Victoria Heinrich, Preisträgerin und Angestellte beim Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI).

Foto: ACR/Alice Schnür

Ausgezeichnet wurde die Lebensmitteltechnologin für ihr Forschungsprojekt "Cure Colour". Ziel war es, den Vergrauungsprozess von aufgeschnittenen und verpackten Wurstwaren zu verlangsamen.

Foto: ACR/Alice Schnür

Dass aufgeschnittene und verpackte Wurstwaren vergrauen, realisieren sogar "normale" Konsumenten. Wie der Prozess genau ausgelöst wird und wie man ihn verlangsamt, beschäftigt Experten. Eine davon ist die Lebensmitteltechnologin Victoria Heinrich. Die 26-jährige Niederösterreicherin erhielt für ihre Forschungsarbeit den "ACR Woman Award 2013". Der mit 2.000 Euro dotierte Preis wird von der Austrian Cooperative Research vergeben. Im Interview mit derStandard.at erklärt Heinrich, wie sie zu der Auszeichnung kam und was ihren Beruf so spannend macht.

derStandard.at: Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Heinrich: Ich freue mich sehr darüber, so eine Auszeichnung bereits in jungen Jahren zu bekommen. Es motiviert zum Weitermachen und neue Sachen in Angriff zu nehmen. Es wäre schön, Frauen oder jungen Mädchen zeigen zu können, dass Forschung Spaß macht und ein mögliches Betätigungsfeld ist.

derStandard.at: Weil die Bereiche Forschung und Technik noch immer Männerdomänen sind?

Heinrich: Ja, vor allem außerhalb der Universitäten. Am Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) selbst sind einige Frauen tätig. Insgesamt denke ich, dass Frauen sicher weiter nach oben kommen können, es bedarf aber noch eines gewissen Feinschliffs. Von Quotenfrauen halte ich nichts, es geht um Leistung und Interesse wecken. Es geht also darum, junge Frauen für Technik und Naturwissenschaften mehr zu begeistern, Vielfältigkeit und Karrierewege aufzuzeigen.

derStandard.at: Wie wurde Ihr Interesse für Forschung geweckt? Durch gezielte Förderung oder aus eigenem Antrieb?

Heinrich: Der Großteil ist von mir selbst gekommen, allerdings haben wir väterlicherseits viele Techniker in der Familie. Der Großvater war Maschinenbauer, der Vater ist Goldschmied, mütterlicherseits sind es Weinbauern. Diese Kombination, Lebensmittel und Technik, hat bei mir also schon immer eine Rolle gespielt. In der Schule wollte ich unbedingt etwas mit Naturwissenschaften machen, da war der Weg vorgezeichnet. Das Studium Lebensmittel- und Biotechnologie hat einfach perfekt gepasst.

derStandard.at: Im Bereich Forschung wird oft kritisiert, dass es sich vielfach um befristete, oft projektbezogene Beschäftigungsverhältnisse handelt. Wie ist das bei Ihnen?

Heinrich: Ich habe eine Vollzeitanstellung, aber auch wir haben einige Förderungen, dennoch ist es nicht so schlimm wie oft auf Unis, wo man auf einzelne Projekte angewiesen ist.

derStandard.at: Für was wurden Sie genau ausgezeichnet?

Heinrich: Die Auszeichnung selbst bekam ich für besonderes Engagement, dass ich mit jungen Jahren so viel Verantwortung übernommen und das Projekt am OFI durchgeführt habe. Die Ergebnisse des Projekts "Cure Colour", so der Name, waren relevant für Klein- und Mittelbetriebe. Es ging darum, Fleisch- und Fleischwaren länger rot zu halten. Das Problem ist die Oxidation des roten Farbstoffes. Nach einiger Zeit wird das Fleisch grau, ohne aber "schlecht" zu werden. Über die Fütterung der Schweine beispielsweise haben wir versucht, den Schinken antioxidativ, also stabiler zu machen, indem wir ihnen Vitamin E oder Rosmarinextrakte gefüttert haben. So wird das Gewebe weniger oxidationsanfällig, die Farbe bleibt im Produkt später länger schön.

derStandard.at: Das reicht als Maßnahme?

Heinrich: In dem Projekt ging es nicht um Färbung, uns ging es um ein stabiles Grundprodukt. Behandelt haben wir drei Punkte. Neben der Schweinefütterung haben wir auch bei der Verarbeitung angesetzt und Zusätze wie Pflanzenextrakte, zum Beispiel wieder Rosmarin, verwendet, um es auf natürlicher Ebene stabiler gegen Oxidation zu machen. Der dritte und besonders wichtige Punkt ist die Verpackung, sie hält Produkte länger frisch. Das sind modifizierte atmosphärische Verpackungen, wie man sie etwa im Selbstbedienungsregal findet. Mit CO2, Stickstoff und möglichst wenig Sauerstoff. Gerade Sauerstoff in der Kombination mit Licht fördert diese Vergrauung.

derStandard.at: Wann setzt dieser Vergrauungsprozess überhaupt ein?

Heinrich: Das kommt auf die Stressfaktoren an. Zum einen spielt es eine Rolle, wie das Fleisch selbst beschaffen ist und zum anderen, wie groß die äußeren Stressfaktoren sind. Packe ich zum Beispiel gepökelte Fleischwaren in purem Sauerstoff ab und lasse noch Licht dazu, werden diese sehr rasch oxidieren und in Folge ergrauen. Wir haben in erster Linie Schinken untersucht. Schaffe ich es, den Stressfaktor Sauerstoff so gering wie möglich zu halten, dann bleibt das Produkt länger rot. Es hängt also ganz stark von den Umgebungsfaktoren ab.

derStandard.at: Hat das Projekt zu konkreten Verbesserungen geführt?

Heinrich: Ja, es war ein Branchenprojekt, geführt und umgesetzt vom Lebensmittelcluster Niederösterreich. Beteiligt waren zehn bis fünfzehn namhafte Klein-und Mittelbetriebe, auf internationaler Ebene haben wir dem Fraunhofer-Institut und einem slowenischen Partner zusammengearbeitet.

derStandard.at: Sind es solche Resultate, die das Forscherleben ausmachen?

Heinrich: Mich persönlich hat es sehr gefreut, den Unternehmen zu helfen und Österreich als Wirtschaftsstandort stärken zu können. Das sind konkrete Verbesserungen, die man angreifen kann, alles ist sehr anwendungsorientiert und nicht ausschließlich Grundlagenwissenschaft.

derStandard.at: Diese vergrauten Wurstwaren: Haben sie die selbst gegessen und welche Rolle spielt die Farbe für den Konsum?

Heinrich: Ja, wir haben sie natürlich verkostet und dabei Sensorik zum Begriff gemacht. Uns also angesehen, bis zu welchem Zeitpunkt man sie als frisch erachtet, wie sie dann schmecken, riechen usw. Beim Selbstbedienungsregal fällt die Entscheidung für oder gegen ein Produkt in Bruchteilen einer Sekunde. Man greift zu jenem, das am frischsten und besten erscheint. Geschmack, Geruch oder Textur sind zwar auch Qualitätsattribute, wahrnehmen kann man sie aber erst zu Hause, also viel später. Und ein Produkt, das eventuell nur ein Quäntchen weniger rosa ist als das Konkurrenzprodukt, wird nicht gekauft.

derStandard.at: Und dann weggeworfen?

Heinrich: Nicht nur, genauso wie beim Brot versucht man auch bei Wurstwaren den Lebensmittelabfall zu limitieren. Etwa mit präzisen Berechnungen bei Bestellungen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum gibt es natürlich trotzdem, es verhindert einen weiteren Verkauf bei Überschreitung.

derStandard.at: Führt Ihre Arbeit im Idealfall zu bewussterem Konsum?

Heinrich: Wir können dabei helfen, dass weniger weggeworfen wird und Firmen stärken, attraktivere Produkte anzubieten und die Produktion und Logistik entsprechend der Nachfrage zu gestalten. Ohne zu tricksen, versteht sich, denn man könnte das Produkt theoretisch genauso gut einfärben. Unser Ziel ist aber das natürliche Produkt, das von sich aus stabil ist.

derStandard.at: Werden häufig Produkte eingefärbt?

Heinrich: Produkte mit Farbstoffen sind keine Seltenheit, etwa bei Frankfurter oder anderen Wurstwaren. Gefärbt wird beispielsweise mit Paprikaextrakt, wenn man pflanzlich bleiben möchte oder mit anderen Lebensmittelzusatzstoffen, die das Fleisch oder Fleischprodukt optisch ansprechender erscheinen lassen.

derStandard.at: Muss das alles deklariert werden?

Heinrich: Ja, alle Inhaltsstoffe müssen auf der Verpackung stehen. Man geht zwar von mündigen Konsumenten aus, die sich über die Produkte informieren. Direkt beim Regal werden sie sich im ersten Moment aber wohl eher für das Produkt entscheiden, das sie am meisten anspricht.

derStandard.at: Das Projekt ist abgeschlossen. Woran arbeiten Sie jetzt?

Heinrich: Für meine Dissertation arbeite ich an einem Projekt über pathogene Keime. Da geht es zum Beispiel um Listerien, E. coli und Salmonellen, also nachträglichen Keimen, die immer wieder zu Produktrückrufen oder sogar Gefährdungen der Gesundheit führen. Ziel ist es diese möglichst effizient aus den Produkten fernzuhalten. Mit an Bord sind mehrere fleischverarbeitende Unternehmen in Österreich. Nebenbei hatte ich bis Ende September ein weiteres Projekt, bei dem es um Backwaren ging - was sie länger frisch und resch hält.

derStandard.at: Was hält sie länger frisch?

Heinrich: Bei Backwaren ist es echt schwierig, sehr viele Wissenschaftler beschäftigen sich mit dieser Thematik. Eine frischgebackene Semmel bleibt eine frischgebackene Semmel und spätestens nach 24 Stunden verliert sie die Frische. Da geht es nur um Verbesserungen auf Stundenbasis oder bei Schnittbrot darum, die Verkeimung zu reduzieren, damit das Brot erst später zu schimmeln beginnt. Erreichen kann man dies zum Beispiel über die Verpackung oder über Hygienemaßnahmen im Betrieb.

derStandard.at: Ist die Forschung der Bereich, in dem sie ein Leben lang arbeiten möchten oder nur ein Zwischenschritt in eine andere Richtung?

Heinrich: Derzeit gefällt es mir sehr gut. Meine Arbeit ist nicht monoton, es gibt immer neue Projekte. Interessieren würde mich mitunter das Forschungsmanagement. Ich glaube nicht, dass ich in zehn Jahren in demselben Ausmaß selbst aktiv im Labor arbeiten werde wie jetzt. Das Ziel ist, eine leitende Position zu haben und bestehendes und erarbeitetes Wissen zu verknüpfen.

derStandard.at: Was sind die nervigen, störenden Seiten am Job?

Heinrich: Einerseits ist es toll, dass man nie dasselbe macht, andererseits wünscht man sich manchmal ein bisschen mehr Routine. Es überwiegen aber eindeutig die positiven Aspekte.

derStandard.at: Wie würden Sie Ihren Job einem Kind erklären?

Heinrich: Ich experimentiere mit Lebensmitteln und Verpackungen und versuche, diese noch besser und noch sicherer zu machen.

derStandard.at: Geht es Ihnen primär um berufliche Selbstverwirklichung oder um einen Job im Dienste der Menschheit?

Heinrich: Auf der einen Seite möchte ich natürlich den Leuten helfen und alles besser machen, auf der anderen Seite ist es aber wichtig, dass einem die Arbeit selbst gefällt. Weiterkommen kann man nur, indem man eigene Ziele verfolgt, sonst kann man keine gute Arbeit abliefern.

derStandard.at: Kann man als Lebensmitteltechnologin überhaupt noch "normal" essen, ohne ständig Inhaltsstoffe und Verarbeitung dieser Lebensmittel vor Augen zu haben?

Heinrich: Ja, ich kann noch "normal" essen. Sicherlich gibt es, je nach dem Spezialgebiet, in dem man tätig ist, Präferenzen oder Abneigungen gegenüber Produkten oder Inhaltsstoffen.

derStandard.at: Welche Lebensmittel sind für Sie ein "No-Go"? Von welchen raten Sie ab?

Heinrich: Das ist eine schwierige Frage. Die Dosis macht das Gift und übermäßiger Konsum eines jeden Lebensmittels oder Inhaltsstoffs kann sich nachteilig auf den Organismus auswirken. Ich empfehle jedenfalls eine ausgewogene Ernährung und körperliche Betätigung um fit zu bleiben. (Oliver Mark, derStandard.at, 28.10.2013)