"Österreich ist in Sachen Krebsbehandlung unter den Top fünf weltweit - neben Frankreich, Schweiz und den USA", sagt Grundlagenforscherin Maria Sibilia. Sie und acht andere führende Ärzte des AKH Wien sprachen am 12. Februar im Wiener Radiokulturhaus über die Zukunft der Krebstherapie. Einig waren sie sich über die enormen medizinischen Fortschritte in den letzten Jahren.

"Revolution in der Behandlung"

"Was sich in den letzten 20 Jahren getan hat, ist eine Revolution", sagte Chirurg Michael Gnant. Viele große Operationen könnten heute deutlich sicherer und effizienter durchgeführt werden. Die Verbesserungen seien sowohl bei der Diagnose als auch bei OP-Technik, Narkosen und Therapien enorm. Die meisten Krebsoperationen würden mittlerweile an  spezialisierten Krebszentren durchgeführt, aber noch längst nicht alle. "Der Weg ist noch lang - in Österreich gibt es mehr Krankenhäuser als in ziemlich jedem anderen Land", sagt Gnant. Er wünscht sich eine noch stärkere Schwerpunktsetzung der Tumorzentren mit routinierten und spezialisierten Ärzte.

Die Fortschritte in der Krebsbehandlung seien auch an der gestiegenen Lebenserwartung ersichtlich. "In den 90er-Jahren fragte man sich noch, ob man einen 75-Jährigen Krebspatienten überhaupt noch operieren soll - heute ist 75 Jahre das Durchschnittsalter, viele OP-Patienten sind sogar noch deutlich älter. Auch könne man heute mit viel weniger Blutverlust und zumeist auch organerhaltend operieren: Bei Brustkrebs etwa sei das in mehr als 90 Prozent, bei Mastdarmkrebs in mehr als 80 Prozent der Fälle möglich.

Auch gelte mittlerweile in der Chirurgie der Grundsatz: "Weniger ist mehr." Während laut Gnant bis vor wenigen Jahren oft auch angrenzendes gesundes Gewebe chirurgisch entfernt wurde, könnte man heute exakt die Grenzen von Tumorgewebe bestimmen und dieses präzise entfernen. "Mehr als nötig wegzuschneiden, ist Medizin von vorvorgestern", sagt er. Darin wären sich heute alle Experten einig.

Zentralisierte Tumorboards

"Die Überlebensraten hierzulande sind auch deshalb so gut, weil wir standardisierte Tumorbehandlung und keine individualisierte haben", sagt Gnant. Vor allem die Bedeutung der bereits 22 interdisziplinären Tumorboards in den Spitälern sei nicht hoch genug einzuschätzen. Weitere Boards seien in Entwicklung begriffen.

"Die gegenwärtige Krebsbehandlung hat eine Qualität, von der wir vor wenigen Jahren nicht geträumt hätten", sagt auch Onkologe Christoph Zielinski. Als er 1979 als Arzt am Wiener AKH begonnen hat, hätte es wenige Therapien, kaum Informationen für Patienten, praktisch keinen internationalen Austausch und null Qualitätssicherung gegeben. Mittlerweile gäbe es eine "unendliche Vielzahl an Therapien", interdisziplinäre Zusammenarbeit und ständige Evaluierung. Auch werde heute die Grundlagenforschung viel besser in den klinischen Alltag integriert, so Zielinski.

Mehr Information für Patienten

Auch würden die vermeintlichen "Götter in Weiß" heute längst nicht mehr von ihren Elfenbeintürmen herabblicken, sondern die Patienten in Entscheidungen, Beweggründe und Irrtümer einbeziehen. "Gott sei Dank ist die Zeit der Autoritäten überwunden, in der jemand allein kraft seiner Stellung und ohne Argumentation entscheiden konnte", sagt Zielinski. Heute gebe es definierte Standards, die auf dem höchsten Stand der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind und überall gleichermaßen zur Anwendung kommen.

Zielinski betonte allerdings auch, dass es nicht überall Spitzenmedizin geben kann: "Eine Uniklinik ist eine Uniklinik ist eine Uniklinik. Es können nicht alle Krankenhäuser auf dem gleichen Stand sein - leider." In den Großstädten wie Wien, Linz oder Innsbruck sei das zwar schon der Fall - für die Peripherie könne er das aber nicht bestätigen. Auch deshalb plädiert er für eine Fokussierung auf wenige, dafür aber spezialisierte Behandlungszentren, an denen die Ärzte jeden Tag mit Krebs zu tun hätten und dementsprechend routiniert seien. 

Personalisierte Therapie

Auch Richard Pötter, Leiter der Klinik für Strahlentherapie am AKH Wen, unterstrich die "dramatischen Fortschritte" in der Bildgebung und Nuklearmedizin: "Die Strahlen werden heute exakter fokussiert, die Dosen geringer, die Ergebnisse besser als noch vor wenigen Jahren." Auch würden viele Bestrahlungsgeräte heute bereits mit CTs ausgestattet, sodass laufende Veränderungen während der Bestrahlungen in Echtzeit verfolgt werden können.

Grundlagenforscherin Maria Sibilia wiederum betonte, dass die personalisierte Medizin künftig noch wichtiger wird. Nicht das Primärkarzinom sei das Problem, sondern die Metastasen. "Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet sind noch sehr mager. Die derzeitigen Therapie helfen nur gegen bestimmte Arten von Tumoren, deshalb wird die Personalisierung noch wichtiger werden - auch deshalb, um Resistenzen zu umgehen", so Sibilia.

Lebensstil entscheidend

Bei all den medizinischen Fortschritten sei aber nicht die Bedeutung der Prävention zu vergessen, sagt Gynäkologe Paul Sevelda: Man sollte so leben, "dass man nicht an Krebs erkrankt". Natürlich gebe es keine Garantie dafür, aber zu einem großen Grad hätte man die Gesundheit in der eigenen Hand. Er unterstrich die Bedeutung von Bewegung ("in den letzten Jahren vor allem bei Kindern dramatisch zurückgegangen"), richtiger Ernährung ("Die Krebsdiät gibt es zwar nicht, aber eine ausgewogene und gesunde Ernährung ist dennoch essenziell"), und Nichtrauchen - aktiv und passiv. Etwa 30 Prozent aller Krebserkrankungen ließen sich vermeiden, wenn man auf Zigaretten verzichtet, so Sevelda.

"Leider Gottes können wir uns hier nicht auf die Gesundheitspolitik verlassen. Der derzeit bestehende Nichtraucherschutz ist ein Skandal und ein Trauerspiel", sagt der Gynäkologe und Krebsexperte. Auch Shahrokh Shariat, Leiter der Universitätsklinik für Urologie am AKH Wien, appellierte an die Politik, endlich Rauchverbote durchzusetzen: "Rauchen ist das größte gesundheitliche Problem unserer Gesellschaft. Daran müssen wir endlich arbeiten."

Verbesserte Früherkennung

Auch betonte Shariat die Bedeutung der Früherkennung: Besonders beim Gebärmutterhalskrebs, aber auch bei Brust-, Dickdarm- und Prostatakrebs könne sie viele Ausbrüche von Krebs verhindern. Die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs schützen, wäre "die medizinische Sensation der letzten zehn Jahre". Bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen könne man dadurch ein Ausbrechen  verhindern. Hier hätte die Politik mit den kostenlosen beziehungsweise vergünstigten Impfprogrammen gute Arbeit geleistet. Diese Krebsform werde man in Zukunft weitgehend ausrotten können, glaubt Sevelda. Allerdings würde bei einigen anderen Krebsformen Früherkennung noch nicht funktionieren, etwa bei Eierstock- oder Gebärmutterkörperkrebs. 

Gegen Ende des Informationsabends betonte Komplementärmediziner Leo Auerbach noch, dass man klar zwischen Komplementär- und Alternativmedizin unterscheiden müsse. Während Alternativmedizin behauptet, schulmedizinische Therapien gänzlich zu ersetzen, ist Komplementärmedizin lediglich begleitend dazu. Auerbach: "Leider wird mit beidem viel Schindluder getrieben. Der einfachste Rat: Wenn etwas teuer ist, lassen Sie es. Die wirklich innovativen Dinge und Therapien passieren an den Spitälern und kosten den Patienten nichts." (Florian Bayer, derStandard.at, 14.2.2014)