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Die Bitcoin-Lobby kämpft nach Silk Road und Mt. Gox ums Überleben

Foto: Reuters/Kopczynksi

Als Patrick Murck im März den kleinen, grauen Besprechungsraum der Staatsanwaltschaft in Manhattan betrat, wurde die virtuelle Bitcoin-Welt auf einmal unangenehm real. Der 38-Jährige ist der Justiziar der Bitcoin Foundation, einer Art Branchenverband für die Kryptowährung. Es war daher wenig überraschend, dass die Organisation eine Vorladung erhielt, um den Ermittlern Auskunft über Mt. Gox zu geben. Die einst führende Bitcoin-Börse war im Februar zusammengebrochen, nachdem Bitcoins ihrer Kunden im Wert von rund 500 Millionen US-Dollar verloren gegangen waren.

Dass in dem aber auch Vertreter der Bundespolizei FBI, der Steuerbehörde IRS und Strafermittler des Finanzministeriums saßen, verblüffte Murck, der in Begleitung zweier Anwälte erschienen war. Zwei Stunden lang löcherten ihn die Fahnder, berichten Insider. Ihm seien die verschwundenen Bitcoins genauso ein Rätsel wie allen anderen, soll er gesagt haben.

Früher war es die Hauptbeschäftigung von Bitcoin-Lobbyisten wie Patrick Murck, die Vorzüge der rein elektronischen Währung anzupreisen. Sie wird an Computern erschaffen und zwischen Nutzern gehandelt, die ihre Bitcoins in virtuellen Portemonnaies verwahren. Diese Bemühungen waren durchaus erfolgreich: Wagniskapitalgeber stiegen ein und trugen dazu bei, dass der Kurs der Währung raketenartig nach oben schoss.

Jetzt aber taumelt Bitcoin von Krise zu Krise. Einige der ehernsten Verteidiger sind in die Ermittlungen verstrickt. Statt Bitcoin-Werbung ist jetzt Krisenkommunikation angesagt.

Der Absturz von Mt. Gox bestätigte den Verdacht von Strafverfolgern und Aufsehern, dass die virtuelle Währung ein Paradies für Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Hightech-Diebstahl ist. Vom Allzeithoch im Dezember ist der Kurs des Bitcoin laut dem Preisindex von Coindesk um etwa 60 Prozent auf unter 450 US-Dollar gestürzt. Die Webseite Coindesk rechnet die Bitcoin-Kurse verschiedener Anbieter zusammen.

„Diese Währung ist eigens für Betrug konzipiert", sagt eine Person, die mit den Ermittlungen gegen Mt. Gox vertraut ist. Am Dienstag hatte ein US-Insolvenzgericht Mt.-Gox-Chef Mark Karpelès angewiesen, unter Eid die Fragen von Anwälten der geprellten Nutzer zu beantworten. „Es gab Schwächen im System, und die Bitcoins sind verschwunden", hatte Karpelès am 28. Februar in Tokio gesagt. „Ich entschuldige mich für die entstandenen Unannehmlichkeiten."

Es gibt kein Anzeichen dafür, dass gegen die Bitcoin Foundation selbst ermittelt wird, und laut Insidern besteht auch kein Verdachtsmoment gegen Justiziar Murck. Aber da es immer schwieriger für die Bitcoin-Befürworter wird, Skeptiker von der Währung zu überzeugen, fordern immer mehr von ihnen, die noch freie Bitcoin-Welt strengeren Regeln zu unterwerfen.

Bitcoin dürfe nicht weiter ein Hobby von Amateuren sein, sagt Arjan Schütte, Gründer von Core Innovation Capital. „Es muss professionalisiert werden. Es ist verblüffend und ärgerlich, wie viele schlechte Akteure es gibt." Core Innovation ist eine Wagniskapitalfirma aus Los Angeles, die viel Geld in Ripple Labs gesteckt hat, ein digitales Netzwerk, das Zahlungen zwischen herkömmlichen und virtuellen Währungen abwickelt.

Kurz gesagt ist die Bitcoin Foundation der offizielle Verband einer losen Ansammlung von Technologiefans, Unternehmern und Regierungskritikern weltweit. Die seit eineinhalb Jahren bestehende Gruppe verfügt über tausende Mitglieder und hat über Gebühren und Spenden mehr als 2 Millionen Euro in Bitcoin eingesammelt.

Die Organisation hat jedoch einige heikle Spitzenfunktionäre, deren Probleme sie jetzt in eine Vertrauenskrise stürzen. Mt.-Gox-Chef Karpelès war einer der Geburtshelfer der Bitcoin Foundation und Mitglied im Vorstand – er trat erst fünf Tage vor der Insolvenz der in Tokio ansässigen Börse zurück. Ein weiteres Vorstandsmitglied, Charles Shrem, wurde im Januar wegen Geldwäsche in seinem Unternehmen angeklagt. Seine Firma hatte Dollar in Bitcoin getauscht und dabei eine Gebühr kassiert. Im vergangenen Herbst meldete eine Tochter von Coinlab, bei der Bitcoins durch Mining erschaffen wurden, Insolvenz an. Coinlab ist ein Start-up im Besitz des Vorsitzenden der Bitcoin-Foundation, Peter Vessenes.

Shrem plädierte auf „nicht schuldig" und trat von seinem Posten zurück. Er und Vessenes konnten nicht für einen Kommentar erreicht werden. Karpelès lehnte eine Stellungnahme ab.

In Reaktion auf diese Verstrickungen fordern einige in der Bitcoin-Gemeinde eine Professionalisierung des Vorstands, etwa durch bekannte Wagniskapital-Investoren, die Bitcoin-Start-ups finanzieren. Noch in diesem Monat sollen Nachfolger für Mark Karpelès und Charles Shrem gewählt werden. Murck intensiviert unterdessen den Dialog mit Aufsehern, Währungshütern und auch Strafverfolgern.

Der leise Weg in den Mainstream dürfte aber die Bitcoin-Lobby weiter von ihren Kritikern entfremden – libertäre Nutzer, für die die Bitcoin Foundation ein Sprachrohr der Wirtschaft ist, die mit der zunehmenden Verbreitung der Währung Kasse machen wollen.

Cody Wilson ist einer der Gründer von Dark Wallet. Mit diesem Dienst sollen digitale Überweisungen unsichtbar bleiben. Wilson wirft der Bitcoin Foundation vor, gegen die Prinzipien der Kryptowährung zu verstoßen. „Leute, die noch vor wenigen Jahren ziemlich radikal drauf waren, ziehen sich jetzt Anzug und Schlips an und sagen sich: Selbst wenn Bitcoin nicht die Welt verändern kann, kann ich damit trotzdem viel Geld machen", sagt Wilson.

Bitcoin wurde 2009 gestartet und ist für die meisten Experten immer noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Derzeit befinden sich Bitcoins im Wert von etwa 4,9 Milliarden Euro im Umlauf, heißt es in einem Mittwoch vorgestellten Bericht von Fitch Ratings.

Kurs in einem Jahr um das Dreifache gestiegen

Im Februar wurde die Währung nach Schätzungen der Fitch-Analysten täglich in Überweisungen in Höhe von rund 50 Millionen Euro verwendet, mehr als zehn Mal so viel wie noch ein Jahr zuvor. Zum Vergleich: Beim Ebay-Bezahldienst Paypal wurden 2013 täglich im Schnitt 357 Millionen Euro umgesetzt, Visa wickelte pro Tag etwa 13,7 Milliarden Euro ab.

Zu den Anbietern, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren, gehören die Partnervermittlung OK Cupid, der Blogdienst Wordpress, das Baskebtballteam Sacramento Kings, aber auch Bars und Geschäfte weltweit.

Trotz des jüngsten Kursverfalls ist der Wert der Währung im vergangenen Jahr immerhin um mehr als das Dreifache gestiegen. Der Wall Street Journal Dollar Index stieg im gleichen Zeitraum um 0,2 Prozent, der Dow-Jones-Aktienindex um 14 Prozent. Wagniskapitalgeber strömen zu Bitcoin-Konferenzen, so etwa in der vergangenen Woche in San Francisco, wo Patrick Murck von Anzugträgern umringt wurde. „Es ist das erste Mal, dass ich zu einer Bitcoin-Konferenz gefahren bin und mich dort unpassend gekleidet gefühlt habe", sagt Murck, der Jeans und Oberhemd trug.

Bitcoin ist weder eine gesetzliche Währung, noch wird er von einer Notenbank gestützt. Die technische Infrastruktur dahinter wird vor allem von Freiwilligen betreut. Es gibt keine großen börsennotierten Bitcoin-Unternehmen, keine Verwaltung, keine Zentrale und keinen Verhaltenskodex.

Bitcoin Foundation ist als gemeinnützig eingestuft

Damit steht Murck unter Druck, den Negativschlagzeilen etwas entgegen zu setzen. „Meine Aufgabe ist es, zu erklären, wie die Sache funktioniert", sagt er. Früher hatte er Flugangst, aber heute jettet er als Bitcoin-Botschafter in zwei Wochen um die Welt. Seine Anzüge rollt er zusammen und stopft sie in einen schwarzen Rucksack.

Eigentlich wollte sich Murck als Anwalt für das Gemeinwohl einsetzen, landete aber bei einer auf Technologie spezialisierten Kanzlei, um seine Schulden für Studiengebühren abzuarbeiten.2009 zog er mit seiner Frau nach Seattle und fand einen Job bei einem Start-up, das sich mit virtuellen Währungen befasste. 2011, wenige Monate nach der Geburt seines Sohnes, gründete er seine eigene Firma für Softwaredesign und Rechtsberatung.

Murck ist eines der Gründungsmitglieder der Bitcoin Foundation und stellte sich freiwillig als Justiziar zur Verfügung. Er schaffte es in den Anfangstagen, die Mitglieder auf eine gemeinsame Linie bei strittigen Themen zu bringen – etwa bei der Frage, ob sich Bitcoin-Firmen an die US-Gesetze gegen Geldwäsche halten sollten.

Seit vergangenem August arbeitet Murck in Vollzeit für die Bitcoin Foundation. Der Verband hat nun sechs Vollzeitangestellte und ist als gemeinnützig anerkannt. An einem Aktenschrank im Büro der Foundation in Seattle klebt ein Magnet, auf dem steht: „Ich glaube an echtes Geld. Gold, Silber und Bitcoin."

Der Unternehmer Jesse Powell betreibt eine Bitcoin-Börse namens Kraken. Er sagt, Murck habe „vielen Leuten wirklich geholfen". Powell fügt hinzu: „Wenn niemand mit den Aufsehern spricht, dann überlassen sie Bitcoin ihrer Fantasie und glauben, dass alle Nutzer damit Drogen verkaufen und Kinderpornos kaufen. Und das ist nicht der Fall."

Die großen Probleme für Bitcoin begannen am 26. Januar. An diesem Tag wurde Charles Shrem am New Yorker Flughafen John F. Kennedy verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Kunden seiner Seite Silk Road dabei geholfen zu haben, Drogen zu kaufen und Pässe zu fälschen. Zuvor war der charismatische Mitbegründer der Bitcoin Foundation einer der bekanntesten Redner auf Branchenkonferenzen.

Karpelès zog sich immer mehr zurück

„Ich habe das nicht kommen sehen", berichtet Murck. Sein Handy sei nach der Verhaftung mit Textnachrichten und Anrufen überflutet worden. Der Anwalt glaubte an einen Scherz, deshalb rief er Shrem an. „Ruf mich an. Was ist passiert?", habe er ihm auf die Mailbox gesprochen. „Ich hoffe, Du bist okay. Wir sollten reden." Shrem ist auch Gründer des Bezahldienstes Bitinstant.

Auf dem Flug nach Washington habe er die Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung aufgezogen und die 27-seitige Klageschrift gegen Shrem gelesen. „Im Vorstand der Foundation zu dienen ist ein Privileg" schrieb Murck am 28.Januar im Forum der Organisation. „Natürlich müssen sich unsere Vorstände an einem höheren Standard messen lassen."

Weniger als zwei Wochen später stellte Mt. Gox alle Auszahlungen ein. Ein Fehler im Softwarecode von Bitcoin habe es Hackern erlaubt, Transaktionen zu manipulieren. Dadurch konnten Empfänger von Zahlungen behaupten, diese nie erhalten zu haben.

Zwei weitere Börsen stießen auf dasselbe Problem. Bitstamp aus Slowenien und BTC-e aus Bulgarien konnten aber den Betrieb wieder aufnehmen, nachdem von der Bitcoin Foundation vermittelte Programmierer die Lücke geschlossen hatten. Mt. Gox öffnete nie wieder und meldete Insolvenz an. Die verschollenen Bitcoin stellen 7 Prozent der Gesamtmenge dar. Karpelès hat seitdem erklärt, dass Mt. Gox 127.000 Kunden hatte und dass rund ein Viertel der verlorenen Bitcoin wiedergefunden wurden.

Kurz vor dem Zusammenbruch von Mt. Gox hatten andere Mitglieder im Vorstand der Foundation die Nase voll von Karpelès und seiner Geheimniskrämerei. Er habe keine Informationen über die Probleme seiner Börse geliefert, berichten mit der Sache Vertraute. Er habe wenig mit anderen Vorständen gesprochen und selten an Sitzungen teilgenommen. Je größer die Probleme wurden, desto mehr habe er sich zurückgezogen.

Murck wollte eigentlich an einer Konferenz auf Barbados teilnehmen, die von der Foundation mitveranstaltet wurde, als ihn die Vorladung erreichte. Die US-Ermittler wollen die verlorenen Bitcoins finden. Laut Insidern haben sie deshalb von Mt. Gox Protokolle über Transaktionen der Kunden und weitere Materialien angefordert.

Chaotische Kindertage

Bei der Staatsanwaltschaft lagern auch Bitcoins im Wert von über 100 Millionen Dollar, die im Zuge des Verfahrens gegen Silk Road beschlagnahmt wurden. Die Behörden hatten Silk Road im vergangenen Jahr geschlossen und den mutmaßlichen Gründer, Ross Ulbricht, in mehreren Fällen der verbrecherischen Verschwörung angeklagt. Er weist die Schuld zurück und dementiert auch, der Gründer von Silk Road zu sein.

„Wir haben sie beschlagnahmt und behandeln sie wie reguläres Geld", sagte Richard Zabel von der Staatsanwaltschaft in New York im Januar bei einer Anhörung. Theoretisch könnten die Behörden die Bitcoins verkaufen, sie haben das aber noch nicht getan.

Der erfahrene Tech-Unternehmer Jeremy Allaire arbeitet derzeit an einem Bitcoin-Dienst für Verbraucher. Er vergleicht das chaotische Umfeld mit den Kindertagen des Internet. „Die Amateur-Enthusiasten, die Bitcoin-Firmen der ersten Generation gegründet haben, werden derzeit zu Recht ausgesiebt. Ersetzt werden sie durch legitime Unternehmen, die mit der Finanzbranche und der Regierung zusammenarbeiten", sagt er. „Es muss aber noch einiges an Gesundschrumpfung geben."

Murck erklärt, die Bitcoin Foundation befürworte Regeln, die weitere „schlechte Ergebnisse" verhinderten. Bei einem Treffen mit Bankenaufsehern der US-Bundesstaaten im Februar sagte er, die Bitcoin-Branche „werde an höheren Standards gemessen als andere Bezahlsysteme." Er fügte hinzu: „Soweit es mich betrifft, ist das okay." Er habe nie daran gedacht, seinen Job aufzugeben. Er glaube immer noch an Bitcoin und halte den Verband für effektiv.

Murck hat noch zwei Gründe, den Ermittlern zu helfen und auf eine neue Kurssteigerung des Bitcoin zu setzen. Er wird in Bitcoin bezahlt – und war bis zuletzt Kunde bei Mt. Gox. Er will nicht sagen, wie viel er bei der Pleite verloren hat. „Es ist kein unbedeutender Betrag", stöhnt er lediglich. (Robin Sideln, Michael J. Casey, Christopher M. Matthews, WSJ.de/derStandard.at, 05.04.2014)