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"Das Programm von Wikileaks ist ein metapolitisches Programm. Anstatt eine präzise politische Agenda zu verfolgen, versuchen wir Raum für authentisches politisches Engagement zu schaffen": Julian Assange.

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STANDARD: Herr Assange, ich würde gerne mit zwei rezenten Filmen über Sie beginnen: "We Steal Secrets - Die Wikileaks-Geschichte" und "Inside Wikileaks". Man wird dabei den Eindruck nicht los, als wollten die Regisseure dieser Filme Sie als Person diskreditieren.

Assange: Ja, und bei Inside Wikileaks machen sie dasselbe mit Chelsea Manning. Sie stellen ihre Handlungen so dar, als wären sie eine Reaktion auf eine innere Unruhe, eine persönliche Psychopathologie, nicht als heroische Akte, denen ein langer Gewissenskampf vorangegangen ist.

STANDARD: Es ist interessant, dass manche Hollywoodfilme wie zum Beispiel "Die Echelon Verschwörung", "Eagle Eye - Außer Kontrolle" oder die "Bourne"-Serie die Botschaft der Wikileaks-Enthüllungen viel adäquater auf den Punkt bringen als die Filme über Sie. Es ist so, als hätten wir die Erlaubnis, davon zu träumen, wie es wäre, wenn wir unter totaler Kontrolle sind.

Assange: Das ist ein interessanter Punkt. Wenn Sie einen abstrakteren Blick auf diese Sache werfen, wenn Sie über die paranoide Fiktion hinausdenken und Daten über mächtige Gruppen veröffentlichen, die uns kontrollieren, dann werden die Grenzen viel greifbarer. Wir haben uns mit unseren Aktionen Feinde gemacht, wir haben ihre Autorität untergraben, und sie wollen diese Autorität wiederherstellen, indem sie einen Gegenangriff starten. Sie sollten auch nicht vergessen, dass wir uns durch die Veröffentlichung sensibler Daten soziale Kontakte, aber auch Konkurrenten in den Medien geschaffen haben, die sich aus unterschiedlichsten Gründen - von der Furcht vor juristischen Repressalien bis hin zu ihren Kontakten zum gesellschaftlichen Establishment - oftmals gegen Wikileaks opponieren. Der Guardian zum Beispiel ist in Sachen sozialer Legitimität eindeutig ein Konkurrent für uns - und obwohl er ursprünglich eine der fünf großen Zeitungen war, mit denen wir einen Deal machten, um unsere Dokumente zu publizieren, war er doch auch verantwortlich für eines der Bücher, auf denen Inside Wikileaks basiert.

STANDARD: Wie sehen Sie die aktuellen Konsequenzen Ihrer Arbeit? Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten nur die, die inkriminierende Daten öffentlich gemacht haben wie Manning, Snowden und auch Sie, wirklich unangenehme Folgen zu erleiden gehabt, während alle anderen ungeschoren geblieben sind.

Assange: Es gibt eine ganz hässliche Causa, die unsere bekannteste und populärste Enthüllung betrifft, nämlich die Videoaufnahme eines amerikanischen Apache-Helikopters, der Zivilisten und Reuters-Journalisten im Irak mit Schüssen attackiert. Was ist dabei herausgekommen? Manning, der dieses Dokument publik gemacht hat, wurde zu 35 Jahren Gefängnis verdonnert. Gegen den Schützen, den Piloten oder deren Vorgesetzte hat es keinerlei disziplinäre Aktionen gegeben - die dienen immer noch in der US-Army.

STANDARD: Stimmen Sie solche Sachen pessimistisch? Demoralisiert Sie das?

Assange: Es hat auch andere Fälle gegeben, Minister haben ihre Jobs verloren, der Chef des dänischen Militärs musste den Hut nehmen, es hat einige Siege in Gerichtsverfahren gegeben, und bei einigen Wahlen haben unsere Enthüllungen auch eine Rolle gespielt. Kontaktleute von uns, die in die Geschehnisse des Arabischen Frühlings involviert waren, haben auch etliche schmeichelhafte Statements über unsere Arbeit gemacht. Sie sagten, dass die Amerikaner in der Vergangenheit immer intervenierten, wenn irgendwelche Marionettenregimes in Gefahr gerieten, dass sie aber diesmal, unserer Enthüllungen wegen, davon Abstand nahmen und zum Beispiel den Machtverlust von Mubarak akzeptierten. Unser wichtigster Erfolg aber ist allgemeinerer Natur. Diese ganzen Institutionen, deren Aktivitäten wir enthüllen, florieren nur im Schatten. Die verhalten sich wie diese hässlichen und unheimlichen Insekten, die auf einmal kopflos herumrennen, wenn man den Stein wegrollt, der sie vor dem Tageslicht beschützt hat. Darum haben unsere Aktionen auch deren Autorität geschwächt. Sobald ihre Aktionen einmal öffentlich geworden sind, fürchten wir uns nicht mehr wirklich vor ihnen, weil wir sie plötzlich in ihrer Jämmerlichkeit und ihrer eitlen, mit Dummheit vermischten Arroganz sehen.

STANDARD: Haben Sie eigentlich eine politische Position? Finden Sie, dass Demokratie und Kapitalismus ein taugliches System bilden, das nur ein paar Korrekturen wie mehr Transparenz braucht, oder halten Sie beide für hinterfragenswert? Ich frage Sie deswegen, weil Wikileaks Kriegsverbrechen, Korruption in Politik und Wirtschaft und anderes mehr öffentlich gemacht hat.

Assange: Ich versuche in meiner Arbeit von speziellen ideologischen und politischen Positionen zu abstrahieren. Meine Grundüberzeugung ist die, dass eine Zivilisation nur so gut sein kann wie die Kenntnisse, die sie besitzt. Daher sind auch Bibliotheken Schätze der Zivilisation, und als die Bibliothek von Alexandria gebrandschatzt wurde, war das ein Verbrechen gegen die gesamte Humanität, nicht nur ein Verbrechen gegen die Bevölkerung von Alexandria. Ideologische und politische Visionen und Projekte müssen auf allgemein verfügbaren Kenntnissen beruhen, und wir versuchen dieses Fundament auszuweiten. In gewisser Weise setzen wir das alte Projekt der Aufklärung fort.

STANDARD: Ihr Projekt ist das Projekt einer solchen Bibliothek, mit frei zugänglichen Daten und frei zugänglichen Informationen.

Assange: Ja, es ist ein metapolitisches Programm. Anstatt eine präzise politische Agenda zu verfolgen, versuchen wir Raum für authentisches politisches Engagement zu schaffen.

STANDARD: Durch die Enthüllungen des NSA-Mitarbeiters Edward Snowden haben wir viele Dinge erfahren, von denen wir intuitiv ohnehin wussten, dass sie existieren. Hat es für Sie aber doch irgendetwas in diesen Daten gegeben, was Sie überrascht hat?

Assange: Es gibt solche Überraschungen und solche. Leute, speziell solche im Geheimdienstbusiness, geben ungerne zu, dass sie von etwas überrascht wurden, weil das impliziert, dass sie nicht wirklich wussten, was da im Hintergrund abgeht. Was mich auf einem wirklich existenziellen Level überrascht hat, war die Blindheit und Ignoranz des Durchschnittsmitarbeiters in den US-Geheimdiensten, der US-Diplomatie und dem Verteidigungsestablishment. Die Vereinigten Staaten haben einen enormen logistischen Apparat geschaffen, um Informationen zu sammeln, zu klassifizieren und zu interpretieren, aber sie sind ganz offenkundig außerstande, ein kohärentes globales Bild aus den Milliarden Daten herzustellen, die sie tagaus, tagein sammeln. Und die erschütterndste Überraschung war eine kulturelle Überraschung. Viele Leute aus den oberen Etagen im US-Außenministerium wie zum Beispiel der Google-Mitarbeiter Jared Cohen, der immerhin mit Leuten wie Hillary Clinton und Condoleezza Rice zusammengearbeitet hat, haben ein unglaublich isoliertes und simplizistisches Weltbild. Die Hälfte des Problems ist nicht, dass diese Leute böse Absichten hätten, aber dass sie, wenn sie es mit arabischen oder asiatischen Ländern zu tun haben, handeln und sprechen, als wären sie in einem Paralleluniversum. (DER STANDARD, 7.12.2013)