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Sucht und Zwang zugleich: der Blick aufs Diensthandy in der Freizeit.

Foto: Reuters/Jacky Naegelen

Paris - Telefon aus, Computerdeckel zu: So sollen es in Zukunft französische Angestellte halten, die in erster Linie mit digitalen Werkzeugen arbeiten. Die Sozialpartner der zwei großen französischen Branchenverbände Syntec et Cinov haben ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Es sieht für den Arbeitgeber sogar eine "Pflicht zum Abschalten" nach vollbrachtem Tageswerk vor. Eine genaue Zeit ist nicht genannt, doch Gewerkschaftsvertreter Michel de la Force schätzt, dass die Firmen "den Zugang zu ihren beruflichen Mailbox-Servern nach 18 Uhr schließen könnten".

Betroffen sind 910.000 Computeringenieure und Unternehmensberater. Die arbeiten meist in französischen Unternehmen, doch gilt das Abkommen auch für Pariser Niederlassungen internationaler Internetkonzerne wie Google und Facebook .

In Frankreich hatten bisher nur einzelne Unternehmen Feierabendregeln für den E-Mail- und SMS-Verkehr erlassen. Das Branchenabkommen ist die erste übergreifende Regelung - und sie gilt nicht zufällig für die hauptbetroffene Branche. Auslöser war ein Urteil eines Pariser Gerichts, das eine gesetzliche Ruhezeit von mindestens elf Stunden am Tag ohne Unterbrechung bekräftigte.

Diese Mindestdauer war 1999 bei der Einführung der 35-Stunden-Woche festgelegt worden. Die Gewerkschaften der Computerbranche störten sich seit langem an der Praxis vieler Unternehmen, Angestellte rund um die Uhr zu kontaktieren. Die den Unternehmen auferlegte "Pflicht zum Abschalten" ihrer E-Post am Abend und an Wochenenden ist nach Meinung von Juristen erst eine Absichtserklärung.

Eine konkrete Folge hat sie aber bereits: "Sie bedeutet, dass ein Angestellter, der seine Mails während seiner Ruhezeit nicht öffnet, dafür juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann", meint Michel de la Force, der die beiden Gewerkschaften CFE und CGC vertritt.

In Frankreich warf die Anfang April beschlossene Neuerung zuerst keine Wellen. Umso sarkastischer reagierten englischsprachige Newsportale. "Keine Mails nach 18 Uhr, s'il vous plaît - wir sind Franzosen", überschrieb das US-Webmagazin Engadget einen Beitrag über die neue Regelung - begleitet vom Bild eines braungebrannten Alain-Delon-Typs beim Sonnenbaden. Auch britische Newsportale machten sich über die "neue Variante des französischen Savoir-vivre" lustig.

Seither wogt die Debatte auch in Frankreich, besonders in den Internetforen "Dieses Abkommen ist wichtig in einer Branche, in der immer mehr Mitarbeiter zu Hause arbeiten", meinte ein Forumsteilnehmer. Aus den USA wendet ein emigrierter Landsmann ein: "Ich verstehe Frankreich nicht. Natürlich ist es normal, sich nach der Arbeit auszuklinken. Aber wenn ich Lust habe, zum Beispiel nachts oder sonntags zu arbeiten, weil ich meinen Job mag - warum soll das dann nicht möglich sein?" (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 15.4.2014)