Alle Ergebnisse und Grafiken haben wir in einem eigenen Artikel zusammengestellt.

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Österreichs Buben haben ihren Vorsprung gegenüber den Mädchen im Fach Mathematik massiv erhöht.

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Legt man die Leistungslinien der österreichischen Mädchen und Buben bei der Pisa-Studie nebeneinander, dann ist zu sagen: Auf absehbare Zeit werden die sich nicht treffen, im Gegenteil, der Leistungsabstand zwischen Buben und Mädchen wird immer größer.

Geschlechtergefälle drastisch

Lagen die Buben vor zehn Jahren noch acht Punkte vor den Mädchen, so haben sie diesmal einen Vorsprung von 22 Punkten erreicht, ihn also fast verdreifacht: "In keinem anderen Land hat sich das Geschlechtergefälle so drastisch verstärkt wie in Österreich", heißt es dazu im Länderbericht der OECD über die neue, heute in mehreren Städten der Welt präsentierte internationale Schülervergleichsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Das Geschlechtergefälle verschärft sich." Das ist das aus OECD-Sicht auffälligste und alarmierendste Österreich-Ergebnis der mittlerweile fünften Pisa-Studie (Programme for International Student Assessment), bei der zum zweiten Mal – nach 2003 – Mathematik der Schwerpunkt war. Von "Spitze" oder großem Sprung nach vorwärts ist auch diesmal – entgegen anderslautenden Erstinterpretationen – nicht zu berichten. Im Gegenteil, diese Lesart wäre "völlig vermessen", hieß es aus OECD-Kreisen im Gespräch mit derStandard.at.

Weiterlesen: Die Pisa-Ergebnisse in Grafiken

Eine halbe Million getestet

Der erste Testlauf war 2000 mit Schwerpunkt Lesen, seither ging es im Dreijahrestakt weiter. Für die nunmehrigen Ergebnisse wurde international in 65 Ländern (darunter alle 34 OECD-Staaten) rund eine halbe Million Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 1996 in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen getestet. In Österreich wurde eine Zufallsstichprobe von rund 5000 15-/16-Jährigen in 200 Schulen (pro Schule maximal 35 Schüler) gezogen.

Das Ergebnis der Testung im Jahr 2012 für Österreich sieht also so aus: In Mathematik zwölf Punkte über dem OECD-Schnitt, ansonsten wieder im Mittelfeld wie schon in den vergangenen Jahren – und wieder auf dem Niveau von 2000, 2003 und 2006 bzw. zum Teil darunter, nachdem es 2009 einen Einbruch gab. Die Zahlen wurden damals von der OECD wegen eines Boykottaufrufs in Österreich, der laut OECD "einen ungünstigen Einfluss auf die Motivation der Schüler gehabt haben könnte", nur unter Vorbehalt veröffentlicht und nicht mit früheren Pisa-Ergebnissen verglichen. Heißt im Klartext: Österreich hat sich nicht wirklich vom Platz bewegt und ist noch immer dort, wo 2000 und in den Folgejahren das Wehklagen vom "Mittelmaß" war.

Nach vorn zurückgerechnet

Jetzt also wieder harte vergleichbare Zahlen, und sie zeigen: In Mathematik liegen die österreichischen Schüler mit durchschnittlich 506 Punkten zwölf Punkte über dem OECD-Schnitt (494 Punkte) – und dort, wo man 2003, beim ersten Mathematikschwerpunkt, auch war. Die Risikogruppe umfasst ein knappes Fünftel (18,7 Prozent), das ist weniger als der OECD-Schnitt, 14,3 Prozent leistungsstarke Rechner unterscheiden sich dagegen nicht signifikant vom Gesamtschnitt.

Große Leistungsunterschiede

Aber: "Auffällig sind die großen Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen", schreibt die OECD. Der Vorsprung der Buben, diese 22 Punkte, entsprechen ungefähr einem halben Schuljahr. Die Veränderungen sind dabei an beiden Enden des Leistungsspektrums – bei den besten und den schwächsten Schülern – frappant: Die Buben verbessern sich generell, bei den Mädchen ist genau das Gegenteil der Fall. Zwar ist Mathematik im OECD-Schnitt "ähnlich unbeliebt", schreibt die OECD, nur 53 Prozent der Schüler sagen, sie haben Spaß und Interesse daran, aber in Österreich klafft auch hier eine Gender-Kluft. Während die Hälfte der Buben Mathematik-Unterricht interessant finden, sagt das nur jedes dritte Mädchen.

"Österreich sollte sich Sorgen machen"

Aus Sicht der OECD ist das ein problematisches Zeichen, warnte der stellvertretende OECD-Bildungsdirektor und "Erfinder" der Pisa-Studie, Andreas Schleicher: "Über das Auseinanderdriften zwischen Jungen und Mädchen in der Mathematik sollte sich Österreich Sorgen machen." Der volkswirtschaftliche Nutzen von mathematischen Kenntnissen sei unter anderem aus dem jüngsten Erwachsenen-Kompetenzen-Test (PIIAC) nachweisbar. Gute Rechner und Rechnerinnen haben auch "sehr gute Chancen auf einen erfüllenden und gut bezahlten Arbeitsplatz. Dass die Hälfte des Landes in Österreich viel schlechter dasteht als die Männer, ist schlicht nicht hinnehmbar", sagt Schleicher.

Migranten hinken nach

Während sich der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund in den OECD-Ländern im Schnitt von 2003 bis 2012 von neun auf zwölf Prozent erhöht hat, stieg er in Österreich von 13,1 auf 16,4 Prozent. Anders als in den anderen OECD-Ländern hat sich der Leistungsabstand hierzulande zwischen Migranten und Nichtmigranten (unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds) aber nicht verändert (33 Punkte), im OECD-Schnitt ist es dagegen gelungen, die Leistungen der Kinder mit Migrationshintergrund zu verbessern und den Abstand um elf Punkte zu verringern.

Leseschwäche bleibt bestehen

Nur mit Mathematik ist es natürlich nicht getan. Lesen, die traditionell größte Schwachstelle der österreichischen Jugendlichen bei den Pisa-Tests, ist auch diesmal wieder jene Domäne mit dem schwächsten Punktewert. Mit 490 Punkten (so wie im Jahr 2000) liegt Österreich unter dem OECD-Schnitt (496 Punkte). Knapp jeder fünfte österreichische Schüler (19,5 Prozent) verfügt nicht einmal über grundlegendste Lesefähigkeiten. Diese Risikogruppe (OECD-Schnitt 18 Prozent) kann maximal in einem Text über ein vertrautes Thema die Absicht des Autors erkennen und einfache Zusammenhänge zwischen Text und Alltagserfahrung herstellen. Die Spitzengruppe dagegen umfasst nur 5,5 Prozent, was auch weniger als der OECD-Schnitt ist. Der Vorsprung der Mädchen beim Lesen ist seit 2000 unverändert und liegt mit im Schnitt 37 Punkten im Durchschnitt der OECD-Länder.

Im dritten Kompetenzfeld, den Naturwissenschaften, landet Österreich mit 506 Punkten nahe am OECD-Mittelwert (501 Punkte). Etwa ein Achtel der Schüler (15,8 Prozent) gehört zur Risikogruppe, 7,9 Prozent können dagegen das Wissen im Alltag anwenden.

Spitzenreiter Südostasien

International ist die Rangfolge eindeutig: Die „klaren Spitzenreiter" bei Pisa 2012 sind laut OECD südostasiatische Länder. Schanghai (China) ist in allen drei Domänen immer auf Platz eins. In Mathematik hat es die mit Abstand höchste Punktezahl (618). Die dortigen Schüler sind im Schnitt also ganze drei Schuljahre besser als ihre Altersgenossen im Rest der Welt. Platz zwei und drei teilen Singapur und Hongkong unter sich auf: In Mathematik ist Singapur vorn, in Lesen und Naturwissenschaften Hongkong.

Finnland rechnet schlechter

Sieben der zehn ersten Mathe-Plätze sind von südostasiatischen Nationen belegt, aus Europa rangieren dort nur Liechtenstein, die Schweiz und die Niederlande. Der bisherige Pisa-Vorzugsschüler Finnland hat erhebliche Punkteverluste zu verzeichnen, in Mathematik (2009: 541, 2012: 519) zum Beispiel minus 22 Punkte, aber noch immer 13 Punkte vor Österreich. In Lesen (2009: 536, 2012: 524) und Naturwissenschaften (2006: 554, 2012: 545) rangiert Finnland aber trotz Minus gegenüber den vergangenen Testläufen aber noch immer auf den vordersten Top-Plätzen fünf und sechs.

Glücklich und zufrieden

Eine interessante Frohbotschaft hat die neue Pisa-Studie übrigens für Österreich: Abgesehen von der Leistungsdimension der Schule mögen die heimischen Schülerinnen und Schüler ihre Schulen offenbar sehr. Denn mehr als drei Viertel von ihnen finden, dass in ihrer Schule "alles sehr gut läuft". Im OECD-Schnitt sagen das nur 61 Prozent. Vier von fünf Schülern sind in ihrer Schule glücklich, und noch mehr (82 Prozent) sind mit ihrer Schule zufrieden. (Lisa Nimmervoll, derStandard.at, 3.12.2013)