Bild nicht mehr verfügbar.

Impulsiv um Details bemüht: Dirigent Daniel Barenboim. 

Foto: EPA/HANS PUNZ

Wien - Ein Pointchen misslang Daniel Barenboim am frischesten Vormittag des neuen Jahres: Als ihm zum Finale im Wiener Musikverein ein Blumenstrauß überreicht wurde, hatte er großzügig im Sinn, einige der Duftschönheiten im philharmonischen Orchester zu verteilen. Doch nicht eine einzige wollte sich aus dem Bouquet lösen lassen. Die Ziehung wurde aber offenbar Backstage sachgerecht nachgeholt, weshalb der Maestro schließlich doch als Blütenkavalier zur Verteilung schreiten konnte.

Wäre ihm die Spendenaktion nicht vergönnt gewesen, er hätte ohnedies - was Dankesgesten anbelangt - beim Radetzky-Marsch ganz neue Maßstäbe der Opulenz gesetzt. Auch wirkte er bezüglich Nichtdirigieren ziemlich innovativ: Während das Orchester die Zugabe führungslos absolvierte und das Publikum verdeutlichte, dass es klatschend den Takt zu halten versteht, dankte Barenboim fast jedem Musiker und jeder Musikerin für das gemeinsam Vollbrachte.

Nur kurz erbat er vom Publikum etwas Pianodiskretion. Ansonsten zog er es vor, sich zwischen den Notenpulten durchzuzwängen. Man weiß nun also: Es braucht fast die Ausmaße dieses Marschs, um einigermaßen allen Philharmonikern die Hand zu schütteln.

Ansonsten war zu erfahren, was vermutet wie erhofft wurde: Barenboim nahm diese Musik, die zugleich lachen und weinen kann, auch bei seinem zweiten Antreten sehr ernst. Beim Donauwalzer fehlte zwar etwas von jener schwebenden Leichtigkeit, die die Strauß-Gedanken ins Magische abfliegen lässt, obwohl sich die Musikvereinstüren öffneten und ein Pärchen selig Richtung Orchester tanzte. Egal. Zuvor war doch ausreichend Qualität zusammengekommen.

Als Gipfel des Sanft-Subtilen wirkte Léo Delibes' Pizzicato-Polka (aus dem Ballett Sylvia). Und auch Johann Strauß' Klipp-Klapp-Galopp bleibt als Kleinod der orchestralen Leichtigkeit in Erinnerung, während es zu Beginn mitunter etwas herb-expressiv zuging. Etwa bei Eduard Strauß' Helenen-Quadrille oder dem Carolinen-Galopp (Johann Strauß Vater). Das bisschen zu viel an Überschäumendem, das sich als Lautstärkeüberdosis vermittelte, hängt indes mit Barenboims schönem Ansinnen zusammen, starke Kontraste zu erzeugen. Er stellt die Melancholie neben das Fetzige, betont die Doppelgesichtigkeit dieser Musik und setzt die Stimmungsschwankungen dieser Stücke effektvoll zur Schau.

Betonung des Quirligen

Zugleich ist er aber auch ein detailaffiner Gestalter, der instrumentale Kleinstregungen nicht umgeht und nivelliert, vielmehr im Sinne des Quirligen betont. Gestisch gerne auch verschwenderisch: Barenboim umarmt die Streicher bei Kantilenen oder zieht aus ihnen glühende Glissandi heraus. Oder er sticht regelrecht (auf zwei und drei) Richtung Celli hinein (Lanner-Walzer Die Romantiker).

Es gilt schließlich Rufzeichen zu setzen im Sinne der Erweckung von musikalischem Sinn. Und es gilt jene Momente des Subtilen zu erahnen und diese (wie etwa beim Walzer Seid umschlungen, Millionen) durch Verlangsamung organisch herzustellen und den gut disponierten Philharmonikern jenen flehenden Streichertonfall zu entlocken, der das Wesen der Strauß-Klänge offenbart. Was auch beim Walzer Geschichten aus dem Wiener Wald (Zithersolo: Wilfried Scharf) auch sehr solide gelang.

In Summe ein gutes, in Teilen sehr gutes Konzert, bei dem es einmal ernst wurde (Richard Strauss' Mondscheinmusik) und sich die Späße in Grenzen hielten. Beim so resch wie subtil umgesetzten Ägyptischen Marsch hatte das instrumentale Kollektiv ein bisschen, aber herzhaft zu singen; bei Josef Strauß' Polka Ohne Sorgen wiederum durfte es zum Ende des offiziellen Programms endlich herzhaft im Takt loslachen. Das war's aber - bis Barenboim dann eben beim Radetzky-Marsch zur Grüßshow ansetzte.

Zubin Mehta 2015

Schließlich gab es im Saal markant-herzliche Standing Ovations für die Neujahrskünstler, deren Zeugen - nebst Bundespräsident Heinz Fischer - auch der nun für Kultur zuständige Kanzleramtsminister Josef Ostermayer ebenso wie Salzburgs Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler waren. Auch in der Direktionsloge, jedoch mit lustigem Sicherheitsabstand zur Präsidentin, war der scheidende Salzburger Festspielintendant Alexander Pereira zu sehen.

Im kommenden Jahr, also 2015, sorgt jedenfalls ein Neujahrskonzert-Routinier und Barenboim-Freund, nämlich Zubin Mehta, hoffentlich wieder für substanzvolle Walzer-Seligkeit. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 2.1.2014)