Wien – Sind Fibromyalgie-Patienten depressiv, leiden unter Rheuma oder rühren ihre Schmerzen gar von einer Infektion? Um kaum eine Schmerzerkrankung ranken sich so viele Mythen und Unsicherheiten wie um das Fibromyalgie-Syndrom (FMS). Die chronische Erkrankung ist durch Schmerzen der Muskulatur, des Bindegewebes und der Gelenke gekennzeichnet, mitunter tut "der ganze Körper" weh.

Etwa zwei Prozent der Bevölkerung leiden darunter, Frauen vier- bis siebenmal so häufig wie Männer. Die medizinische Fachwelt liefert sich zum Teil erbitterte Kontroversen über Klassifikation, Ätiologie, Diagnose und Therapie der Krankheit. "Einige der mitunter vertretenen Meinungen sind aber wohl Glaubensbekenntnisse einzelner Fachdisziplinen, was den Patienten nicht weiterhilft", kritisiert Winfried Häuser anlässlich des 18. Internationalen Wiener Schmerzsymposiums.

Funktionelle Störung

Der Leiter des Zentrums für Schmerztherapie am Klinikum Saarbrücken war an der Entwicklung der deutschen interdisziplinären Leitlinie zum Fibromyalgie-Syndrom mit beteiligt. Er will den zahlreichen Halbwahrheiten gesichertes Wissen entgegensetzen: "Das erspart Betroffenen jahrelange Unsicherheit und viele unnötige Schmerzen, denn so kann rascher eine passende Therapie eingeleitet werden."

Die deutschen interdisziplinären Leitlinien klassifizieren die Krankheit als funktionelle Störung, die selten in Reinform auftritt. FMS geht häufig mit anderen funktionellen Störungen, wie dem Reizdarmsyndrom, Depressionen, Angst- oder posttraumatischen Belastungsstörungen oder somatischen Begleiterkrankungen wie einer entzündlichen Rheumaerkrankung einher.

Unspezifische Tenderpoints

Über viele Jahre wurden Tender-Point-Untersuchungen durch Rheumatologen vorgenommen, um die Diagnose FMS zu belegen. "Diese Vorgangsweise ist inzwischen überholt. Neuere Studien haben gezeigt, dass die druckempfindlichen Punkte unspezifische Schmerzpunkte sein und bei FMS-Patienten auch durchaus fehlen können", erklärt Häuser. Laut Leitlinien ist eine Diagnose zielführend, welche die klassische Schmerzsymptomatik in mehreren Körperregionen mithilfe von Schmerzskizzen und eines Fragebogens überprüft. Außerdem müssen körperliche Erkrankungen, welche die Beschwerden der Patienten ausreichend erklären, oder die Einnahme von Medikamenten, die chronische Schmerzen auslösen können, ausgeschlossen werden.

"Realistische Therapieziele sind der Erhalt und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Alltag. Beschwerdefreiheit, wie sie manchmal vor allem von psychodynamisch orientierten Psychotherapeuten fälschlicherweise in Aussicht gestellt wird, ist dagegen ein unrealistisches Ziel. Psychotherapie kann Fibromyalgie leider nicht heilen", sagt Häuser.  Bei leichten Verläufen ist ein medikamentöse Therapie nicht zwingend erforderlich. Bei schweren Verläufen wird eine zeitliche befristete medikamentöse Therapien empfohlen. (red, derStandard.at, 7.3.2014)