Laborstudien hätten gezeigt, dass bei Akupunktur vermehrt schmerzstillende körpereigene Botenstoffe ausgeschüttet werden, sagt Schmerztherapeut Konrad Streitberger.

Foto: Konrad Streitberger

STANDARD: Wirkt Akupunktur, oder ist das alles bloß ein Placeboeffekt?

Streitberger: Der Placeboeffekt spielt eine größere Rolle als bei anderen Therapien. Der Akupunkteur nimmt sich viel Zeit, passt die Therapie individuell an. Außerdem kann die Körperwahrnehmung positiv beeinflusst werden, wenn man die Nadeln spürt. All das kann Beschwerden deutlich lindern. Aber Akupunktur hat auch einen eigenen Effekt durch die Nadelreize auf den Körper.

STANDARD: Lässt sich das beweisen?

Streitberger: Zahlreiche Laborstudien haben gezeigt, dass bei Akupunktur vermehrt schmerzstillende körpereigene Botenstoffe wie Endorphine, Serotonin oder Noradrenalin ausgeschüttet werden. Mit Kernspin- und Positronenemissionstomografie kann man sehen, dass Hirnbereiche aktiviert werden, die Schmerzen verarbeiten. Der Parasympathikus wird aktiviert und der Körper allgemein beruhigt. Zusätzlich gibt es Hinweise für eine antientzündliche und durchblutungssteigernde Wirkung. Letzteres könnte bei Heuschnupfen eine Rolle spielen.

STANDARD: Warum zweifeln Skeptiker an der Wirksamkeit?

Streitberger: Sie sagen, dass sich die Studien widersprechen und die Qualität der einzelnen Studien nicht gut genug sei. Die einzige Ausnahme ist Übelkeit und Erbrechen nach Operationen: Hier haben viele Studien klar gezeigt, dass Akupunktur wirkt.

STANDARD: Warum sind Akupunkturstudien, wie Kritiker behaupten, schlecht?

Streitberger: Es sind nicht alle schlecht. Es ist nur schwierig, eine placebokontrollierte Akupunkturstudie durchzuführen. Das liegt zum einen am Wesen der Akupunktur: Die Behandlung lässt sich im Gegensatz zu Medikamentenstudien schwer standardisieren. In neueren Akupunkturstudien versucht man das zwar: Der Akupunkteur sticht bei jedem Studienteilnehmer genau gleich. Aber das widerspricht dem traditionellen, individuellen Ansatz. Außerdem lässt sich Akupunktur schwer "verblinden": In einer guten Studie sollten Teilnehmer nicht wissen, wie sie behandelt werden.

STANDARD: Deshalb vergleicht man doch mit der Sham-Akupunktur, also der Arzt sticht an definierten Stellen, die aber nicht den Akupunkturpunkten entsprechen.

Streitberger: Damit prüft man aber nicht, ob Akupunktur wirkt oder nicht, sondern ob die Auswahl der Punkte eine Rolle spielt. Da aber bereits durch das Stechen Effekte im Körper ausgelöst werden, sollte ein Placebo nicht die Haut durchstechen. Der Patient darf dabei nicht merken, dass er nicht gestochen wird.

STANDARD: Deshalb haben Sie die Placebonadel erfunden. Wie kamen Sie darauf?

Streitberger: Erst habe ich echte Nadeln abgestumpft. Als ich einen zusammenschiebbaren Theaterdolch sah, kam ich auf die Idee: Ich baute die Nadeln so um, dass sie sich teleskopartig zusammenschieben und einen Stich vortäuschen. Mit meinen Nadeln wurde unter anderem bewiesen, dass die echte Akupunktur Muskel- und Knochenschmerzen besser lindert als Placebonadeln. Ich bin deshalb überzeugt, dass Akupunktur im wissenschaftlichen Sinn wirkt - auch, wenn der spezifische Effekt vielleicht klein ist. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 25.3.2014)