul und - nochmal gesagt - fahr- und nachlässig. Ich will Dich haben; so aber, wie Du jetzt mir Dich zeigst, bist Du leicht zu vergessen und das nicht nur für mich; Billigeren magst Du genügen. Bescheide Dich halt auf die Caféhausleiterin in --- Knüchl ... Ich möchte Dich bei Deinen geliebten schweifigen Haaren nehmen und ernstlich beuteln!

In Liebe und Zorn Dein G. (...)

Brief von Andrea (Fr., 24. 1. 1964, G. v. E.s Geburtstag): Glaub mir, ich würde Dir jetzt nichts lieber schreiben, als daß ich Dich unendlich lieb habe, daß ich mir sehnlichst wünsche, Deine Hand zu spüren und streicheln zu können, aber es wäre gelogen. Denn während ich so denke, merke ich, wie Du plötzlich immer weiter von mir weggehst, bis ich Dich ganz verliere. Und wenn ich mit aller Kraft versuche, Dich zu mir heranzuziehen, dann steht nur eine Gestalt vor mir, die so aussieht wie Du, die ich aber nicht kenne und die mir völlig fremd erscheint.

Ich habe dann ungeheure Angst, Dich zu verlieren, sehe aber, daß ich Dich nicht halten kann (in mir). Es ist so schmerzhaft, daß ich vor mich hin weine. Deine Worte am Sonntag: "Ist denn alles gestorben?", erregten diesen Zustand zum ersten Mal - Nein, nicht zum ersten Mal. Ich habe ebenso empfunden, als Du mir auf dem Weg zum Hahnerhof sagtest: "Ich liebe Dich". Da mußte ich mich mühsam daran erinnern, wie gerne ich Dich habe. Es wäre einfach jetzt zu sagen, nur Mitleid verband mich mit Dir; aber es wäre ebenso gelogen. Ich habe die Zeit durchdacht seit wir uns kennen.

Die ersten zwei Jahre waren eine einseitige herrliche Schwärmerei. Ich liebte alles von Dir, jeden Buchstaben, den Du geschrieben hattest und den Geruch in Deinem Haus, wenn Du auch gar nicht da warst; einmal habe ich nach Deiner Abreise in Deinem Bett, mit Deiner Bettwäsche geschlafen und fühlte mich wie im Himmel. Das Gegenteil von Mitleid war das. - Dann kam die Zeit nach dem 5. Januar 62. Auch da habe ich kein Mitleid mit Dir gehabt. Ich kannte Deine Verzweiflung und glaubte, nur ich sei in der Lage, Dich fröhlich zu machen. -

Mein Liebster, nein nicht Mitleid verbindet mich mit Dir. Vielleicht sind Deine Gefühle so groß und stark, daß meine dagegen nicht standhalten können. - Vielleicht liegt es daran, daß ich Dich zu selten gesehen habe; Deine Schrift ist mir viel vertrauter als Du und ich liebe sie nach wie vor. Ich glaube es ist sinnlos, die Briefzahl zu beschränken. Schreib mir immer, Lieber. Aber sag mir bitte, wenn Dich meine Briefe nur quälen oder kränken. - Eines weiß ich genau: mein Vertrauen zu Dir hat sich nicht verändert. Es bleibt ungeheuer groß. - Sag, kennst Du meinen Zustand; kannst Du ihn deuten? - Ich möchte jetzt schreiben: ich umarme Dich und streichle Dich ganz zart, aber dieser Teufel in mir läßt mich nicht. (Album, DER STANDARD, 12./13.10.2013)