Körperhistorikerin Barbara Duden: Die zunehmende Medikalisierung der Schwangerschaft hat die Frauen in eine neue Abhängigkeit von "professioneller Prophetie" getrieben.

Foto: Rosa Frank

Die deutsche Historikerin Barbara Duden hat dieses Semester die Käthe-Leichter-Gastprofessur in Wien inne. Im Gespräch mit dieStandard.at erläutert die einflussreiche feministische Forscherin, weshalb die von ihr initiierte "Körpergeschichte" in der Geschichtswissenschaft nötig war, warum sie das Erfahrungswissen der Hebammen verteidigt und wie Aktivismus und Wissenschaft in einer Karriere zusammengehen.

dieStandard.at: Wie die Sozialforscherin Käthe Leichter waren Sie immer schon als Forscherin, aber auch als Aktivistin aktiv. Berühmt wurden Sie dann allerdings als Historikerin und nicht als Journalistin. Warum haben Sie sich letztlich doch für die Wissenschaft entschieden?

Barbara Duden: Mitte der 70er-Jahre war die Unterscheidung zwischen eigentlichen, "professionellen" Journalistinnen und feministischen Wissenschaftlerinnen noch nicht so vorhanden. Ich habe als freie Redakteurin beim WDR gearbeitet und auch bei der damals gerade gegründeten "Courage", einer Monatszeitschrift, zu der sowohl professionelle Journalistinnen als auch Wissenschaftlerinnen beitrugen. Es war eine Errungenschaft der Frauenbewegung in den 1970ern, dass diese lähmende Verfestigung von Fachdisziplinen mit ihrem dazugehörigen Status in die Luft geschmissen wurde.

Noch etwas war damals anders: In meinem Geschichtsstudium hatte ich wirklich zu leiden an der "Neutralität der Themen" und daran, dass ich selbst als Frau dort nicht vorgekommen bin. Es gab keine Vorbilder, weder historisch arbeitende Wissenschaftlerinnen noch schreibende Frauen, zum Beispiel im Literaturstudium. Wir Feministinnen erkannten die Universität als einen Ort, den wir erobern wollten, und dies forderte dazu heraus, den Kanon, die Themen, die Standards dessen, was Gesellschaftsgeschichte ausmachte, zurückzuweisen.

dieStandard.at: Sie haben dann auch etwas radikal Neues begonnen: Mit der Methode der "Körpergeschichte" stellten Sie erstmals Körpererfahrungen ins Zentrum der Geschichtsforschung.

Duden: Viele Historikerinnen haben sich damals der Geschichte der Beschreibung des weiblichen Körpers durch die Medizin gewidmet, weil in den 50ern und 60ern die Ideologie von der Natur der Frauen noch gültig war. Zugleich fragten wir Feministinnen uns: Warum müssen wir ausgerechnet beim Frauenkörper und seiner Geschichte anfangen? Das ist doch verrückt.

Es schien mir nötig, weiter in die Geschichte zurück zu gehen. Ich begann über das 18. Jahrhundert zu arbeiten, weil ich wissen wollte, was "die Frauen" als historische Subjekte in Fleisch und Blut waren. Durch Zufall stieß ich auf die Praxisberichte eines provinziellen Arztes. Schnell wurde mir klar, dass diese Schneiderinnen, Pfarrfrauen und Dienstmädchen damals von ihren inneren Empfindungen ganz anders sprachen, als ich in den 1950er-Jahren gelernt hatte, meinen "Körper" zu denken. Von da kam ich zur Geschichtlichkeit der Körperwahrnehmung, in deren Rahmen ich auch die Geschichte des Ungeborenen erforscht habe, den Monatsrhythmus und auch den Schwangerschaftsabbruch. Mir ging es darum, das Konzept des Körpers und die Selbstwahrnehmung von Frauen als legitimes Thema der Geschichtswissenschaft plausibel zu machen.

dieStandard.at: Ihre Konklusio: Die zunehmende Medikalisierung und medizinische Überwachung der Schwangerschaft im 20. Jahrhundert war ein Schaden für die Frauen. Warum?

Duden: Für die Feministinnen in den 1970ern war die Auseinandersetzung mit der Medizin der Hauptkampfplatz: Wie Frauen damals in den Kliniken ihre Kinder himmelwärts auf die Welt bringen mussten, fanden wir entwürdigend, hässlich und vor allem unnötig. Es ist für mich eine historische Frage, weshalb der direkte Angriff auf die Medizin vierzig Jahre später in die lammfromme Hinnahme der Routine-Screenings, der Pränataldiagnostik und der fortlaufenden Kontrollen mündete.

Gewiss, im Einzelfall haben technische Interventionen ihre Berechtigung, wenn ein Notfall vorliegt, doch als reguläre Praxis hindern sie Frauen daran, das zu tun, was sie können: Kinder ohne Interventionen gesund auf die Welt zu bringen. Mich hat aber weniger die Frage interessiert "Was leistet so eine Technologie?". Ich wollte wissen: "Was sagt sie der Frau über ihren Körper?" Bei jedem ärztlichen Besuch erhält die Frau vom Mediziner eine Instruktion über "ihren Körper". Über ein Modell des Körpers, den Körper als Sache oder Gegenstand.

Bei Frauen ist durch diese Unterrichtungen eine neue Abhängigkeit von professioneller Prophetie, der Risikobewertung, entstanden. Sie meinen, selbst nicht mehr zu wissen, wie es um sie steht, sie verlieren die Zuversicht, sich auf ihre Sinne zu verlassen.

dieStandard.at: Sie schreiben, diese Entwicklungen haben auch die Abtreibungsfrage berührt. Inwiefern?

Duden: Es gab eine lange Geschichte der rechtlichen Kriminalisierung der Abtreibung. Das ist die eine Seite. Eine ganz andere ist, wie Frauen ihren Zustand wahrnahmen. Bis vor gar nicht so langer Zeit spielte der Embryo dabei keine Rolle, denn für die Frau, die befürchtete, "schwanger" geworden zu sein, ging es darum, dass sich "ihr Blut" nicht einstellte. Wenn sie handelte, wie sie es für nötig fand, gab es keinen Konflikt zwischen ihr und einer Frucht, einem Embryo, oder gar einem "Leben" in ihr. Heute schafft die Implantation der befruchteten Eizelle einen historisch neuen Konflikt, für den die Frau nun verantwortlich sein soll. Wenn wir es von der körperlichen Wahrnehmung und aus einer historischen Perspektive betrachten, dann war – und ist – dieser Zustand eine Problematik allein ihres Blutes, das sich nicht zeigt und das sie wiedererlangen möchte. Eine ganz persönliche Erfahrung.

dieStandard.at: Die Bemühungen von Feministinnen haben allerdings auch Erfolge gefeiert. Die "natürliche Geburt" ist zum Paradigma der modernen Geburtshilfe geworden.

Duden: Das ist ein Fortschritt, ja. Der Hebammenberuf ist aber heute auch scheußlich unter Druck wegen der gestiegenen Versicherungsprämien, welche die Geburt zu einem "Risiko" machen. Das ist beängstigend. Die Kliniken bieten die natürliche Geburt und den "Wunschkaiserschnitt" wahlweise als Option zur kalkulierten Entscheidung an, das ist etwas ganz anderes, als wenn eine Frau ihr Kind - in einem Geburtshaus oder zu Hause - mit einer Hebamme zur Welt bringt.

dieStandard.at: Ist es nicht auch ein Problem, wenn Frauen durch den Anspruch einer "natürlichen Geburt" erneut einer angeblichen Naturhaftigkeit unterworfen werden?

Duden: Es gibt heute keine Natur mehr, das Körperliche ist geschichtlich. Es geht mir nicht darum, neue Normen zu etablieren, eine neue Natürlichkeit zu propagieren. Das wäre ziemlich dumm. Die Frage ist heute, welche klugen und erfahrenen Hilfestellungen eine Frau nötig hat, um mehr Selbstvertrauen zu haben, in guter Hoffnung zu sein.

dieStandard.at: In Ihrer Antrittsvorlesung im Jänner haben Sie eine Lähmung in der feministischen Forschung festgestellt. Bezieht sich die nur auf Ihr Fach, die Geschichte, oder allgemein auf die Genderforschung?

Duden: Die Lust, Frauengeschichte zu machen, war schon immer an die Gegenwartswahrnehmung gekoppelt. Und die Frauengeschichte hat heute einen erschwerten Stand, sie erscheint oft überholt. Das hat viel mit den gegenwärtigen Begriffen und Problemstellungen in den Genderstudies zu tun – von Frauen zu sprechen ist heute nicht mehr politisch korrekt. Wir sprechen stattdessen von Geschlecht und der Zuschreibung von Geschlecht.

Die feministische Debatte nahm mit "Gender" und "Geschlecht" Begriffe auf, deren Zielrichtung es ist, sich gegen die Normierung der Zweigeschlechtlichkeit zu wenden an einem Punkt, da die sozialstaatlichen Reformen eine Gleichstellung in strikt geschlechtsneutraler Rhetorik legitimieren. Diese Reformen – zum Beispiel der Ausbau des Niedriglohnsektors, der Abbau staatlicher Transferleistungen, die Ökonomisierung im Gesundheitswesen – führen zum Gegenteil dessen, was sie vordergründig versprechen, nämlich zu einer Feminisierung der Lasten.

Ich meine, dass eine Distanznahme zu den Selbstverständlichkeiten notwendig ist, in denen heute über Frauen und ihre Emanzipation gesprochen wird. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 23.1.2014)