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Eine positive Lebenseinstellung lässt sich zum Teil erlernen.

Foto: Reuters/David McNew

Das Thema ist alt, aber die Erkenntnisse dazu sind neu: Ist das Glas nun halbvoll, oder ist es halbleer? In Millilitern gemessen, kommt es auf dasselbe raus. Nur im praktischen Leben nicht. Und das bringt Brisanz in die Sache. "Wie wir die Welt sehen und mit ihr interagieren, wirkt sich darauf aus, wie die Welt auf uns reagiert“, schreibt Elaine Fox, Professorin für Psychologie und Neurologie, Leiterin des Oxford Centre for Emotions und Affective Neuroscience an der Universität Oxford, in ihrem Buch In jedem steckt ein Optimist.

Und so ist es. Den vor Lebenslust Sprühenden fliegen die Herzen zu. Genervt werden die ewigen Schwarzseher gemieden. Die einen reißen mit, die anderen reißen runter. Worauf sind die Mentalitäts- und mit ihnen die Verhaltensunterschiede zurückzuführen? In weiten Teilen auf die individuelle genetische Grundausstattung. Kein Mensch kommt als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Die einen sind "von Natur aus“ handlungsorientiert, packen an, zeigen sich als ihres Glückes Schmied. Die anderen sind lageorientiert, erschöpfen sich im Beklagen ihrer Lebensumstände und vegetieren unter der vermeintlichen Last ihres Lebens freudlos dahin.

Erkenntnisse der Hirnforschung

 Schicksal? Dumm gelaufen mit der elterlichen Genmischung? Für Elaine Fox stellt sich die Sache mit dem Schicksal doch ein wenig anders dar. Sie ist davon überzeugt, dass "wir lernen können, eine positive Lebenseinstellung zu gewinnen.“ Und ihre Überzeugung, dass in jedem ein Optimist steckt, steht auf stabilen Füßen: auf den neuen Erkenntnissen von Psychologie und Hirnforschung. Und da vor allem auf der immer deutlicher zutage tretenden ungeheuren Plastizität des Gehirns, die, das entsprechende Bemühen vorausgesetzt, doch ein gutes Stück weit eine Veränderung von Weltsicht und Umgang mit der Welt erlaubt - selbst bei so gravierenden Erscheinungen wie schweren Angst-, Zwangs- oder posttraumatischen Belastungsstörungen, wie Fox im Kapitel "Neue Techniken zur Umbildung unseres Gehirns“ schreibt.

Aber ziehen wir den einfacheren Fall heran. Da ist die Macht der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Schwirren nur schwarze Gedanken durch den Kopf, ist es kein Wunder, wenn die Welt da draußen nicht gerade in Frühlingsfarben aufleuchtet. Wird in den unvermeidlichen Selbstgesprächen alles und jedes nur problematisiert, ist es ebenfalls kein Wunder, wenn anstatt der Möglichkeiten eröffnenden Lösungsansätze nur sich himmelhoch türmende Hindernisse vor die Augen treten. So weit, so schlecht. Und eigentlich noch viel schlechter! Denn was die Sache mit diesem Blick auf die Welt so verflixt problematisch macht, ist das dahinterstehende "Verdrahtungsproblem“. Und dieses Verdrahtungsproblem verleiht der selbsterfüllenden Prophezeiung Schubkraft.

Vorprogrammiert „denken“

Denn je mehr in eine Richtung gedacht wird, desto mehr verfestigt sich die neuronale Verdrahtung im Gehirn. Und je mehr sich diese Verdrahtung verfestigt, desto mehr wird der Mensch zum Gefangenen der ihn steuernden Abläufe in seinem Kopf. Er denkt im Grunde genommen gar nicht mehr, sondern das, was für Denken gehalten wird, ist - cum grano salis - nichts anderes als ein vorprogrammiertes Spiel der Synapsen und ihrer Verbindungen untereinander. Und so entsteht und verfestigt sich immer mehr das, was der britische Kriegspremier Winston Churchill einmal sehr schön so ausgedrückt hat: "Ein Pessimist sieht die Schwierigkeiten bei jeder Gelegenheit. Ein Optimist hingegen sieht die Gelegenheit in jeder Schwierigkeit.“

Die Weichen der individuellen Weltsicht werden also im Kopf gestellt. Oder in den Worten Elaine Fox’: "Die bemerkenswerteste Erkenntnis ist, dass sich diese Unterschiede - ob wir eher die Licht- oder die Schattenseiten sehen, auf bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn zurückführen lassen."

Optimist nicht über Nacht

Fortschritte auf dem Gebiet der Psychologie im Verein mit ständig weiterentwickelten Technologien von Neurologie und Genetik liefern eine Fülle neuer Antworten auf die alten Fragen nach Grundeinstellung und Weltsicht eines Menschen. Und sie alle zeigen, "in welch hohem Maße unsere Einstellung gegenüber dem Leben mit Vorgängen verknüpft ist, die sich tief im Inneren unseres Gehirns abspielen.“ Genauer: "Geringfügige Unterschiede in der Art und Weise, wie unser Angst- und unser Lustzentrum reagieren, und in jener, wie dieser Respons von übergeordneten Kontrollzentren des Gehirns gebändigt, reguliert wird, führen im Lauf eines Lebens dazu, dass sich ein Netzwerk neuronaler Verbindungen aufbaut, das in einer optimistischen oder einer pessimistischen Grundeinstellung resultiert.“ Hoffnung ist bekanntlich eine große Verführerin, aber keine zuverlässige Ratgeberin. Niemand sollte sich also der Annahme hingeben, dass all die erstaunlichen neuen Erkenntnisse von Psychologie und Hirnforschung sozusagen über Nacht aus einem tief in der Wolle gefärbten zögerlichen Pessimisten einen handfesten Optimisten machen. Dennoch: So einiges ist dank des neuen Wissens diesbezüglich doch erreichbar.

Und darum geht es Fox, darzustellen, „in welch verblüffendem Ausmaß wir in den letzten beiden Jahrzehnten unser Wissen darüber vermehrt haben, wie wir unsere Reaktionen auf Angenehmes und Beängstigendes verstärken beziehungsweise abschwächen können. Wir werden erfahren, wie die Wissenschaft Stück für Stück das Geheimnis aufzuschlüsseln lernte, was uns zu der Person macht, die wir sind.“

Diese unsere Reaktionen halten uns "dank“ der ihnen eigenen Weltsicht nicht selten davon ab, privat wie beruflich ein mutige(re)s, zupackende(re)s und damit in mancherlei Hinsicht erfüllende(re)s Leben zu führen. Das zu versuchen, daran lässt Fox keinen Zweifel, verlangt Einsatz und den Willen, Abschied vom gewohnten Ablauf im Kopf zu nehmen. Banal, aber real, auch hier gibt es ohne Fleiß keinen Preis.

Zuversicht hilft meistens

Doch gibt sie zu bedenken: "Unsere Schwächen ebenso wie unsere Stärken zu kennen ist wichtig und kann sehr nützlich für uns sein. Sich dessen bewusst zu sein, wie wir wahrscheinlich auf etwas reagieren, und diese Prädispositionen möglicherweise zu ändern, kann uns dabei helfen, uns zu schützen und uns letztlich den Weg zu einem glücklicheren, erfüllteren Leben zu weisen“ - und so auch zu einem stabileren Stand in einer Berufswelt im atemberaubenden Wandel mit ihren fachlichen wie psychomentalen Anforderungen.

Keine Frage, "nicht alle Optimisten führen ein erfolgreiches und glückliches Leben, doch eine zuversichtliche Einstellung scheint - vor allem wenn sie mit einer realistischen gekoppelt ist - ein guter Ausgangspunkt zu sein“, wie Fox ihre Forschungserkenntnisse zusammenfasst. "Indem wir die Art und Weise verändern, in der unser Gehirn auf Probleme und auf Freuden reagiert, können wir unsere Persönlichkeit verändern“, macht sie Mut, an sich zu arbeiten. Und wie schrieb doch Goethe in Wilhelm Meisters Wanderjahre? "Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der Tat; die Persönlichkeit ist’s, von der alles abhängt.“ (Hartmut Volk, DER STANDARD, 19./20.4.2014)