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Wolfgang Mayrhofer.

Foto: APA/Diener

Karrieren neu denken - das wird Gegenstand von Beiträgen in den nächsten Monaten an dieser Stelle sein. Aber warum eigentlich Karriere neu denken?

Erstens: Über Karrieren gibt es zu viel Halbwissen. Wie beim Fußball gibt es Millionen von Experten, die wissen, wie es eigentlich geht. Alle haben ihre eigenen Vermutungen darüber, was Erfolg ausmacht. Dass diese häufig mehr die eigene Weltsicht und Vergangenheit als die im Karrierefeld geltenden Regeln des Vorankommens widerspiegeln - sei's drum. Die publizierte Populärliteratur ist, mit wenigen Ausnahmen, auch nicht viel besser.

Ungerührt trommelt sie, was die Schreiber der jeweiligen Ratgeber als wichtig - und wohl auch: verkaufsfördernd - ansehen. Da kommen die heimlichen Spielregeln der Karriere gnadenlos ans Licht; Karriere-Tipps für jeden Tag entstehen; die Karriere-Bibel erblickt das Licht der Welt; oder es wird gar beruhigend die Möglichkeit konstatiert, anständig Karriere zu machen.

Ein auf intensiver theoretischer und empirischer Einsicht beruhender Blick mahnt jedoch zur Vorsicht. Manch ein als selbstverständlich angenommener Befund ist bei Weitem nicht so klar. Mentoring zum Beispiel ist wichtig. Ja, eh. Aber wie genau? Hängt es da nicht von der Art der Mentor-Mentee-Beziehung ab, von der Geschlechterkombination der beiden, vom Umfeld, in dem Mentoring passiert, um genauere Aussagen machen zu können, von der Ausgangssituation? Hier braucht es nicht Mantra-artige Wiederholungen oder grob kategorisierendes Wunschdenken, sondern intelligente Forschungsdesigns, um handfeste Ergebnisse und Einsichten in Wirkungsmechanismen mit entsprechenden Konsequenzen für Gestaltungsempfehlungen zu ermöglichen.

Zweitens: Was wir über Karrieren wissen, bleibt weitgehend ungehört. Es stimmt schon: Wer eigentlich Karriere macht, wie Karrieren verlaufen, was Karriereerfolg "tatsächlich" ist und wovon das alles abhängt, ist weitgehend ungeklärt. Die Forschungsergebnisse erklären nur einen relativ geringen Teil des Karrierephänomens. Vieles bleibt nach wie vor im Dunkeln. Es entzieht sich angesichts der Komplexität schlichten "Wenn-dann"-Kochrezepten. Es stimmt aber auch, dass mittlerweile eine Fülle von Forschungsergebnissen existiert.

Aber diese Ergebnisse teilen das Schicksal vieler sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Einsichten: Sie finden wenig Resonanz. Persönliche Vorlieben und Interessen sind dafür genauso verantwortlich wie organisationale Machtkämpfe oder Ineffizienzen. Ein Beispiel von vielen: Seit Jahren zeigt die Forschung, dass der Wiedereinstieg nach einem längeren Auslandsaufenthalt als Expatriate bestenfalls schwierig und in der Regel mit unzufriedenen, das Unternehmen verlassenden Beteiligten endet, die überdies wertvolles implizites Know-how mitnehmen. Gleichzeitig gibt es viel gesichertes Wissen darüber, wie Entsendungen und Wiedereingliederungen gut gehandhabt werden können. Trotzdem ändert sich der empirische Befund kaum - Repatriates haben es schwer.

Drittens: Karrieren verändern sich. Einerseits wiederum - eh klar. Tatsächlich gibt es Aspekte des Wandels. Eine sich verändernde Demografie; arbeitsrechtliche Regelungen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Beschäftigungsformen erlauben; Arbeit zunehmend über nationale und kulturelle Grenzen hinweg - drei Beispiele von vielen.

Andererseits zeigen nüchterne empirische Analysen aber auch, dass Stabilität ein wesentlicher Teil des Gesamtbildes ist. Karriereerwartungen von abhängig Beschäftigten haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt, richtig? Falsch.

Oder wenigstens: Es ist bei weitem nicht so. Kollegen von der Universität Hamburg haben in einem viel beachteten Aufsatz für ein repräsentatives Sample der gesamtdeutschen Bevölkerung etwa gezeigt, dass die Karriereerwartungen abhängig Beschäftigter zwischen 1999 und 2009 zwar schwanken, aber es keinerlei erkennbaren Trend in irgendeine Richtung gibt - und zwar für Männer und Frauen. Wir lernen daraus: Erst die nüchterne Gesamtschau ergibt das gesamte Bild. (Wolfgang Mayrhofer, DER STANDARD, 4./5.1.2014)