Mit der Sistem 51 demokratisiert Swatch den mechanischen Zeitmesser und bleibt dem poppigen Image der Plastikuhr treu. Zurzeit gibt es die Sistem 51 aber nur in Blau, Rot, Weiß und Schwarz. 

Foto: swatch

Die Rückseite gibt das Automatikwerk preis, das aus nur 51 Teilen besteht und vollautomatisch zusammengebaut wird.

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Die Leute werden langsam ungeduldig: "Dear Swatch, we want the Sistem 51", postete ein gewisser James unlängst im einschlägigen Forum von tempusfugitwatch.com. Das mag nicht weiter verwunderlich erscheinen, schließlich haben die bunten Plastikuhren viele Freunde auf der ganzen Welt.

Aber: Die genannte Website behandelt üblicherweise keine bunten Kunststoffzeitmesser mit Quarz-Antrieb – man hat sich dort der hochfeinen Uhrmacherei verschrieben. Elektronische Bauteile gehen gar nicht. Was also hat es auf sich mit dieser ominösen "Sistem 51", dass sie selbst eingefleischte Horologen herbeisehnen?

Zur Erklärung muss man die Zeit rund ein Jahr zurückdrehen. Auf der Baselworld 2013, der größten Uhrenmesse der Welt, lag etwas in der Luft. Denn die Marke Swatch selbst (nicht die Marken der Swatch Group wie Breguet oder Omega) war zum ersten Mal überhaupt in ihrer 30-jährigen Geschichte in Basel vertreten. Und dann gleich mit einer eigenen Halle. "Die bringen die iWatch gemeinsam mit Apple", lautete eine der vor Ort gemurmelten Vermutungen.

Vollständig automatisch

Was Firmenchef Nick Hayek jun. dann präsentierte, hatte zwar mit einer elektronischen Uhr nichts zu tun, hat aber das Zeug, die Uhrenindustrie umzukrempeln: ein automatisches Mechanikwerk mit Selbstaufzug, das aus nur 51 Teilen besteht. Das alleine ist schon bemerkenswert, bestehen doch herkömmliche mechanische Werke aus mindestens doppelt so vielen Teilen. Wirklich revolutionär allerdings ist, dass dieses Werk das erste und einzige Uhrwerk der Welt ist, dessen Zusammensetzung vollständig automatisch erfolgt. 20 Minuten dauert der Zusammenbau. Hier hat kein Mensch mehr seine Finger im Spiel.

Auch die allererste Quarz-Swatch von 1983 bestand aus 51 Teilen. Sie war die erste Kunststoffuhr der Welt. Und auch sie wurde gegen alle schweizerische Uhrmachertradition nicht mehr von Hand gefertigt. Durch die begrenzte Zahl von Teilen und die automatische Produktion hatten erstmals Millionen Menschen Zugang zu Schweizer Qualitätsuhren.

Zwei Jahre Entwicklung

Die Geschichte scheint sich jetzt zu wiederholen: Auch die Sistem 51 besteht zum Großteil aus Kunststoff. Das Werk selbst aber aus einer Hightech-Legierung namens Arcap, einem Amalgam aus Kupfer, Nickel und Zink mit hervorragenden antimagnetischen Eigenschaften. (Arcap wird übrigens auch von der "Milliardärsuhrenmarke" Richard Mille verwendet.) Fünf Module sind zu einem einzigen Element hermetisch verschweißt, dessen Mittelpunkt eine einzelne Schraube bildet. Auf diese Weise ist das Werk auch gleich gegen alle schädlichen Einflüsse wie Staub oder Wasser gefeit.

Die Hemmung besitzt, wie sonst bei mechanischen Uhren üblich, keinen Regulator. Die Ganggeschwindigkeit wird in der Fabrik mit einem Laser festgelegt, womit die manuelle Einstellung entfällt. Ein großes Federhaus sorgt zudem für eine recht ordentliche Gangreserve von 90 Stunden. Die Ganggenauigkeit soll neben einer langen Lebensdauer nur plus/minus zehn Sekunden pro Tag betragen. Der Rotor auf der Rückseite der Uhr, der durch seine Bewegung anstelle einer Batterie für die Energie sorgt, ist transparent und lässt einen Blick auf das Werk zu. Zwei Jahre tüftelten die Ingenieure der Swatch Group an der Sistem 51, 17 Patente sind angemeldet.

Automatisch bunter

Swatch wäre nicht Swatch, wenn man nicht auch an das poppige Image denken würde. Deshalb sind alle sichtbaren Oberflächen beliebig gestaltbar. Damit werden automatische Uhren bunter. Und bei einem Preis von 120 Euro werden sie auch demokratischer – eine weitere Analogie zur Ur-Swatch: Millionen Menschen werden erstmals Zugang zu mechanischen Uhren aus der Schweiz erhalten, denn sie sind, wie alle Swatch-Zeitmesser, 100 Prozent "Swiss made".

Hier kommen zwei Punkte zusammen, die die Schweizer Uhrenindustrie in den kommenden Jahren umtreiben wird, wie Uhrenexperte Martin Filzwieser (haute- horlogerie.at) analysiert: "Während der Luxusmarkt boomt, wird das Massensegment durch Billigprodukte aus Fernost unterwandert." Was gerade Swatch, als Marktführer im Einstiegsbereich, hart zusetzt. "Manche Hersteller beziehen ihre Teile aus China, bauen die Uhr in der Schweiz zusammen und können nach den bestehenden Vorschriften ruhigen Gewissens 'Swiss made' auf den Zeitmesser schreiben", fährt Filzwieser fort. Die Sistem 51 sei also die richtige Ansage in wirtschaftlich turbulenten Zeiten – "wie damals, als die Schweizer Industrie wegen der Quarz-Krise am Boden lag und nur durch (die) Swatch wiederauferstehen konnte". (Markus Böhm, Rondo, DER STANDARD, 28.2.2014)