Bild nicht mehr verfügbar.

Die soziale Kluft ist in den Ballungsräumen dieser Länder wesentlich größer. In Paris brannten vor einigen Jahren die Vororte.

Foto: ap / JACQUES BRINON

Es ist nur ein Augenblick der Unachtsamkeit und die Sache ist geschehen: Vor Kurzem war ich in Marseille Zeuge eines Raubes am hellichten Tage. Drei identisch angzogene Jugendliche im Alter von zirka 14 Jahren steigen in den Bus, der uns zum Flughafen bringt. Einer von ihnen beobachtet ganz genau, was um ihn passiert. In einem Moment, in dem er sich unbobachtet fühlt, nutzt er seine Gelegenheit und reißt einer Frau, die gerade beim Aussteigen war, das Smartphone aus der Hand. Dann laufen alle drei Teenager in entgegengesetzte Richtungen los.

Im Bus beginnt eine rege Diskussion: "Das gibt’s doch nicht!", kommentiert eine Frau aus einer deutschen Reisegruppe erstaunt. Die Einheimischen schien es weniger zu interessieren. Ein junger Fahrgast, mit dem ich mich schon beim Einsteigen unterhielt, vermutet dahinter die Angst um mögliche die Folgen: "Die Leute hier im Viertel wissen, dass das keine normalen Jungs sind." Sie gehören zu Gangs, die hier in der Gegend berüchtigt sind.

Außer Kontrolle

Jugendkriminalität ist Alltag in Europas Großstädten. Im Hamburger Stadtteil Altona etwa wurden laut Zahlen des städtischen Senats für das erste Halbjahr 2013 ganze 520 Straftaten gezählt. Dabei handelte es sich um Raub, Körperverletzungen und Wohnungseinbrüche. In anderen Hafenstädten wie Barcelona und Marseille ist die Situation drastischer. Hier verkaufen Drogendealer ihre Ware offen, zehn Schritte entfernt von den in ihren Vierteln geparkten Polizeiwägen – dort scheint die Situation außer Kontrolle geraten zu sein.

Soziale Ungleichheit hat bei uns in Wien andere Gesichter: Alle Kinder, die zu uns kommen, leben unter gleich schlechten Umständen: Das Viertel aus dem sie stammen, gehört zu den ärmsten Gegenden Österreichs. Hier leben sehr viele Sozialhilfeempfänger. Wenn ich aber die einzelnen angeführten Aspekte im Verhältnis zu anderen Städten in Europa stelle, dann geht es uns hier noch um einiges besser als anderswo. Viele Kollegen, mit denen ich in Deutschland, Frankreich, Spanien oder England ins Gespräch kam, konnten mir das bestätigen

Die soziale Kluft ist in den Ballungsräumen dieser Länder wesentlich größer, die Abgrenzung zwischen Gesellschaft und ihren ärmsten Mitgliedern noch drastischer zu spüren – das erzeugt Hass, Wut und gesellschaftsschädliche Strukturen.

Auf der politischen Ebene sieht das ganz anders aus, hier ähnelt das österreichische Rechte beispielsweise dem französischen. Sowohl die rechtsextreme Front National, die in der Multi-Kulti-Stadt Marseille bei den Regionalwahlen 2010 20 Prozent der Stimmen geholt hat, als auch ihre österreichische Variante FPÖ konnten mit dem Ausländerthema große Gewinne einfahren. (red, daStandard.at, 24.10.2013)