Wien - Dieses Buch verschiebt sachte unseren Blick auf die europäische Geschichte, unser historisches Fernrohr scheint ein bisschen anders eingestellt zu werden. Gar nicht viel anders, denn es ist eine Welt, die wir noch immer ganz gut zu kennen meinen, samt den Menschen, die darin agierten, angefangen mit der Französischen Revolution über die gescheiterten Aufstände von 1848 und die des frühen 20. Jahrhunderts bis zu dem Jahr, an dem Hitler an die Macht kam.

Zwar waren Frauen schon immer dabei, wenn es um Menschenrechte ging, doch nur bescheiden im Hintergrund (obwohl sie selbst meist gar nicht so bescheiden waren). Und doch sehen Fortschritt und Niederlagen im Gleichheits- und Geschlechterkampf anders aus als in den Standardwerken, wenn die Männer in den Hintergrund rutschen und das Leben und Wirken der rebellierenden Frauen vorn steht, diese Bewegung innerhalb einer Bewegung.

In pauschalen Zusammenfassungen wird sie oft mehr verschleiert als enthüllt, oft abgetan als eine Nebensächlichkeit. Die Sorgen und Bedingungen für ein lebenswertes Dasein waren aber für das weibliche Geschlecht oft anders als die ihrer männlichen Verbündeten, obwohl diese Letzteren glaubten und lauthals verkündeten, der Sozialismus werde von selbst alle gesellschaftsbedingten Ungleichheiten ausbügeln.

Es ist es eine dreifache Perspektive, die sich auftut. Die erste ist die Geschichte von etwa 20 Frauen, die sich an den Fortschrittskämpfen beteiligten; zweitens die der Autorinnen, die in ihren Aufsätzen die Erinnerung an diese Pioniere bewahrten und nicht selten selbst dazugehörten; und schließlich, in unserer Gegenwart, die kommentierende Herausgeberin, die berichtigt, ergänzt und auch manches Vorurteil, das wir angeblich überwunden haben (zum Beispiel gegen andere Völkergruppen), sachte und ohne Zorn und Aufregung, auch gelegentlich mit unauffälligem Humor - etwa wenn Laura und Eleanor Marx als "die Königstöchter" auftreten - zurechtrückt. Geber liefert uns ein Panorama und regelrechtes Füllhorn zur Entwicklung der Frauen im Sozialismus, in den Worten derer, die dabei waren, und derer, die ihnen nahestanden.

Gefühl der Unterlegenheit

Man lernt in diesem Buch viel über die Erziehung von Frauen, die sich vom Unterwürfigkeitsideal des dienenden und aufopfernden Weibes nur schwer befreien konnten. Geber zitiert lustvoll einen Satz der Psychoanalytikerin und aktiven Politikerin Therese Schlesinger: "Nichts ist kulturfeindlicher als die Demut des Weibes" und bringt damit ein durchgehendes Motiv vieler Beiträge auf den Nenner, nämlich wie die frühen Feministinnen nicht nur die reale männliche Dominanz in der Außenwelt, sondern auch das verinnerlichte Unterlegenheitsgefühl und die anerzogene Scham, sich öffentlich bloßzustellen, im Bewusstsein (oder im Unterbewusstsein) bekämpfen mussten.

Solche inneren Zögerlichkeiten konnten selbst die begabtesten und bedrängtesten Frauen daran hindern, sich zu behaupten. Die heutige Leserin wird sich von den angeführten Zeugnissen angesprochen fühlen. Vieles hat sich geändert, aber auch in dieser Beziehung eben nicht alles.

Berühmt sind nur wenige der Pionierinnen, darunter die radikale Revolutionärin Olympe de Gouges, die auf Befehl von Robespierre hingerichtet wurde und deren Leben und gewaltsamen Tod man als den Anfang der modernen Frauenbewegung in Europa sehen kann; dann im 19. Jahrhundert George Sand, deren umfangreiches Romanwerk übrigens heute wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als im Jahr 1932, als Marianne Pollak in der Arbeiter-Zeitung George Sands freies, rebellisch-unabhängiges Leben und ihren Einsatz für die bürgerlichen Rechte der Frau rühmte, doch ihr erzählerisches Werk wegwischte; und Rosa Luxemburg, der ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Die anderen sind relativ unbekannt, aber sie vor dem Vergessen zu bewahren, da sie uns noch immer etwas zu sagen haben, ist ja Thema und Auftrag dieses Buchs.

Zur spezifisch feministischen Entwicklung gehört die komplexe und interessante Frage, wie sich die bürgerliche und die sozialistische Frauenbewegung unterschieden, wie sich ihre Vertreterinnen anfreundeten und anfeindeten; und immer wieder die vielen, oft menschlich bewegenden Freundschaften und Hilfeleistungen der Sozialistinnen untereinander.

Rosa und Luise

In mehreren Beiträgen zeigt sich, wie Frauen miteinander das politische Wagnis auf sich nahmen, wie persönliche Beziehungen und private Schicksalsschläge - als Mütter, Ehefrauen, Geliebte - den öffentlichen Auftritt von innen beleuchten, ohne ihn zu beeinträchtigen, auch wenn sie ihn oft erschwerten.

Ein Beispiel dafür liefert das Kapitel über Rosa Luxemburg. Es enthält kurze, aber sehr schöne Auszüge aus Luxemburgs Briefen aus dem Gefängnis. Aber vor allem kommt hier Luise Kautsky, die Freundin und engagierte Sozialistin, zu Wort.

Sie war die Frau von Karl Kautsky, dem Herausgeber und Redakteur der sozialistischen Neuen Zeit, wo Rosa Luxemburg vieles veröffentlichte und mit dem sie sich schließlich entzweite, im Streit zwischen Sozialdemokraten und dem radikaleren Flügel der Bewegung. Doch hier geht es nicht um Karl und Rosa, sondern um Rosa und Luise. Auf wenigen Seiten überrascht und überzeugt die persönliche Neigung der Frauen zueinander und wie sie mit dem gemeinsamen politischen Ziel verschmilzt.

Wohltuend wirkt Eva Gebers sachlich-engagierter Stil. In ihren ausführlichen Erläuterungen merkt man, wie sehr sich die journalistisch-literarischen Ansprüche im letzten Jahrhundert geändert und zum Großteil gebessert haben. Ein reiferer Journalismus ist von Pathos zu Sachlichkeit übergegangen, von Überschwang, der sich der Leserin aufdrängen will, zu Berichterstattung, die Nachdenken einfordert. Das zeigt das folgende Beispiel:

Emma Adlers letzter Satz über Olympe de Gouge: "Diese Märtyrerin starb im Kampfe für die heiligen Rechte der Frau." Eva Gebers letzte nüchterne zwei Sätze zum gleichen Thema lauten: "Sie, die sich für die Gründung von Frauenvereinen eingesetzt hatte, muss am 30. Oktober 1793 erfahren, dass alle Clubs und Vereine von Frauen verboten wurden. Am 3. November steigt sie auf das Schafott." - In beiden Fällen wird das Mitgefühl des Lesepublikums angesprochen, aber mit ganz unterschiedlichen sprachlichen Mitteln.

Ein österreichisches Buch

Trotz der Streifzüge nach Deutschland und Frankreich ist dies vor allem ein österreichisches, sogar ein Wiener Buch. In Gebers historischen Ausführungen sind wir auf den Straßen Wiens, wo die sozialistischen Arbeiterinnen den Männern klarmachen mussten, dass Frauen tatsächlich das Geld, das sie verdienen, für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder benötigen, ein Wien in Aufruhr, das um Gerechtigkeit ringt, manchmal auf Barrikaden, wie im Mai und Oktober 1848, manchmal "nur" in heftigem Streitgespräch.

Geber füllt die Arbeiterinnenbewegung mit den Stimmen derer, die am wenigsten gehört wurden und derer, die sich für sie einsetzten. Es ist ein Buch, das als Gegengift gegen die heutige satte Selbstgefälligkeit eines vermeintlichen sogenannten Postfeminismus dienen kann. (Ruth Klüger, DER STANDARD, 16.11.2013)