Für den Wohnbau sind in der Europäischen Union aufgrund des Subsidiaritätsprinzips die einzelnen Länder selbst verantwortlich. Die EU hat deshalb kein offizielles Mandat, um in diese Bereiche einzugreifen. Über Umwege passiert das aber sehr wohl. "Die EU-Wettbewerbskommission begann etwa schon 2005 damit, sich verstärkt mit staatlichen Beihilfen zu beschäftigen", sagt Barbara Steenbergen von der International Union of Tenants (IUT). Grund dafür waren zwei ganz ähnlich gelagerte Fälle in Schweden und den Niederlanden, bei denen private Wohnbauunternehmen über Wettbewerbsnachteile aufgrund aus ihrer Sicht unzulässiger Beihilfen für öffentlichkeitsnahe Unternehmen klagten - in Form von leichterer Verfügbarkeit von Darlehen und Kreditgarantien.

"Dutch Case" mit Folgen

Insbesondere der sogenannte "Dutch Case" sorgte für Aufregung im genossenschaftlichen Sektor. In diesem Fall wurden 2009 von der Kommission tatsächlich Wettbewerbsvorteile für öffentlichkeitsnahe Firmen festgestellt - pikanterweise unter der damaligen niederländischen Kommissarin Neelie Kroes.

Die Einkommensgrenzen für den Bezug geförderter Wohnungen in den Niederlanden, zuvor bei rund 38.000 Euro pro Jahr und Haushalt gelegen, mussten daraufhin auf 33.000 Euro gesenkt werden. Der öffentlich finanzierte Wohnbau sollte sich nämlich in seiner "ureigensten Aufgabe" ausschließlich auf die Versorgung bedürftiger Schichten konzentrieren.

"650.000 Haushalte verloren dadurch die Berechtigung und sind bei einem Wohnungswechsel nun auf den privaten Markt angewiesen", klagt Steenbergen. Die gebürtige Deutsche lebt in Amsterdam und weiß deshalb gut Bescheid über die derzeitigen Mietpreise: "1000 Euro Kaltmiete für 45 m² sind die Regel." Das durchschnittliche jährliche Haushaltseinkommen liegt bei 37.000 Euro.

"Offene Flanke"

Steenbergen sieht durch die Kommissionsentscheidung im "Dutch Case" nun auch eine "offene Flanke" für Staaten wie Österreich. Denn sie widerspricht im Grundsatz auch der gängigen Vergabepraxis gefördert errichteter Wohnungen in Österreich. Hierzulande sind die Einkommensgrenzen noch höher als in den Niederlanden, sie reichen weit in den Mittelstand hinein, was in erster Linie eine gute Durchmischung fördern und damit die Entstehung von "Ghettos" verhindern soll. Müssten die Einkommensgrenzen deutlich herabgesenkt werden, wäre dieses "vorbildhafte österreichische Modell" (Steenbergen) in Gefahr.

Etwas Rückenwind für den gemeinnützigen Sektor gibt es nun aber einerseits durch einen - legislativ bedeutungslosen - "Initiativbericht" des EU-Parlaments. Dieses zeigt sich darin unter anderem "besorgt über die restriktive Definition des sozialen Wohnungsbaus durch die Kommission" und empfiehlt den Mitgliedsländern generell, "Anzahl und Qualität der erschwinglichen Sozialwohnungen zu erhöhen".

Vorbild Frankreich

Andererseits lässt der Umgang der französischen Regierung mit seinem eigenen "French Case" Zuversicht aufkommen. Auch hier war es 2011 zu einer Klage wegen zu hoher Einkommensgrenzen gekommen. In einem umfassenden Antwortschreiben an die Kommission vom vergangenen Mai legte Paris aber klipp und klar fest, dass es eben "Staatsziel" sei, bestimmte Schichten versorgen zu können. Detailliert wurde außerdem berichtet, wie und woraus sich in den einzelnen Regionen die unterschiedlichen Einkommensgrenzen ergeben.

Markus Sturm, Obmann des "Vereins für Wohnbauförderung" (vwbf) und Geschäftsführer der Salzburger Genossenschaft "die salzburg", sagte dazu in Brüssel: "Wir haben neun Wohnbauförderregime mit unterschiedlichen Einkommensgrenzen und würden wohl ähnlich selbstbewusst mit dem Verweis auf das 'Staatsziel' auf eine derartige Klage reagieren." (Martin Putschögl aus Brüssel, DER STANDARD, 12.10.2013)