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Endlich ist sie da: die Anthologie, die einen Überblick über das publizistische Schaffen von Richard Schuberth bietet. Diese (von so manch einem kritischen Medienkonsumenten seit Jahren herbeigesehnte) Zusammenschau kommt nicht etwa zwischen zwei Buchdeckeln gepresst daher, sondern gleich in drei Bänden, umhüllt von einem Kartonmantel, der schon für sich genommen ein wahrer Augenschmaus ist.

Achtung, ätzend!

Es mag sich durchaus um einen Schutzmantel handeln, denn Schuberths brillantes gesellschaftskritisches Werk ist – im besten Sinne dieses Wortes – ätzend; einerseits in der übertragenden Bedeutung von "beißend" und "scharf", aber auch in der ursprünglichen Bedeutung: bei passenden Bedingungen ist ein ätzender Stoff in der Lage, eine – womöglich irreführende – Lackschicht zu entfernen, um auf diese Weise das darunterliegende Material freizulegen.

"Killing with kindness"

Nichts anderes ist es, was Schuberths Texte seit Jahren tun, bislang verstreut in unterschiedlichen medialen Formaten, darunter auch im STANDARD. Bei der irreführenden Lackschicht, die es publizistisch zu dekonstruieren gilt, handelt es sich in erster Linie um die Political Correctness, oder, etwas genauer, die unreflektiert und mantraartig heruntergebetete Idee von Multi-Kulti-Vielfalt, die in tagespolitischen Debatten häufig zu abstrusesten kulturellen Zuschreibungen und Exotisierungen ausufert und das zu emanzipierende Objekt erst recht zu einem wehrlosen Opfer seiner vermeintlich unverrückbaren Merkmale hochstilisiert. "Killing with kindness" könnte den Sachverhalt ebenfalls treffend umschreiben.

Keine Spur von Moralinsäure

Es ist jedoch nicht moralische Entrüstung oder bittere Empörung, die Schuberth solchen gesellschaftlichen Phänomenen entgegensetzt, sondern Ironie, Witz (oder "wit" – aber dazu etwas später) und vor allem eine unbestechliche dialektische Analyse, frei von modischen Psychologisierungsversuchen und damit einhergehenden Relativierungen. Von Moralinsäure also keine Spur, wohl aber moralische Ansprüche an Akteure, die gesellschaftlichen Einfluss (zu) besitzen (glauben).

Schuberth ist jedoch nicht nur einer, der auszog, um die Political Correctness das Fürchten zu lehren. Mindestens genauso hat er es auf die Incorrectness, das Eindreschen auf Wehrlose, abgesehen, etwa in seiner Kritik an Grissemann und Stermanns abgenutztem Humorbegriff ("Müde Buben, schlechte Witze") oder dann, wenn er die skrupellosen Methoden kommentiert, mit denen Sascha Baron Cohen aka Borat die Gutgläubigkeit rumänischer Dorfbewohner ausnützte, um seinen Kassenschlager zu drehen.

Geradezu hellsichtig der Text über Natascha Kampusch, der nur eine Woche nach ihrer Flucht erscheint und in dem Schuberth die mediale Manipulation vorwegnimmt.

Säure, Glanz, Rost

Der Titel der Anthologie "Rost und Säure" bezieht sich auf einen Aphorismus von Karl Kraus, in dessen Tradition einige (aber bei weitem nicht alle) Schriften Schuberths zu lesen sind: "Und die Säure will den Glanz und der Rost sagt, sie sei nur zersetzend." Schuberths Polemiken befassen sich mit genau diesem Kräfteringen zwischen Säure, Glanz und Rost, also mit den gesellschaftlichen Dynamiken, aus denen heraus politische Ziele formuliert oder eben verworfen werden. Mit schonungsloser Offenheit lotet er ebendiese Verteilungsmechanismen der Deutungshoheit aus und entlarvt die (weitgehend unbewussten) Motive handelnder Akteure.

Roter Faden: Kultur

Ein Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Texte – die Kultur, als ethnischer Begriff und auch im Kontext der Kulturindustrie. Kultur als Kampfbegriff und Zuschreibung, als Plattitüde oder auch einfach als Missverständnis; der ethnische Kulturbegriff ebenso wie der allgemeine im Sinne der Kulturindustrie.

Beispielsweise fragt sich der Protagonist Kemal, seines Zeichens "Vorzeigemigrant", ob er von seinen österreichischen Freunden als "liebeswürdiger Mensch" oder als "liebenswürdiger Türke" geschätzt werde und ob er in seinem Freundeskreis nicht als "Kuscheltürke" fungiere, "als kuschelige Ausnahme einer haarsträubenden Regel", der als vertrauter Exot seiner Umwelt die unterbewusste Angst vor Türken nimmt? Was tun mit einer solchen Rolle? Kemal weiß sich zu helfen, denn aus dieser Fremdwahrnehmung (im wahrsten Sinne des Wortes) sind ihm schon "viele Vorteile, auch erotische" erwachsen, dennoch habe sich auch "viel Unbehagen in ihm aufgestaut".

Unbehagen in der Kulturfalle

Für dieses durchaus ambivalente Unbehagen in der (mitunter tatsächlich kuschelweichen!) Kulturfalle haben bisher nicht viele Autoren so klare Worte finden können wie Richard Schuberth, der sich meisterhaft darauf versteht, die vielen widersprüchlichen Nuancen der Migrationsdebatte in Texte zu gießen, die nicht nur in hohem Maße erhellend sind, sondern auch durch ihre Sprachkunst bestechen und einen echten Lesegenuss bieten.

Wissenschaftliche Abhandlungen

Im dritten Band, "Witz und Widerstand", führt der Autor vor, dass ihm nicht nur das kürzere Format der Polemik liegt, also der publizistische Schuss aus der Hüfte, sondern durchaus auch wissenschaftliche, literarische und literaturhistorische Abhandlungen, etwa über Lady Mary Wortley Montagu, Robert Burns, Petar Petrović Njegoš, Oscar Wilde und Nestroy. Besonders interessant der Text über den englischen Dramatiker und Dichter des 18. Jahrhunderts William Congreve und dessen Begriff von "wit", der "Fähigkeit des souveränen Durchschauens gesellschaftlichen Scheins".

In welchem Maße Richard Schuberth selbst über diese Fähigkeit verfügt, möge man am besten selbst durch die Lektüre herausfinden, allerdings soll an dieser Stelle nicht eine kleine Warnung fehlen: "Rost und Säure" könnte sich nachhaltig auf Ihren eigenen Durchblick gesellschaftlicher Inszenierungen auswirken, nämlich so, dass Sie das nächste bunte, die Vielfalt zelebrierende Multi-Kulti-Fest möglicherweise nicht mehr so uneingeschränkt genießen werden wie vor der Lektüre. (Mascha Dabić, 25.10.2013, daStandard.at)