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Foto: Reuters/Ruvic

Die twitternden "Bastarde" - türkisch: #haramzadeler333 - und der "Oberdieb" - #Başcalan - haben ihr Pulver verschossen, so hat es den Anschein, und der Spion im Büro von Ahmet Davutoglu, dem türkischen Außenminister mit der strategischen Tiefe, ist auch zur Strecke gebracht, will man der regierungstreuen Tageszeitung "Sabah" glauben. Ein unterrangiger Beamter war es, der eine Wanze im Tischtelefon von Davutoglu versteckt haben soll und das auch für NATO-Offizielle einigermaßen interessante Gespräch über die Inszenierung eines Kriegsgrundes in Syrien in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, wenige Tage vor den Kommunalwahlen, die dann allen getwitterten Korruptionsvorwürfen zum Trotz Regierungschef Tayyip Erdogan und seine Parteimänner, landesweit gerechnet, mit großem Vorsprung gewonnen haben.

Mit der vom türkischen Premier versprochenen "Ausrottung" der sozialen Internetmedien lässt es sich noch etwas schwieriger an. Der Besuch einer Twitter-Delegation aus San Francisco mit Colin Crowell, einem Vizepräsidenten des Unternehmens, bei der Telekommunikationsbehörde TIB in Ankara diese Woche war ein voller Erfolg aus Sicht der türkischen Regierung und ein nützliches Treffen ohne große verbindliche Zusagen, folgt man den Äußerungen der Twitter-Chefs. Dass die Besucher in einem schwarzen Kleinbus zum Hintereingang des TIB-Gebäudes fuhren, war von den regierungstreuen Sendern schon als Eingeständnis ihrer Schuld erkannt worden.

Erdogan beschuldigte Twitter am vergangenen Wochenende der Steuerhinterziehung. Reuters zitierte später einen nicht genannten Regierungsvertreter, der erklärte, Twitter würde in der Türkei jährlich unversteuert 35 Millionen Dollar durch Werbeeinnahmen verdienen. Finanzminister Mehmet Şimşek gab zudem an, die Mehrwertsteuer für soziale Medienunternehmen könne von 18 auf 36 Prozent verdoppelt werden - sofern sie eine Vertretung in der Türkei haben. Genau das will Ankara zunächst von Twitter. Crowell weigerte sich. Lediglich einen Rechtsvertreter, der Kontakt zu den türkischen Behörden hält, werde es im Land geben, sagte der Twitter-Manager. Zunächst.

Ein Büro hat einige Vorteile: Neben der einfacheren Zustellung von Rechtsklagen und der Möglichkeit, die Steuerpolizei oder andere Staatsrepräsentanten ins Twitter-Haus zu schicken (von unterrangigen Mitarbeitern, die Wanzen in Tischtelefone stecken, wollen wir gar nicht reden), ließen sich bei Bedarf auch Demonstrationen enragierter Bürger organisieren, die mit aufgemalten Slogans ihrer Empörung über "Lügen" und andere unmoralische Umtriebe Ausdruck geben könnten. Der Korrespondent der deutschen ARD hat Ende März diese Erfahrung gemacht, als vor seinem Büro eine Hundertschaft aufmarschiert war.

Das Steuergebaren von Twitter, Facebook und Co. ist allerdings tatsächlich strittig. Twitter hat einen Sitz in Dublin für seine Aktivitiäten außerhalb der USA und eine Reihe von Büros weltweit. Werbegeschäfte werden von Subunternehmern abgewickelt, was Twitter eine sehr viel günstigere Versteuerung erlaubt - und dies auch nur in einigen Ländern.

Entscheidend für die Regierung Erdogan in der Türkei sind aber wohl weniger die Steuergelder von Twitter als das Blockieren unerwünschter Wortmeldungen von Bürgern und von links zu kompromittierenden Inhalten, wie sie haramzadeler333 und Başcalan nun monatelang in Umlauf gebracht haben. Twitter habe mehr als 200 strittige Inhalte gelöscht, erklärte Verkehrs- und Kommunikationsminister Lütfi Elvan am Donnerstag. Und künftig würden Twittermeldungen, gegen die die Telekommunikationsbehörde Einwände hat - eine gerichtliche Genehmigung braucht sie dafür dank des neuen Internetzensurgesetzes zunächst nicht - für Nutzer auf dem Gebiet der Türkei gepixelt. Keine großartige Strafmaßnahme: zum Klarsehen benutzt man dann eben wie schon während der Twitterblockade vor den Wahlen einen Proxy-Server ... (Markus Bernath, derStandard.at, 17.4.2014)