Regisseur Konstantin Faigle lässt in seinem Film "Frohes Schaffen" Protagonisten über den Zustand der Arbeitswelt reflektieren.

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Faigle: "Man muss sich selbst schützen, einfach mal loslassen, nicht in seine Mails schauen. Es ist schwer, von diesem Gedankenmuster wegzukommen."

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Die "Absurditäten der Arbeitswelt" möchte der deutsche Regisseur Konstantin Faigle mit seinem Dokumentarfilm "Frohes Schaffen - Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral" aufzeigen. Ökonomen, Journalisten und Philosophen versuchen darin, den "Mythos Arbeit" zu entzaubern. Deutschland-Start des Films war 2013, in Österreich ist "Frohes Schaffen" derzeit im Wiener Top-Kino und im Schikaneder Kino zu sehen.

derStandard.at: Wie sind Sie auf das Thema des Films gekommen? Aufgrund eines persönlichen Leidensdrucks?

Faigle: Nein, nicht vom Saulus zum Paulus. Ich war schon immer ein intelligenter und kritischer Müßiggänger. Aufgewachsen in einem Gemischtwarenladen auf dem Land im Schwäbischen und somit ein Teil der "Arbeitsmasse" dieses Ladens, beschäftige ich mich schon lange mit dem Thema Arbeit, dem Warum und dem Sinn von Arbeit. Konkret kam der Impuls für einen langen Kinofilm im Jahr 2008. Ich hatte gerade eine Dokumentation für die WDR-Sendereihe "Menschen hautnah" fertiggestellt mit dem Titel "Glückliche Nichtstuer" über zwei zufriedene Arbeitslose. Nach der Ausstrahlung explodierte der Blog der Redaktion. Die heftigen Reaktionen der Zuschauer gingen von "Das sind die Helden der neuen Zeit!" bis zu "Die sollte man doch wieder in ein Arbeitslager stecken!". Das hat mir gezeigt, dass es sich beim Thema Arbeit um weit mehr als nur um Materielles dreht. Arbeit ist eine Ideologie, eine weltliche Ersatzreligion, die uns Identität, Sinn und Halt gibt – und die absolut keine Ketzer duldet. Dieser Ideologie wollte ich filmisch nachforschen.

derStandard.at: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Beschäftigung mit Arbeit inspiriert hat?

Faigle: Als 16-Jähriger hatte ich meinen ersten Ferienjob in einer Werkzeugteilefabrik. Die Arbeit bestand darin, an einer Fräsmaschine Teile einzuspannen, sie auszublasen, aus einer Wanne zu holen und nachzumessen, ob die Länge stimmt. Ich wollte diese Arbeit effizienter machen, um daneben ein Buch lesen zu können. Mit einem Haken ging es schneller. Unter meinen Arbeitskollegen löste mein Vorgehen aber einen Rieseneklat aus, obwohl ich dieselbe Stückzahl in derselben Genauigkeit produziert habe. Ich entsprach nicht dem Bild des immer in Habt-Acht-Stellung stehenden Arbeiters, der um seine Maschine herumspringt. Da ging dieses Paradoxon schon los. Die Irren werden sich ihres Irrenhauses zwar bewusst, sie wollen aber drinnen bleiben, weil sie es nicht anders kennen.

derStandard.at: Gibt es zu wenige Leute, die unsere Arbeitswelt in Frage stellen?

Faigle: Zum Glück sind es immer mehr Leute, weil die Absurditäten immer offener zutage treten. Es gibt viele Filme, Bücher und politische Diskussionen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

derStandard.at: Glauben Sie, dass wir bereits am Zenit sind und es wieder in die andere Richtung geht?

Faigle: Noch nicht ganz. Es gibt Menschen, die die Apokalypse beschwören und glauben, dass das System erst kollabieren muss, um zu gesunden. Das wären der Kollaps und der globale Burnout dieses Wertschöpfungs- und Arbeitssystems. Ich habe Hoffnung und glaube, dass es ein evolutionärer Prozess ist und kein revolutionärer sein muss. Diese Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa zeigt, dass sich viele Menschen Gedanken machen über den Sinn von Arbeit. In meinem Film gibt es eine entscheidende Stelle. Der Ökonom Jeremy Rifkin erwähnt den Test, was man denn am Sterbebett sagt: "Wäre ich doch lieber eine Stunde länger im Büro geblieben, um zu arbeiten?! Wahrscheinlich nicht!" Es geht um lebenswerte Momente, die man jenseits der Arbeit erfährt.

derStandard.at: Wie schaffen Sie diese Balance?

Faigle: Diese innere Freiheit muss man sich schaffen, das ist tatsächlich harte Arbeit. (lacht) Von diesem "Ich muss, ich muss, ich muss"-Credo wegzukommen ist nicht leicht. Die Lebenszeit ist begrenzt, dennoch soll man nicht so viel hineinpacken, das explodiert. Daran gehen viele zugrunde, man muss sich selbst schützen, einfach mal loslassen, nicht in seine Mails schauen. Es ist schwer, von diesem Gedankenmuster wegzukommen. Im Film ist der Begriff Memetik zentral, also dass es geistige Gene gibt, die in uns fortgetragen werden, auch weil sie von Politikern und Medien beschworen werden. Du bist, was du machst. Verpasse nichts! Nutze jeden Moment! Davon wegzukommen ist schwer, es lohnt sich aber.

derStandard.at: Werden wir von klein auf mit diesen Werten indoktriniert?

Faigle: Ja, die Kleinkinder verbringen ihre Zeit in Betreuungseinrichtungen, weil die Eltern etwas Wichtiges machen, nämlich arbeiten. Die 13- und 14-Jährigen entscheiden sich gar nicht mehr, was sie sein wollen, sondern was sie werden wollen. Das ist eine Bredouille, die auch ich erlebt habe. Ich sehe das bei meiner 16-jährigen Tochter, die immer 16 bleiben will, weil sie sich dem Druck der Arbeitswelt noch nicht aussetzen will. Die Generation Y, die jetzt am Ruder und am Arbeiten ist, geht aber schon entspannter damit um. Die bekommen Kinder und fragen sich nicht, ob sie beruflich schon alles erreicht haben. Helfen würde das bedingungslose Grundeinkommen auch hier. Viele haben einen Abwehrmechanismus und glauben, dass die Leute dann nur mehr auf der faulen Haut liegen würden und dass es nicht finanzierbar ist. Wir sind in einer Matrix und wagen nicht mehr durchzublicken. Mit dem Film versuche ich zu zeigen, dass dahinter aber etwas Tolles lauern kann.

derStandard.at: Und das bedingungslose Grundeinkommen, von dem Sie schwärmen - halten Sie es für finanzierbar?

Faigle: Es wurden ja schon Rechenmodelle dazu angestellt, dass es finanzierbar ist. Beispielsweise über andere Steuermodelle oder die Umschichtung der Kosten des immensen Arbeitskontrollapparats. Derzeit lautet das Credo, dass jeder eine Arbeitsstelle haben muss. Sie werden geschaffen, ob sie sinnvoll sind oder nicht. Die einen haben zu viel Arbeit und erkranken, andere haben gar keine Arbeit und erkranken am Minderwert, den sie durch Arbeitslosigkeit erfahren. Was ist da los? Das ist ein evolutionärer Prozess. In der Schweiz beispielsweise wird über das Grundeinkommen bald per Volksentscheid abgestimmt, das wäre ein Modellprojekt, bei dem man sehen könnte, dass es funktioniert.

derStandard.at: Könnte das Credo "Wachstum, Arbeitsplätze schaffen, den Konsum ankurbeln" mit dem Grundeinkommen aus den Angeln gehoben werden?

Faigle: Da wäre zumindest ein Modell, das die Welt auf den Kopf stellen könnte. Leute sollen nicht um der Arbeit willen alles machen und alles produzieren. Es fließen jetzt schon immense staatliche Mittel, um Arbeitsplätze zu generieren. Das extremste Beispiel ist das Real Life Center aus meinem Film, das Arbeitslosen bei der Wiedereingliederung in einen Job helfen soll – ein komplettes "Spielzeugkaufhaus für Erwachsene". Das ist so absurd, und man fragt sich, warum wird so etwas finanziert? Das ist eine Metapher für den Zustand der Gesellschaft. Der Staat leistet sich ja bereits hohe "Grundeinkommensausgaben", um die bestehende Arbeitswelt und deren Simulation zu sichern. Das Grundeinkommen kann aber nur ein Teil eines Umdenkprozesses sein, der stattfinden muss.

derStandard.at: Was fehlt noch?

Faigle: Die beiden Skidelskys - der Vater ist Ökonom, der Sohn ist Philosoph - haben in einem Buch die Basisgüter der Menschen dargelegt. Interessanterweise ist Arbeit nicht dabei, aber dafür etwa Muße, Gesundheit, Sicherheit, Freundschaft, Harmonie mit der Natur. Da sind wir wieder bei der Natur des Menschen. Oft wird behauptet, es ist ein Naturgesetz, dass der Mensch arbeiten muss. Der Mensch möchte tätig sein, aber eben sinnvoll. Das ist völlig aus dem Ruder gelaufen, Arbeit ist per se wichtig. In Diskussionen zu meinem Film habe ich oft gehört, dass Arbeit nicht bewertet werden soll. Da fängt die Ideologie schon an, sie muss bewertet werden - ökonomisch, human und ökologisch.

derStandard.at: Die primäre Triebfeder von Erwerbsarbeit ist nicht das Geld, sondern die Sinnstiftung, so wird es suggeriert.

Faigle: Wir haben lange nach einem Titel für den Film gesucht. "Frohes Schaffen" ist der Kern von Arbeit, das kann man von beiden Seiten sehen. Mache ich etwas Sinnvolles, dann erfahre ich einen "Flow". Jemand, der bei Lehman Brothers arbeitet oder in der Rüstungsindustrie, erfährt vielleicht auch einen Flow. Die Frage ist, ob das für die Gesellschaft wertvoll ist. Sind beide Seiten gedeckt, ist die Tätigkeit gut. Arbeit - und da haben sich Marx und Keynes getäuscht - ist unendlich ausdehnbar, solange es billige Arbeitskräfte gibt. Gut ist, dass unser Planet nicht ausdehnbar ist und die Wirtschaft an ihre Grenzen kommt. Und da wird "Frohes Schaffen" essenziell für unsere Existenz als Homo sapiens.

derStandard.at: Im Film kommen Protagonisten zu Wort, die beispielsweise Redakteure nach Manila auslagern.

Faigle: Ich würde es als Ausweitung der Kampfzone beschreiben. Früher dachte man, dass Journalisten nicht ersetzt oder ausgelagert werden können, heute ist das zum Teil Realität. In Berlin bietet eine Firma Privatsekretäre in Polen an. Sie sprechen gut Deutsch und organisieren dir deinen Alltag von Polen aus. Und das alles sehr günstig. Diese Absurdität wird immer offener.

derStandard.at: Ökonomisch betrachtet: Ist Ihr Film ein Erfolg?

Faigle: Bestimmt nicht. (lacht) Man kann sagen, dass ich eine Art selbstbestimmter Hartz-IV-Empfänger bin. Wenn man den Prozess von der Idee bis zur Fertigstellung nimmt, hat es sich ökonomisch nicht gelohnt. Für mich war es auch nicht immer ein frohes Schaffen, dennoch hat es sich sehr gelohnt. Mir wurde klar, wie mein Lebensweg weitergeht, dass ich ein politischer Filmemacher bin und keine Kompromisse eingehen will.

derStandard.at: Wie viele Stunden arbeiten Sie eigentlich pro Woche?

Faigle: Ich habe letzte Woche viel zu viele Stunden gearbeitet beziehungsweise "froh geschafft", um eine TV-Doku zum Thema Verkleiden zu drehen. Das werde ich diese Woche ausgleichen, mich ausruhen und wieder ausgiebig der Muße widmen: Geschichten schreiben, Ukulele spielen, mit meinen Kindern flanieren gehen und in meinem Chor singen. Ich komme wahrscheinlich wirklich auf die drei Stunden reine Erwerbsarbeit pro Tag, wie sie von vielen Arbeitskritikern beschworen werden. Eine intuitive Life-Balance würde ich das bei mir nennen. Viel Arbeit an sich. (Oliver Mark, derStandard.at, 30.1.2014)