Sigmund Freud (1856-1939) verband sein Interesse für die schönen Künste mit einem Eingeständnis des Neides. Der Ästhet bekomme es mit "gedämpften" Qualitäten des Fühlens zu tun. Von solchen könne der problemgeplagte Psychoanalytiker nur träumen.

Nun scheut Freud nicht davor zurück, sein Interesse für Das Unheimliche zum Sonderfall zu erklären. Diesem gehören Schreckhaftes, Angst- und Grauenerregendes gleichermaßen an. Freud schlägt eine Begriffsbestimmung vor, die ein verwirrendes Ergebnis zeitigt. Als "heimlich" bezeichnet man Gefühle der Häuslichkeit wie der Vertrautheit. "Heimlich" sind aber auch Schliche, die man vor der Mitwelt verbirgt. Das Wort "unheimlich" verhält sich lediglich zur ersten der beiden Bedeutungen gegensätzlich. Unheimlich ist, nach einem Wort von Schelling, mithin alles, was als Geheimnis im Verbogenen bleiben sollte und dennoch hervortritt, das heißt: bestürzenderweise ans Licht kommt.

Freud erstellt einen Katalog aller derjenigen Eindrücke, die das Gefühl des Unheimlichen im Menschen hervorzurufen vermögen. Er bedient sich bereits vorliegender Forschungen. Freud kommt zu dem Schluss, die Beseelung unbeseelter Gegenstände wie auch den umgekehrten Effekt als mögliche Auslöser von Gruselwirkungen zu zitieren.

Gewähr bietet ihm vor allem ein Meisterautor des Unheimlichen, der Romantiker E. T. A. Hoffmann. Aus dessen berühmter Erzählung Der Sandmann gewinnt der Seelenforscher Anhaltspunkte, die die Gültigkeit psychoanalytischer Auffassungen bestätigen sollen. Ein Kind, das um die Unversehrtheit seiner Augen fürchtet, durchleidet in Wahrheit die Angst vor der Kastration. Freuds minutiöse Lektüre des Sandmanns fördert eine Vielzahl von Symptomen zutage, die allesamt auf Komplexe verweisen.

Freud macht sich um die Wiederherstellung der "ursprünglichen" Ordnung verdient. Er löst Ambivalenzen in Gegensätze auf. Die Szenerie der Erzählung bevölkert sich mit guten und bösen Vätern (realen und symbolischen). Komplexe machen sich von ihren Inhabern frei und treten ihnen als "Personen" entgegen, man denke an die berühmte Puppe Olimpia aus der zitierten Erzählung.

In dem Aufsatz Das Unheimliche glückt Freud ein formidabler Leistungsnachweis seiner noch jungen Lehre. Ihm gelingt es, Angst als ein Symptom erscheinen zu lassen, das die Wiederkehr von etwas Verdrängtem anzeigt. In Verdoppelungen, in der permanenten Wiederkehr unerledigter "Reste" äußert sich ein Wiederholungszwang, der das Lustprinzip noch in den Schatten stellt. Jeder Zwangsneurotiker hat "Ahnungen", die "meistens" auch wirklich eintreffen.

Der Neurotiker baut auf die "Allmacht der Gedanken". Wer glaubt, er könne die Geschicke mit der Kraft seiner Gedanken lenken, hängt einer infantilen Auffassung von Welt an. Der Wahnsinn, dessen Vorhandensein man im Nebenmenschen vermutet, verdankt seine Beweiskraft der undeutlichen Regung, die man in entlegenen Winkeln des Selbst verspürt. Von hier ist es aber nur ein Katzensprung zu dem Satz: "Ich ist ein anderer!" (Ronald Pohl, DER STANDARD, 25.1.2014)