Dem generischen Maskulinum zum Trotz: Sinn von Sprache ist, Wirklichkeiten möglichst präzise zu spiegeln. Das scheint die Mitglieder der Vernetzungsplattform Austrian Standards noch nicht erreicht zu haben: Der Entwurf der neuen Önorm A 1080 zur schriftlichen Kommunikation zeigt einen erschreckenden Mangel an linguistischer Fachkenntnis und sprachlicher Sensibilität.

Spätestens seit den 1980er-Jahren ist die sprachliche Gleichstellung von Frauen und Männern eines der wichtigsten Themen für alle, die sich mit Sprache befassen. Mit gutem Grund: Frauen stellen die Mehrzahl der Weltbevölkerung. In der deutschen Sprache wurden sie lange Zeit des Platzes verwiesen, blieben weitgehend unsichtbar, waren mitgemeint. 

Spiegelung der Realität

Erinnerlich ist das Ringen um präzisen Sprachgebrauch. Waltraud Klasnic, die erste Landeschefin Österreichs, ließ sich noch in den 1990er-Jahren als Frau Landeshauptmann betiteln. Gabi Burgstaller wählte beim Amtsantritt 2004 "Landeshauptfrau" als Anrede. Heute zählt die Adressierung der "geehrten Bürgerinnen und Bürger" zum guten Ton in Politik und Gesellschaft.

Der öffentliche Rundfunk macht deutlich, dass TV- und Radiobeiträge auch mit geschlechtersensibler Sprache funktionieren und verständlich sind. Der Duden nennt die Doppelnennung als "höflichste und eindeutigste Variante der sprachlichen Gleichstellung" und bietet ein brauchbares, wenngleich nicht erschöpfendes Spektrum an Rechtschreibmöglichkeiten/sprachlichen Mitteln zur Umsetzung an. Alles in allem verdeutlichen Lexikalisierung und Schreibweisen ein neues Verständnis der Geschlechter auch in der gemeinsam verwendeten Sprache: Dem Weiblichen wird zumindest sprachlich weitgehend derselbe Rang eingeräumt wie dem Männlichen. Ein Versuch mit Luft nach oben.

Önorm A 1080 als zivilisatorischer Rückschritt

Der Entwurf der neuen Önorm negiert den linguistischen Erkenntnisstand. Unter dem Prätext, dass es die Orthografie nicht vorsehen würde (was so nicht stimmt, weil der Duden Kurzformen, Schrägstriche, Klammern, Neutralisierung etc. vorsieht), dass Lesbarkeit, Verständlichkeit und Sprechbarkeit (wohlgemerkt in der schriftlichen Kommunikation) im Vordergrund stehen müssten, sollen Spiegelung der Realität und sprachliche Gleichstellung durch die Hintertür der Standardisierung rückgängig gemacht werden. Als Lösung "bei Formulierungsproblemen", so der Önorm-Entwurf, ist der "eingeschlechtlichen Formulierung der Vorzug zu geben".

Seit vor allem feministische Linguistinnen die sprachliche Gleichstellung/Symmetrie einfordern und Tonnen an wissenschaftlichen Arbeiten und Sprachleitfäden vorgelegt haben, seit die öffentliche Verwaltung geschlechtergerechte Sprache weitgehend anwendet, rumort es im Gebälk. Und es reicht ein Anlass – zuletzt die Bundeshymne 2011 –, um einen Ausbruch an Verballhornung, Abwertung und des in Österreich immer noch akzeptierten Abwehrkampfverhaltens an den Tag zu legen. In dieses Horn stößt der Önorm-Entwurf, wenn er unter dem Kapitel "Sprachrichtigkeit" zu Beispielen wie "Kinderinnen" greift. Was soll Kinderinnen sein? Für wie blöd wird die Bevölkerung vom Austrian-Standards-Team gehalten? Zeigt sich hier Häme?

Schaffung von Realität - Sprache als Medium des Denkens

Linguistischer Unverstand zeigt sich jedenfalls, wenn der Entwurf ernsthaft festhält: "Unsere Sprache verfügt seit jeher über die Möglichkeit, mit Hilfe eingeschlechtlicher Angaben beide Geschlechter anzusprechen." Gemeint ist die männliche Sprachform (generisches Maskulinum), also zum Beispiel Schüler für Schülerin und Schüler.

Die rein männliche Sprachform schließt Frauen aus, das haben unter anderen die Wissenschaftlerinnen Dagmar Stahlberg und Sabine Sczesny von der Universität Mannheim bereits vor mehr als zehn Jahren herausgefunden. Ein einfaches Experiment lässt das nachvollziehen: Gefragt nach "Romanheldinnen und -helden", nennen Menschen Männer und Frauen. Wird das Wissen zu "Romanhelden" erkundet, kommen fast ausschließlich Männer vor. Frauen haben dann keinen Platz mehr in der erinnerten Wirklichkeit, werden aus selbst erfahrenem Wissen verdrängt.

Am häufigsten nennen Frauen wie Männer übrigens dann Frauen, wenn bei der Formulierung das Binnen-I verwendet wird. Der wahre Grund, warum der Önorm-Entwurf empfiehlt, das Binnen-I zu vermeiden? Übrigens: Im achtköpfigen Austrian-Standards-Präsidium ist eine Frau vertreten. (Birgitta Winkler, Traude Kogoj, dieStandard.at, 14.3.2014)