Hermann Broch eröffnet seine Studie Hofmannsthal und seine Zeit (1947/48) mit einer Bankrotterklärung. Fast scheint es, als wollte Broch das Interesse für seinen Gegenstand noch vor Beginn der Ausführungen erkalten lassen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts offenbare durch die Architektur ihre Wesensart. Diese sei, so belegten es die Gebäudefassaden, "eine der erbärmlichsten der Weltgeschichte".

Hugo von Hofmannsthal ist der authentische Spross der solcherart gemaßregelten Gründerzeit. Erbarmen kann Broch mit der Donaumonarchie schon deshalb keines üben, weil er ihrer Erbschaft seine wichtigsten Einsichten verdankt. Als Denker ist Broch (1886-1951), Autor faszinierender Romane wie Die Schlafwandler, ein Nachlassverwalter. Unablässig begrübelt er die Ursachen für den Verfall der modernen Gesellschaft. Entscheidend dünkt ihn das "Werte-Vakuum", in dem Österreich bis 1890 verschwand. Dabei tat das frankojosephinische Kaiserreich nichts anderes, als seine eigenen, schlechten Voraussetzungen zur Staatsräson zu erheben.

Broch aber kennt seine Pappenheimer. Er nimmt den Wienern zum Beispiel die Gemütlichkeit nicht ab. Er erkennt die unbändige Theaterlust der Österreicher im 19. Jahrhundert als Zeichen, sich mit der Wirklichkeit nicht abfinden zu wollen. Derjenige aber, der das anbrechende Industriezeitalter am wenigsten versteht, ist der Kaiser. Franz Joseph, persönlich ein Mensch von "karger" Statur, nimmt das Allgemeine seiner Würde - das Kaisertum von Gottes Gnaden - zum Anlass, inmitten seiner Hofburg zur versteinern. Tradition und Pflicht gerinnen in seiner wenig mitreißenden Person zum Ausdruck des Staatszusammenhalts.

Die Erstarrung des Politischen nehmen die Wiener zum Anlass, der Dekorationslust zu frönen. Während die Krone mit dem Staatsbestand identisch wird, repräsentiert sich die Kaisermetropole als Ausstellungsraum. Indem sich das Bürgertum in die Pflicht der Tradition genommen fühlt, verwechselt es Kultur mit "Museumshaftigkeit". Verfall in der Armut ist Vegetieren. Verfall im Reichtum "führt zum Museum". (Ronald Pohl, DER STANDARD, 17.12.2013)